Leni Behrendt Staffel 3 – Liebesroman. Leni Behrendt
sie daher erst von einem Experten abschätzen lassen, doch dazu fehlte immer noch das Geld. Er hofft jedoch, daß nach der Ernte so viel übrigbleibt, um den Mann bezahlen zu können. Daher müssen wir ihn gewähren lassen. Kannst du das verstehen?«
»Nein, aber das ist ja auch unwichtig. Was geschieht nun mit der Truhe?«
»Die bringst du wieder her, überläßt deinem Onkel jedoch das Vorkaufsrecht.«
»Und wenn es Arvid auffällt, daß sie jetzt ein ganz anderes Aussehen hat, nachdem mein Onkel sie mit vieler Mühe reinigte?«
»Ich glaube kaum, daß er während der dringenden Arbeit draußen so viel Zeit haben wird, um sich um das Zimmer zu kümmern. Sie könnte ja bei deinem Onkel bleiben, aber wir sind neugierig auf den Inhalt.«
»Stimmt, das wäre ich auch. Ich esse nur rasch und hole die Truhe her, muß dann aber wieder nach Hause zurück, damit unser Karlchen nicht barfuß und im Unterrock in die Ehe geht. In ihrer Liebesduselei bekäme sie es glatt fertig.«
Jetzt lachte Gun schon wieder. Daß jedoch hinter diesem unbekümmerten Lachen auch ein schwerer Ernst steckte, hatte sie eben den drei andern bewiesen.
Als Stella Wiederbach durch einen Brief des Gatten von der Verlobung Karolas und von der bald darauf folgenden Hochzeit hörte, gab sie da unten im Süden sogar den Kreis gleichgestimmter Seelen auf, der sie so lange festgehalten hatte. Also erschien sie zu Hause und brachte dort alles durcheinander.
Nichtsdestotrotz fand Mitte Mai sich in dem Hause des Industriellen Wiederbach alles ein, das in der Stadt einen Namen hatte, und so kamen denn im ganzen vierzig Paare zusammen.
Schöne Menschen sah man nur wenig, häßliche schon mehr, doch am meisten war der Durchschnitt vertreten. Denn Name und Reichtum formt wohl den Menschen, kann ihn jedoch nicht zur Schönheit stempeln. Die muß ihm schon die Natur mitgeben.
Allerdings machen Kleider immer noch Leute, und da jeder größte Sorgfalt darauf verwendet hatte, gewann man den Eindruck, in dem illustren Kreis lauter schönen Menschen zu begegnen.
Die Hauptsache war natürlich das Brautpaar, das sich nun wirklich sehen lassen konnte. Mit so einem durfte Stella schon prahlen, was sie dann auch nicht wenig tat. Ihre Stimmung war glänzend, ihr Gala sehr teuer und hyperelegant.
Jedoch am schönsten unter der Weiblichkeit war die Tochter des Hauses. Die schmückte allein schon ihre taufrische Jugend, und es hätte des »Traums« eines Kleides gar nicht bedurft, um ihre köstliche Schönheit zu untermalen.
Wie ein schillernder Schmetterling mutete sie an, wie glitzernde Tautropfen die Steinchen, von denen das lichtgrüne Gewand übersät war. Bei der Trauung fungierte sie als erste Brautdame, und Baron Hörgisholm tat es als Brautherr. Und wie die Augen der Herren entzückt an dem Mädchen hingen, so hingen die der Damen an dem Mann, der seinen eleganten Frack mit Noblesse trug. All die »Schönen«, die noch zu haben waren, und mit ihnen die »unverstandenen Frauen« beneideten Gudrun Wiederbach glühend um den »Heros«, den sie auch als Tischherrn hatte.
Und wie vertraut sie mit ihm tat, wie sie ihn anlachte. Aber er schien gar nicht so besonders darauf zu reagieren. Vielleicht stimmte es doch nicht, daß er sich von dieser Circe hatte einfangen lassen.
Dann gab es noch einen, der den Damen außerordentlich gut gefiel: Rupert von Bärlitz. Das war so richtig der Feudalherr der alten Schule, zu dem das Monokel direkt gehörte.
Ferner die Baronin und die Baronesse. Für sie fand man nur die eine Bezeichnung: Vornehm. Diese Familie war nun wirklich eine Zierde der Gesellschaft. Schade, daß man selbst es nicht war, diese einführen zu können. Aber die Wiederbachs mußten ja immer etwas Besonderes haben.
Wie Stella sich tat, die natürlich den Feudalherrn als Tischherrn hatte und sich als »Brautmutter« mächtig vorkam. Der Hausherr führte die Baronin, die Baronesse ein Großkaufmann, Christine der steinreiche Antiquitätenhändler Alkwin und die Schwester des Bräutigams hatte den Oberbürgermeister der Stadt an ihrer Seite, der »um sieben Ecken« mit den Wiederbachs verwandt war, und so hatte man denn die Sippe gut untergebracht.
Der Bräutigam wurde in der Gesellschaft für vollwertig anerkannt. Denn er nannte ein stattliches Unternehmen sein eigen, hatte Geld, stammte aus bester Familie, sah außerdem auch noch schneidig aus, also konnte man ihn, gleichfalls seine Schwester, in Gnaden aufnehmen und ihnen ihre Gunst erweisen.
Obwohl Stella sich alle Mühe gegeben hatte, das Fest pompös aufzuziehen, wich es von den anderen Festen, die man sich in der Gesellschaft leisten konnte, nicht ab, es war immer und überall dasselbe. Gutangezogene Menschen, exquisites Festmahl, galonierte Diener, Künstlerkapelle und so weiter. Allerdings gab es nicht auf jedem Fest eine Hochzeit und nicht ein so glückstrahlendes Brautpaar.
Und nicht ein Mädchen, das so bitterlich weinte, als das junge Paar sich auf die Hochzeitsreise begeben hatte. Ganz versunken war Gudrun in dem Schmerz, war es doch die erste Trennung von ihrem Karlchen.
»Ja, Mädchen, warum verkriechst du dich denn in diesem Winkel?« riß eine sonore Stimme sie aus ihrem Jammer. »Ich suchte dich wie eine Stecknadel, denn der Tischwalzer hat bereits begonnen. Nun sitzt du hier und weinst – wie töricht, Gun.«
»Sei doch still!« blitzte sie ihn an. »Was weißt du, wie es ist, wenn man den Menschen an einen andern hergeben muß, den man bisher als sein Eigentum betrachtete, aber du hast ja anstatt eines Herzens einen Eisklumpen in der Brust. Laß mich in Ruhe!«
»Nach dem Walzer.«
»Ich habe keine Lust zu tanzen.«
»Schön. Dann setz’ ich mich zu dir und weine mit.«
»Arvid, du bist doch ein ganz gräßlicher Mensch!« mußte sie nun doch lachen, während ihre Augen noch in Tränen schwammen. Sie stand auf, legte ihre Fingerspitzen auf seinen Frackärmel und folgte ihm in den Saal, wo sich die Paare nach den Klängen des Walzers »Gold und Silber« munter drehten.
Es war ein prächtiges Bild. Hell erstrahlten die Lüster, spiegelblank glänzte das Parkett. Blütenweiß schimmerte die Hemdbrust der Herren, tiefschwarz das Tuch des Fracks. In allen Farben leuchteten die Festgewänder der Damen, der Schmuck gleißte – ein Bild der Kultur und des Reichtums.
Die schmeichelnde Weise des Walzers vor sich hin summend, zog Baron Hörgisholm die bezaubernde Tochter des Hauses in den Kreis der Tanzenden, legte seine Hand zart um die grazile Mitte. Sie boten unbestritten das schönste Paar im Saal und tanzten beide vorzüglich. Zuerst sah das Mädchen noch unbekümmert zu dem Mann auf, doch dann – ja, dann ging das plötzlich nicht mehr.
Mein Gott, ich liebe ihn ja – dachte sie mehr entsetzt als beglückt. Das darf doch aber nicht sein. Wohin soll das wohl führen? Zum Glück doch bestimmt nicht. Sei also hübsch vernünftig, du törichtes Herz.
Ein gar unbilliges Verlangen. Seit wann ist ein Herz denn vernünftig. So was gab’s noch nie und wird es wahrscheinlich auch nie geben.
»Ja, sag mal, warum trittst du mir plötzlich so hartnäckig auf die Füße?« fragte Arvid lachend, und das gab ihr das Gleichgewicht zurück, das wohl eine Minute lang in Verwirrung geraten war. »Geschieht es aus konstanter Bosheit?«
»Nur«, konnte sie ihn nun schon wieder freien Blickes anlachen. »Ich möchte, daß du den Tanz beendest.«
»Nanu, tanz’ ich denn so schlecht?«
»Ja.«
Jetzt lachte sie über sein verdutztes Gesicht so frischfröhlich heraus, daß es wie ein lustiger Kobold über die steife Gesellschaft hüpfte. Und dieses Lachen verscheuchte auch den letzten Rest von Gefühlsduselei, wie Gudrun ihre vorherige Verwirrung bezeichnete.
Und doch war sie froh, daß die zärtliche Weise verklang. Als die Baronin am Arm des Hausherrn vorüberging, hakte Gudrun sich in ihren Arm, als müßte sie bei ihr Schutz suchen.
»Na, du Irrwisch«, strich die Dame eine fürwitzige Locke aus dem heißen Gesichtchen. »Du glühst ja wie ein Röschen. War der Tanz mit meinem langen Schlingel denn so anstrengend?«