Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?. Martin H. Geyer

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer


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höheren Satz weiterverliehen. Genau hierin lag der Vorwurf des »(Zins-)Wuchers« begründet, der ganz prominent gegen ihn, wie aber auch gegen Barmat, erhoben wurde. Demnach habe sein Konzern prosperiert, da er dank dieser hohen Zinsgewinne nun geschickt in Banken und Versicherungen, aber auch ins Textilgeschäft investierte, dabei strategische Aktienanteile erwarb und ins Immobiliengeschäft einstieg, wofür er Kredite bei den von ihm mitkontrollierten großen Banken und Versicherungen erhielt. Das Urteil des amerikanischen Time Magazine, dass er in Banken- und Unternehmerkreisen ein »man feared, hated, despised« sei, war offenbar so falsch nicht.87

      Die Staatsanwaltschaft sammelte emsig Zeugenberichte, die in einer ganzen Reihe von Fällen, die auch Großbanken betrafen, den Vorwurf des Wuchers erhärten sollten. Danach war Michael »damals der teuerste Geldgeber«, ja mehr noch, er habe »in der Hauptsache die hohen Zinssätze jener Zeit verschuldet […]. Wer in Geschäftsbeziehungen zu Michael getreten war, konnte schwer von ihm loskommen.« Zeugen wurden zitiert, wonach Michael bei der Rückzahlung der Kredite die Herausgabe der als Sicherheit geleisteten Effekten verzögert habe, sodass sie dem Geldsuchenden für neue, eventuell billigere Kredite bei anderen Stellen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestanden hätten und der Schuldner dann gezwungen gewesen sei, erneut Darlehen bei ihm aufzunehmen und die von ihm diktierten hohen Zinssätze annehmen musste.88 In solchen Beschuldigungen kommt nicht nur der klassische Wuchervorwurf zum Vorschein. Alles deutet darauf hin, dass die Berliner Staatsanwaltschaft einen großen »Wucherprozess« plante.

      Zu einer Anklage kam es aber nicht. Im Sommer 1924 war Michael zwar der bei Weitem größte Schuldner der Preußischen Staatsbank. Aber im Gegensatz zu Barmat und Kutisker gelang es ihm noch 1924, seine dortigen Schulden (ebenso wie bei der Reichspost) zu reduzieren, und schon im April 1925 zahlte sein Konzern die letzte Rate von 10 Mio. GM zurück.89 Damit bot er wenig Angriffsfläche. Außerdem war es fraglich, ob es sich bei den geforderten Zinsen in der chaotischen wirtschaftlichen Übergangssituation tatsächlich um »Wucher« handelte. Das war in der öffentlichen Debatte ebenso umstritten wie zwischen Juristen, die auf die Gesetze pochten, und Ökonomen, die auf die Folgen für die Wirtschaft verwiesen.90

      Sehr zum Leidwesen der Staatsanwaltschaft wurde der Fall Michael dann auch mangels ausreichender Beweise und mit Blick auf die rechtliche Dimension des Falles ganz eingestellt.91 Rückblickend aus dem Jahr 1933 betonte der vormals mit dem Fall betraute frühere Erste Staatsanwalt, dass es das Ziel gewesen sei, die »Vermögenswerte des Michael« als Entschädigung für den von ihm angerichteten Schaden zu beschlagnahmen; die Einstellung des Falls sei auf »höhere Einwirkung«, sprich politische Stellen, hin erfolgt. Aber das war im Mai 1933, zu einem Zeitpunkt, als der staatliche Zugriff auf das Vermögen Jakob Michaels längst begonnen hatte, worauf noch ausführlicher zurückzukommen sein wird.92

      »Luftgeschäfte«:

      Der Fall des Waffenhändlers Iwan Kutisker

      Wie der zur Reorganisation des Barmat-Konzerns eingestellte Gerhard Lewy konstatierte, war für Barmat die Tatsache fatal, dass die Zeitungen seinen »Konzern stets mit Kutisker zusammenwarfen«, handelte es sich doch bei Kutisker »wirklich um einen Schwindler [, dessen] Unternehmungen auf Nichts basieren«.93 Tatsächlich verwechselten schon die Zeitgenossen die drei Fälle, und das, obwohl die Sachlage nicht unterschiedlicher hätte sein können. Dies hatte mit den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, der Involvierung der Preußischen Staatsbank und konkreten, wenn auch komplizierten und höchst merkwürdigen Verbindungen der beiden Fälle Michael und Kutisker zu tun. Nicht minder bedeutsam waren die für die Medien (wie dann auch für viele Schriftsteller) interessanten Skurrilitäten und Absurditäten des Wirtschaftsvergehens Kutiskers, seiner »Luftgeschäfte«, mit denen dann wiederum Barmats Geschäfte in Verbindung gebracht wurden. »Luftgeschäfte« bezeichnen das Handeln mit Gegenständen und Finanzprodukten, denen kein »realer« Wert zugrunde lag (wie etwa den Roth-Obligationen), daher auch die Rede von »Wolkenschiebereien«, wie die Karikatur des Kladderadatsch insinuiert (siehe Abb. 4, S. 122): »Luftmenschen«, eine antisemitisch konnotierte Metapher für Juden, ließen sich dafür verantwortlich machen.94

      Unternehmer und Betrüger

      Der litauische Staatsbürger Iwan Kutisker war kein armer Mann, als er sich 1919 mit seiner Frau und seinen damals 17 und 14 Jahre alten Söhnen Alexander und Max auf der Flucht vor den Bolschewiki in Berlin niederließ. Aber auch er und seine Familie besaßen keine offiziellen Einreisepapiere und waren zunächst polizeilich nicht gemeldet. Die Anonymität der Großstadt bot Schutz, auch wenn die Berliner Gemeindebehörden auf Kutisker aufmerksam wurden, weil er eine große Sechszimmerwohnung anmietete, ohne den dafür notwendigen Berechtigungsschein des städtischen Wohnungsamtes zu besitzen. Diese scheinbar nebensächliche Geschichte war 1925 ebenfalls Gegenstand des Barmat-Skandals, da sie sich mit den persönlichen Beziehungen Barmats zum Polizeipräsidenten Eugen Richter, der auch für Aufenthaltsgenehmigungen zuständig war, verknüpfen ließ und – recht absurden – Bestechungsvorwürfen Auftrieb gab. Dass es in den Wohnungsämtern viele Fälle von »Schiebungen« gab, war kein Geheimnis.95

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      Abb. 4 Der Barmat-Konzern mit der Kuppel der Synagoge in der Oranienburger Straße

      CC-BY-SA 3.0 Universitätsbibliothek Heidelberg, Kladderadatsch, 78.1925, Seite 121

      Zu Kutiskers früherem Leben liegen nur spärliche Informationen vor. Im ersten Urteil des Gerichts vom Juni 1926 heißt es leicht abschätzig, dass er den »Klein- und Zwischenhandel und zuletzt die Fabrikation von Öl und Fässern« betrieben habe. Im sehr viel längeren, von Kutisker angestrebten Revisionsurteil aus dem folgenden Jahr (Kutisker starb kurz vor dessen Verkündung) war dagegen schon positiver von einem »Kaufmann« die Rede.96 Kutisker hatte zu den wohlhabenden Bürgern der lettischen Stadt Libau (Liepāja) gehört. Er soll das erste Automobil der Stadt besessen haben, und sein Faible für schwere Fahrzeuge schien zu seinem Image als »Kriegsgewinnler« zu passen. Lukrative Aufträge für die russische Armee, die er in Sankt Petersburg abwickelte, ließen ihn wirtschaftlich prosperieren. Nach der russischen Oktoberrevolution schlug er sich nach seiner Rückkehr nach Libau auf die Seite der deutschen Okkupationsmacht und betätigte sich als Waffenhändler. Ein gewagtes Geschäft war der kommerzielle Erwerb des riesigen Pionierparks der 8. Armee, der nach Ausbruch der Revolution in Deutschland und der Räumung des bis dahin besetzten Gebiets nicht nach Deutschland zurückgeführt werden konnte. Es kam nicht zum erhofften großen Geschäft, da zunächst die Bolschewiki, dann die litauische Staatsregierung die Gerätschaften konfiszierten, sodass Kutisker nur kleinere Teile kommerziell verwerten konnte. Die Kontakte nach Litauen brachen aber nicht ab, was auch darin zum Ausdruck kam, dass ihm offenbar die litauische Gesandtschaft im Gebäude ihrer Residenz in der Budapesterstraße eine Wohnung zur Verfügung stellte.97

      Dank seiner Kontakte zu Mitarbeitern deutscher Kriegsamtsstellen verfolgte Kutisker dieses risikoreiche Militärgeschäft nach seiner Übersiedlung nach Berlin weiter. Er bewegte sich in der Welt von mehr oder weniger dubiosen in- und ausländischen Händlern, die mit Waffen und altem Kriegsmaterial handelten. Alte Heeresbestände gab es in Europa im Überfluss und einen Markt dafür ebenfalls. Kutisker erwarb solche Heeresbestände, darunter große Posten von Militärstiefeln (aus den Beständen der sogenannten Altleder-Verwertungsstelle des Reiches), die er unter anderem nach Litauen exportierte.98 Anlässlich des Kaufs von 50000 Militärtornistern lernte er den – später ebenfalls angeklagten – früheren Bauunternehmer Gustav Blau kennen, der sich als Kriegslieferant von Segeltüchern und Lederwaren betätigt hatte und nach dem Krieg unter anderem mit Geräten der früheren amerikanischen Fernsprechabteilung in Koblenz handelte. Kutisker und Blau gründeten während der Inflationszeit die mit Heeresartikeln handelnde Blau G.m.b.H.99

      Wie viele andere engagierte sich auch Kutisker


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