Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?. Martin H. Geyer
einen Korrespondenten mit russischen und polnischen Sprachkenntnissen suchte.
In Rotterdam war sich der ehrgeizige junge Neuankömmling aber offenbar noch keineswegs klar darüber, wie seine Zukunft aussehen sollte. Im Hause seines Arbeitgebers etablierte sich Barmat auch dadurch, dass er dessen Tochter Rosa de Winter 1910 in London, wo er zeitweise geschäftlich tätig war, heiratete. 1912 ging aus dieser Verbindung sein einziges Kind Louis Izaak hervor. Die Heirat gab dem als staatenlos gemeldeten Einwanderer auch einen rechtlichen Schutz, was vor allem dann wichtig wurde, als in den 1930er Jahren die Staatenlosigkeit seine Existenz gefährdete. Die niederländische Staatsangehörigkeit war für ihn schon deshalb nicht einfach zu erhalten, weil seine Person bald so umstritten war. Doch auf der anderen Seite wollte Barmat auch mit der Vergangenheit offenbar nichts mehr zu tun haben. Denn die später (1920) für alle Emigranten eröffnete Option, sich für die sowjetische wie dann auch für die polnische Staatsbürgerschaft zu entscheiden, nahm er nicht wahr.
Die Arbeit für seinen Schwiegervater füllte Barmat nicht aus. Bemerkenswert früh machte er sich unabhängig und verdiente sein Geld zunächst als Lehrer für Polnisch und Russisch an der Berlitzschule, bald dann auch als vereidigter Übersetzer und Dolmetscher. Dabei arbeitete er zum einen für die Rotterdamer Polizei – später betonte er, unter der »Protektion« des damaligen Polizeipräsidenten Rotterdams gestanden zu haben. Zum anderen spezialisierte er sich auf die Übersetzung von Dokumenten havarierter Schiffe im Zusammenhang von Versicherungsfällen. Sein Einkommen soll in dieser Zeit etwa 1500 Gulden pro Monat betragen haben.
Neben diesen Tätigkeiten versuchte er von Anfang an sein Glück mit eigenen Handels-, Bank- und Immobiliengeschäften. Dazu gründete er schon 1908 eine Handelsgesellschaft mit dem Namen Julius Barmat, deren alleiniger Inhaber er war. Der Handel mit Tulpenzwiebeln, Klavieren und anderen Gütern nach Russland und in weitere Staaten war später vielfach Anlass für Spott, der Verkauf von Lotterielosen und Bankgeschäfte sorgte für Misstrauen. Diese Geschäfte waren offenbar vielfach noch mit denen seines Schwiegervaters verbunden, wenngleich dieser bald die Position eines Juniorpartners einnahm. Die Übersiedlung von Rotterdam nach Amsterdam kurz vor dem Krieg ist zweifellos ein Indiz dafür, dass Julius Barmat auf seine Selbstständigkeit pochte.
Barmat war wirtschaftlich erfolgreich. Das Kapital seiner Handelsgesellschaft Julius Barmat soll zu diesem Zeitpunkt zwischen 15000 und 20 000 Gulden betragen haben. Daneben war er zusammen mit drei Kompagnons Teilhaber der 1911 gegründeten Niederländisch-Russischen Handelskompanie, und zwar mit einem Anteil von 33000 Gulden. Offenbar trug er die Hauptlast dieser Gesellschaft, die Handel mit Russland betrieb, sodass er schon wenig später wieder austrat und die Geschäfte seiner Firma Julius Barmat übertrug. Seine Handelsgeschäfte waren profitabel, und er investierte sein Geld in Immobilien, für die er eigene Gesellschaften gründete, darunter die von ihm 1912 erworbene Grundstücksgesellschaft La Novita.
Barmat scheute sich nicht, über Geld und Besitz zu sprechen. Sein Vermögen zu Beginn des Krieges soll sich auf über 900000 Gulden belaufen haben. Das war ein deutlicher Ausweis von wirtschaftlichem Erfolg. Wie den meisten Aufsteigern und »Neureichen« fehlte dem staatenlosen Ausländer jedoch »soziales Kapital«, also ein Netzwerk von gesellschaftlichen Beziehungen. Das war in der niederländischen Gesellschaft, die weit mehr als Deutschland in distinkte, soziale und religiöse – »versäulte« – Milieus zerfiel, außerordentlich wichtig.3 Einem aus dem Ausland entstammenden Aufsteiger wie ihm schlug zweifellos Misstrauen entgegen, und das umso mehr, als er jüdischer Konfession war. Die Religion verband ihn mit seiner neuen niederländischen Familie, spielte aber für den zweifellos gläubigen Juden in der öffentlichen Selbstdarstellung zu diesem Zeitpunkt wie auch späterhin keine Rolle. Ebenso wenig gibt es Hinweise auf mögliche Verbindungen Barmats zur jüdischen Kaufmannschaft. Dagegen bot das Engagement in Handelsvereinigungen die Möglichkeit, soziales Kapital zu erwerben. So wurde Barmat Direktor des in Rotterdam ansässigen Büros zur Förderung des Handels, dann nach seiner Umsiedlung nach Amsterdam Direktor einer Handelsvereinigung für den holländischen Balkanhandel. Welche Aktivitäten er in diesem Zusammenhang entwickelte, wissen wir nicht. Es fiel ihm jedoch offenbar leicht, Kontakte zu knüpfen.
Der Weltkrieg eröffnete neue wirtschaftliche Chancen. Wie Zürich und Kopenhagen entwickelte sich Amsterdam zu einer Drehscheibe des Kriegshandels. Barmat gelang es schnell, sein eher kleines Handelsunternehmen mit der Spezialisierung auf Nahrungsmittellieferungen an die Mittelmächte auszuweiten. Ab dem dritten Kriegswinter hungerte Deutschland. Die Wirtschaftsblockade der englischen Marine zeigte ihre Wirkung, und die Nahrungsmittellieferungen aus dem Ausland, auf die Deutschland angewiesen war, stockten. Entsprechend hoch waren die Profitraten, zumal sich nun militärische und zivile Stellen in einem zeitweise chaotischen Überbietungsverfahren mit den knappen Gütern einzudecken versuchten. Die englische Blockadeverwaltung wurde auf Barmat aufmerksam und setzte ihn, wie holländische Zeitungen seit dem Sommer 1916 meldeten, auf ihre Schwarze Liste. Wer Handel mit den dort gelisteten Personen und Gesellschaften trieb, dem drohten Sanktionen.4 Das war der Grund, weshalb Barmat im Sommer 1916 seine Handelsgesellschaft Julius Barmat in die N.V. Amsterdamsche Export & Import Maatschappij, die unter dem Namen Amexima bekannt wurde, umtaufte.5 Mit einem Aktienkapital von 100000 Gulden ausgestattet, verfügte sie über Büros in einem Geschäftsgebäude an der noblen Keizersgracht 717. Der Handel mit Lebensmitteln wurde rasch weiter ausgebaut. Abnehmer waren während des Krieges vor allem deutsche und österreichische Städte und Kommunen, darunter die Stadt Leipzig, die Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine sowie die Kruppsche Wohnungsverwaltung, welche die Werksangestellten mit Lebensmitteln versorgte. Hinzu kamen Unternehmen wie die Schokoladenfirma Sarotti.6
Trotz der massiven englischen Behinderungen machte Barmat während des Krieges »große Geschäfte« und akkumulierte ein beträchtliches Vermögen. Neben der Amexima blühte seine Grundstücksgesellschaft La Novita. In deren Besitz waren das Amsterdamer Geschäftshaus der Amexima sowie das Wohnhaus der Barmats, dessen Bau eine halbe Million Gulden gekostet haben soll, in einem für den erfolgreichen Kaufmann angemessenen Wohnviertel Amsterdams. Wie Barmats Rechtsanwälte später betonten, besaß er auch eine »bedeutende Bildergalerie« im Wert von 150 000 Gulden.7 Barmat wusste um die Bedeutung dieser Form »kulturellen Kapitals«. Wie allen »Kriegsgewinnlern«, die sich mit solchen bürgerlichen Insignien umgaben, trug ihm das eine gehörige Portion Neid und Missgunst ein.
Deutscher Kollaborateur oder russischer Revolutionär?
In den Niederlanden lautete die umstrittene Frage, an welcher Kriegspartei man sich orientieren sollte, zumal Großbritannien die Meere kontrollierte und mit großer Effizienz auch in den neutralen Staaten politisch intervenierte. Julius Barmat setzte in seinem Kampf um wirtschaftliche Vorteile, die sich auch in soziale Anerkennung ummünzen ließen, auf Deutschland und die Mittelmächte. Geschäft und Politik lagen eng beieinander, politische Beziehungen waren wirtschaftliches wie soziales Kapital. Den Deutschen Auslandsvertretern in den Niederlanden war Barmat jedenfalls seit 1916 bekannt: dem Generalkonsulat in Amsterdam primär als ein aufdringlicher – jüdischer – Kaufmann, der Deutschen Botschaft in Den Haag als Unternehmer mit politischen Ambitionen, den man vor den eigenen Wagen zu spannen versuchte. Von Anfang an war Barmat für die deutschen Diplomaten aber eine undurchsichtige Person, die seit 1916/17 unter Hinzuziehung von Berichten von Wirtschaftsauskunfteien und Privatpersonen genau beobachtet wurde. So warnte man im Frühjahr 1917 in Amsterdam vor »unreellen Geschäften« Barmats, just zu einer Zeit, als »Ago« von Maltzan, damals Botschaftsrat in Den Haag, Verbindung zu Barmat aufnahm. Der Kaufmann verfügte über Kontakte zum deutschen militärischen Nachrichtendienst.8 Dem Diplomaten ging es zu dieser Zeit zum einen um die Beeinflussung der niederländischen und belgischen Presse und zum anderen um die finanzielle Unterstützung russischer, revolutionär gestimmter oder umzustimmender Flüchtlinge und Deserteure, die sich in den Niederlanden aufhielten.9 Wie die Deutsche Botschaft im März 1918 Reichskanzler Georg von Hertling übermittelte, war Barmat in Amsterdam »vorteilhaft« bekannt als ein Mann mit »beträchtlichem Vermögen«, der sich zu dieser Zeit »besonders darum bemüht[e], die russischen Flüchtlinge und Deserteure vom Eintritt in das englische und französische Heer fernzuhalten«. Darüber habe man von Barmat »wertvolle Nachrichten« erhalten.10
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