Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?. Martin H. Geyer
zur Verfügung zu stellen: Die Barmats, so Höfle, seien »reiche Leute«.60 Die Beamten des Ministeriums erhielten von ihrem Minister das »Ehrenwort«, dass er keine Entscheidungen mehr ohne sie treffen werde. Höfles Sekretärin wurde unter Androhung sofortiger Entlassung verboten, dienstliche Schriftstücke des Ministers zu schreiben, die ohne Mitwirkung der Abteilung zustande kamen.61
Zahlungsunfähigkeit und das Ende des Barmat-Konzerns
Angesichts der Ereignisse im Reichspostministerium verengten sich die finanziellen Handlungsspielräume Barmats zunehmend. Er kämpfte nun gegen die Zeit, und einiges deutet darauf hin, dass er nicht mehr weiterwusste und seinen Mitarbeitern viele Verhandlungen überließ. Sein Versuch, im Oktober 1924 über Deutschland hinaus auch in London eine internationale Anleihe für den Roth-Konzern aufzulegen, scheiterte. Die Staatsanwaltschaft ermittelte in dieser Sache später gegen Barmat und Direktoren des Roth-Konzerns, ob es sich dabei angesichts der prekären Lage des Konzerns um ein Betrugsmanöver handelte: Mit der Anleihe hätten die Initiatoren »nach dem Muster der Inflationszeit Scheinwerte [geschaffen], die vermöge [sic!] ihrer Zerlegung in kleine Stücke auf den Absatz bei dem großen Publikum berechnet waren«.62 Das war nichts anderes als eine Umschreibung für ein »Luftgeschäft«, mit dem nicht nur das breite Publikum, sondern auch die Staatsbank getäuscht werden sollte.63
Julius Barmats Image als Finanzgenie bekam Risse. Wirtschaftliche Partner machten sich aus dem Staub. Dazu zählte mit als Erster Lange-Hegermann.64 Als Begründung brachte er vor, dass er sich in seiner eigenen Partei Angriffen ausgesetzt gesehen habe – es sei eine »Heldentat«, für Barmat einzutreten, sei »doch sein Ruf derart ramponiert, daß es gar nicht zu ertragen« sei. Überdies wurde ihm die Sache ganz offensichtlich zu brenzlig. Er will befürchtet haben, dass die anderen Miteigentümer (neben Barmat) der Merkurbank auf den Schulden sitzen blieben und er dafür zur Verantwortung gezogen werden könnte. Und er verwies auf Gerüchte, Barmat komme nicht nach Deutschland zurück und überlasse den anderen die Schulden.65 Das war schierer Opportunismus. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zwar gegen Lange-Hegermann, gerichtlich belangt wurde er aber nicht (und auch sein Umgang mit Reichsmitteln für die besetzten Gebiete scheint nicht weiter verfolgt worden zu sein).
Nichts deutete indes darauf hin, dass Barmat das Land verlassen wollte. Stattdessen versuchte er Mitte November, mit den beiden schon genannten unabhängigen Sachverständigen Kautz und Lewy, den Konzern zu reorganisieren, während der Geschäftsführer der Amexima die Verhandlungen mit der Preußischen Staatsbank führte. Bis Ende 1924 hatte der Barmat-Konzern von dieser, der Reichspost, der Oldenburgischen Staatsbank, der Brandenburgischen Girozentrale und der Brandenburgischen Stadtschaft Kredite in Höhe von insgesamt etwa 36 Mio. Gold- bzw. Reichsmark erhalten.66 Darüber, ob man von einer Überschuldung sprechen konnte, gingen die Meinungen weit auseinander. Der von Barmat für die Reorganisation des Konzerns – zu spät – engagierte Lewy schätzte den Gesamtwert der Betriebe auf realistische 39 Mio. RM. Er war sich sicher, dass sich der Wert nach Anziehen der Konjunktur auf 69 Mio. erhöhen könnte. Diese Zahlen beruhten nicht auf dem Börsenwert der Amexima und der an der Börse gelisteten Betriebe, sondern auf seiner eigenen Schätzung des inhärenten »rein industriellen Wertes«.67 Intern diskutierte man eine Restrukturierung. Aber dazu wären neben der langfristigen Verlängerung der bestehenden Kredite noch weitere 4 bis 5 Mio. RM erforderlich gewesen, um die Schwierigkeiten zu überwinden.68
Im November und Dezember 1924 stand es um den Konzern auf jeden Fall sehr schlecht, auch wenn eine Rettung vielleicht nicht ausgeschlossen war. Viel hing vom Verhalten der Preußischen Staatsbank ab, aber auch davon, wann die darniederliegende Konjunktur wieder anziehen würde. Seit dem Abschluss des Dawes-Abkommens über die Neufestlegung der Reparationen zeichnete sich eine Besserung der wirtschaftlichen Lage ab. Amerikanische Kredite, die nun nach Deutschland zu fließen begannen, waren für große Teile der deutschen Wirtschaft der rettende Strohhalm. Eine andere Frage war, wer der Amexima weitere 5 bis 8 Mio. RM zur Restrukturierung des Betriebs zur Verfügung stellen würde.69 Die Idee, mit der Kautz vorstellig wurde, bestand darin, die bisherigen Kredite zu verlängern und neue Kredite zuzuschießen; dazu galt es, die gesamten Werte des Barmat-Konzerns in eine Treuhandgesellschaft unter Kontrolle der Gläubiger einzubringen. Parallel dazu sollte eine Restrukturierung des Konzerns vorgenommen werden. Doch die Preußische Staatsbank lehnte ab (auch wenn später eine solche Lösung teilweise umgesetzt wurde).70
Der Grund für die Ablehnung ist unschwer zu erkennen: Spätestens seit Ende November 1924 waren die Kredite an Barmat nicht mehr primär eine wirtschaftliche, sondern eine politische Frage. Plötzlich waren die Kredite an Ostjuden ein öffentliches Thema. All diejenigen, die für sich beanspruchten, schon früher gewarnt zu haben, dass es politisch bedenklich sei, einem »Konzern von jüdischen Ausländern« Kredite zu geben, sahen sich jetzt bestätigt.71 Angesichts der Presseangriffe zunächst auf Kutisker, dann auch auf Barmat war die Preußische Staatsbank bemüht, die Geschäftsverbindungen schnellstmöglich zu beenden.
Ab Dezember überschlugen sich die Ereignisse, die nicht im Detail von Interesse sind. Die Preußische Staatsbank lehnte die Verlängerung der am 15. Dezember ablaufenden Kredite ab. Dagegen protestierte Barmat heftig; er und seine Anwälte sahen darin einen Vertrags- und Vertrauensbruch. Die Staatsbank ließ sich auf keine Verhandlungen mehr ein.72 Damit war für den Barmat-Konzern die Zeit abgelaufen. Am 15. Dezember senkte die Preußische Staatsbank endgültig den Daumen.
»Zins- und Kreditwucher«: Der Fall Jakob Michael
Die Staatsanwaltschaft ging im Fall Barmat auch der Frage nach, ob der Konzern die hohen Kredite der Preußischen Staatsbank dazu benutzt habe, das Geld gegen überhöhte Zinsen weiterzuverleihen, um auf diese Weise Firmen unter seine Kontrolle zu bringen. War also eine Form von Zins- und Kreditwucher im Spiel? Das Thema tangierte gleichermaßen juristische wie politisch-soziale Fragen und ist auch deshalb von Interesse, weil Wucher seit jeher das zentrale Thema der antisemitischen Agitation gegen den »jüdischen Kapitalismus« war. Noch massiver als gegen Barmat wurde der Wuchervorwurf gegen den Unternehmer Jakob Michael (der in unserer weiteren Geschichte noch eine Rolle spielen wird) erhoben.
Wuchergeschäfte: Mehr als eine strafrechtliche Frage
Ins Visier der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gerieten grundsätzliche Aspekte der Geschäftspolitik der Preußischen Staatsbank. Auffällig war, dass der Kreis ihrer Geschäftskunden stark eingeschränkt war: Im Wesentlichen waren das Barmat und die beiden anderen in den Skandal verwickelten Personen Iwan Kutisker und Jakob Michael, die tatsächlich außerordentlich privilegiert waren, sowohl was die Kreditfristen, die Deckungsvorschriften als auch die Höhe der Zinssätze betraf. Wie bereits erwähnt standen Mitte Mai 1924 die drei privaten Großkunden mit Krediten von etwa 35 Mio. Rentenmark in den Büchern der Preußischen Staatsbank; nur dem Michael-Konzern gelang es, die Kreditschulden zu reduzieren.73 Der Verdacht stand im Raum, dass es Barmat, Kutisker und Michael mithilfe der ihnen gewährten Kredite gelungen sei, die wirtschaftliche Notlage der vom Kapitalmarkt abgeschnittenen Unternehmer auszunutzen und auf diese Weise Kontrolle über Industrie und Banken zu erlangen. Denn wenn die verliehenen Kredite nicht beglichen werden konnten, kam es vielfach zur Übertragung der Eigentumsrechte an die Kreditgeber.
Solche Sachverhalte und Zusammenhänge waren Wasser auf die Mühlen antisemitischer Agitation und weitverbreiteter Ressentiments. In der Sprache des wirtschaftlichen Antijudaismus und Antisemitismus war die Rede von »jüdischem Wucher«, »Finanzjuden« und »Shylocks« fest etabliert.74 Seit der Liberalisierung der Finanzmärkte im 19. Jahrhundert waren immer wieder Forderungen erhoben worden, Höchstsätze für Zinsen festzusetzen, Kreditwucher zu bestrafen, ja, so die Forderung der Antisemiten, Juden von Kreditgeschäften ganz auszuschließen. Die Erfolge solcher Initiativen waren trotz neuer »Wuchergesetze« seit den 1880er Jahren beschränkt geblieben. Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 sah zwar die Bestrafung desjenigen vor, der »unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten