Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?. Martin H. Geyer

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer


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sich in eine ganze Serie von weiteren kleineren Skandalen und politischen Eruptionen einfügt, die sich vom Ende des Ersten Weltkriegs durch die ganze Geschichte der Weimarer Republik bis Ende 1933 und noch darüber hinaus hinzog.

      Der allerletzte Akt aber spielte nicht in Deutschland, sondern erstreckte sich über gleich mehrere Staaten in Westeuropa. Dabei handelte es sich um ein politisches Drama ganz eigener Art, das wiederum für eine Bewertung des deutschen Falles bedeutsam ist. Denn Julius Barmat ließ sich nach seiner vorzeitigen Entlassung aus der Haft 1929 und seiner Ausreise aus Deutschland nicht an seinem Wohnsitz in Amsterdam, sondern zunächst in Belgien nieder. Hier waren er und sein Bruder Henry nach dem Erwerb zweier Bankinstitute wieder in eine Reihe großer und kleinerer Affären in der Schweiz, Belgien, Holland und Frankreich verwickelt. Auch in Belgien drehten sich die Vorwürfe um Kreditbetrug und Bestechung. In die Geschichte involviert war die Bank des kleinen Kantons Appenzell-Innerrhoden, von der eine vertrackte Spur zur Belgischen Nationalbank führte. Und nicht nur das: Bald kursierten Gerüchte über Barmats Verbindungen auch zu dem notorischen Finanzbetrüger Alexandre Stavisky in Frankreich. Im Gegensatz zur diskreten Behandlung der »Affaire Appenzell« in der Schweiz kam es in Belgien zu einer großen »Affaire Barmat«, die 1937 kurz, aber heftig war. Ähnlich wie zuvor in Deutschland blieben angesehene Politiker und Banker auf der Strecke.

      Grenzen einer biografischen Annäherung

      Journalisten, Schriftsteller, Staatsanwälte, Parlamentarier und Ministeriale haben Tausende von Blättern beschrieben und sich mit dem Fall von Julius Barmat befasst. War der frühere Kaufmann ein Unternehmer, der sich wie so viele andere seiner Zunft überschätzte und verhob? Oder ein gerissener Finanzier und Spekulant, der sich – wie schon zuvor in Holland und später in Belgien – der neuen politischen Klasse der Republik angedient und diese in seine Machenschaften verstrickt hatte? War Barmat ein opportunistischer Sozialist, in dessen Haus in Amsterdam 1919 Vertreter der Sozialistischen (Zweiten) Internationale verkehrt hatten, oder gar ein verkappter »jüdischer Bolschewist«? Solche Gerüchte kursierten in der oppositionellen linken wie rechten Presse. Dass er jüdischer Konfession war, ein Ostjude, wie man damals sagte, war dabei keine Nebensächlichkeit.

      Die Antwort auf die Frage, wer Julius Barmat war, scheint auf den ersten Blick einfach, bedenkt man die dichte Überlieferung von Quellen, die sich mit ihm befassen, und die fast überbordende, mit Skandalen verbundene Ereignisgeschichte. Aber das täuscht. Die Unsicherheit beginnt mit der Frage, welchen Vornamen er sich selbst in einer Darstellung gegeben hätte: Julius, wie er seinen Namen bei deutschen Behörden angab, oder Judko, wie er sich in den Niederlanden nannte und wie ihn auch einige seiner deutschen Freunde ansprachen, was im Munde seiner Feinde aber einen pejorativen Klang hatte? Judko ist eine im Jiddischen verbreitete, nicht nur auf die Kindersprache beschränkte Koseform von Yehuda, ein Name, den Barmat selbst aber offenbar nie benutzte.14 Zahlreiche weitere Fragen, die seine Biografie betreffen, lassen sich nicht beantworten. Das vorliegende Buch macht sich aber auf eine Spurensuche, die uns auf viele Wege, darunter manche Umwege bringt, aber auch zu neuen Erkenntnissen führt.15

      Nach Jahrzehnten geringen Interesses haben zwar einige neuere wissenschaftliche Arbeiten Licht auf den Fall Barmat geworfen. Einen breiten Raum nehmen dabei der Verlauf des Medienskandals sowie Fragen von Antisemitismus und Korruptionsdebatten ein. Der Skandal wurde in die Vorgeschichte des Nationalsozialismus eingeordnet, der selbst das korrupteste Regime der deutschen Geschichte war, aber mit dem Slogan des Kampfes gegen »jüdische« und »republikanische Korruption« antrat.16 Aber in all diesen neueren Darstellungen ist der Name Barmat meist als Chiffre präsent. Seine Person bleibt eigentümlich vage, fast ein Phantom. Diese Distanz ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass im babylonischen Sprachengewirr der Skandale eine Stimme fehlt: nämlich die von Julius Barmat selbst. Und nicht nur das: Barmats wirtschaftliche Aktivitäten, der Verdacht des Betrugs, ja mehr noch, alle Spekulationen über seine Person bleiben im Dunst der Vermutungen und vielfach unbewiesenen Tatsachen.

      Das biografische Genre lebt in der Regel von der Verfügbarkeit von Ego-Dokumenten. Sie machen den Kern einer Biografie aus, stellen Selbstzeugnisse doch eine Nähe und »Unmittelbarkeit zu ihrem Helden« (Hans Erich Bödeker) her.17 Das gilt selbst dann, wenn der Name des Protagonisten negativ konnotiert ist.18 Das Fehlen eines Nachlasses sowie die Tatsache, dass persönliche Briefe und andere Ego-Dokumente nur spärlich überliefert sind und die meisten Quellen zu seiner Verteidigung nicht von Julius Barmat selber, sondern von juristisch argumentierenden Rechtsanwälten stammen, verweisen auf die spezifischen Voraussetzungen und Grenzen der vorliegenden biografischen Annäherung. Hinsichtlich der wenigen Ego-Dokumente ist die Geschichte Julius Barmats vergleichbar mit der des französischen »Unbekannten« aus der Provinz, dessen Lebensgeschichte der Historiker Alain Corbin in einer anregenden historischen Darstellung rekonstruiert hat.19 Aber im Gegensatz zu diesem Unbekannten führte Barmat kein »ganz gewöhnliches Leben«. Barmats Geschichte handelt vielmehr vom ungewöhnlichen Leben eines bekannten Unbekannten. Denn seit den aufwühlenden Tagen des deutschen Barmat-Skandals 1925, den sich hinziehenden rechtlichen Untersuchungen und dann den neuen Skandalisierungen in Belgien, Holland und Frankreich gingen sein Name und seine Biografie in öffentlich-medialen Besitz über.

      Die Biografie Barmats schrieben andere, indem sie seinen Namen als Metonymie, Stigma und als Projektionsfläche benutzten:20 für Demokratie und ihre mögliche Dekadenz, für Korruption, Abwege von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit, unlauteres wirtschaftliches Gebaren sowie einen »jüdischen Kapitalismus« seit dem Krieg. Diese eng miteinander verschränkten Leitthemen, die in zentrale Felder der politischen, sozialen und kulturellen Konfliktgeschichte der Zwischenkriegszeit führen, stehen im Mittelpunkt dieses Buches.

      Demokratie, Kapitalismus und politische Moral

      In der zeitgenössischen politischen Sprache wurde der Name Barmat binnen kurzer Zeit zu einer hochemotionalen Metonymie, mit der Kritiker gleichermaßen die wirtschaftliche, politische und moralische Korruption von konkreten Personen sowie die Weimarer Republik und das demokratische System im Allgemeinen thematisierten: »Barmatpartei«, »Barmatrepublik«, »Barmatsumpf« und »Barmatiden« waren bald gängige polemische Kampfbezeichnungen, die aus dem Vokabular der oppositionellen radikalen Linken in das der Konservativen und vor allem der Völkischen diffundierten, sich dort einnisteten und die in den meisten Fällen auf die SPD gemünzt waren.21 In Verbindung mit zahlreichen zirkulierenden Bildern provozierten solche Begriffe politische Emotionen, die von Verachtung bis hin zu Hass reichten und zugleich individuelle und kollektive Weltdeutungen lieferten.22 Julius Barmat verkörperte ein »System«, und das bezeichnenderweise nicht nur in Deutschland. Wie zu sehen sein wird, verweist der Fall Barmat auf eine europäische Dimension der Auseinandersetzungen, die sich allesamt auf dem Hintergrund der Folgen des Ersten Weltkriegs, der Inflation und dann der großen Weltwirtschaftskrise auf einem dezidiert politisch-ökonomischen Feld abspielten.

      Die polemische Verwendung des Namens wie der Biografie durch die Gegner ging in Deutschland wie dann später in Frankreich und Belgien mit einer Vermischung des Falles und des Namens Barmat mit anderen ähnlich gelagerten Fällen einher. Neben Julius und seinem Bruder Henry Barmat standen der schon erwähnte litauische Waffenhändler Iwan Kutisker, der ursprünglich aus Frankfurt stammende Berliner Unternehmer und Finanzier Jakob Michael sowie eine ganze Reihe anderer mehr oder minder zweifelhafter Unternehmer und Banker im Visier der Staatsanwaltschaft.23 All das hat bis heute viele Verwechslungen zur Folge, nicht nur was die Namen, sondern auch die den jeweiligen Personen zugeschriebenen Delikte betrifft. Denn Verdächtigungen und tatsächliches Fehlverhalten in dem einen Fall wurden vielfach auf andere Fälle projiziert. Darüber hinaus vermischten die Zeitgenossen unterschiedliche Sachverhalte und Zusammenhänge, in welche die Personen involviert waren und die sich im Einzelfall potenzieren konnten: Betrug, Bestechung, Konkursverschleppung, Korruption, Wucher, »Luftgeschäfte«, Spekulation sowie Kriegs-, Inflations- und Deflationsgewinnlerei. Das war ein ganzes Syndrom von realen und vermeintlichen Wirtschafts- und Finanzdelikten, die alle in einem grauen Feld zwischen öffentlicher Empörung und (Wirtschafts-)Kriminalität angesiedelt waren.24

      Ausgehend von der Geschichte Julius Barmats werden diese


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