Bierbrauerblues. Natascha Keferböck
holt tief Luft. »Der macht Stress … Aber ich blick da nicht durch.«
»Bin gleich da«, geb ich ihr knapp Bescheid.
»Du kommst doch morgen, oder? Trotz Fußball und obwohl es unter der Woche ist?«, fragt die Marie noch rasch, während sie sich wieder aufrichtet und mir dabei einen beinahe flehenden Blick schenkt.
»Aber natürlich. Einen Riegler Max im Anzug lass ich mir bestimmt nicht entgehen«, grinse ich spöttisch.
Die Marie weicht etwas erschrocken zurück und lässt ihre Mundwinkel traurig nach unten hängen. Schuldbewusst denke ich mir, dass ich wohl kein angenehmes Bild vor ihrem inneren Auge heraufbeschworen habe. Der Max ist nämlich noch um einiges gewichtiger als meine Schwester, und trotzdem ist sein beinahe quadratischer Kopf zu seinem Körper noch immer überproportional groß. Und als Draufgabe hat der liebe Gott ihn äußerst kurz geraten lassen, ihm schütteres schwarzes Haar, rosige Haut und ewig gerötete Wangen verpasst. Die beeindruckende Bierwampe auf seinen zwei dünnen Beinen hat er sich allerdings ausschließlich selbst zu verdanken. Und als wäre das noch nicht genug, kann der Max neben seiner nicht eben ansprechenden äußeren Erscheinung auch einen bemerkenswert unangenehmen Charakter vorweisen – finde ich jedenfalls. Ich hab den Kerl noch nie gemocht. Cholerisch, laut und rüpelhaft sind die schmeichelhaftesten Eigenschaften, die mir auf Anhieb zu ihm einfallen. Es hilft alles nichts: Er ist ein Prolet, wie er im Buche steht. Das einzig Positive, was ich mit dem Max in Zusammenhang bringen kann, ist sein Bier. Sein Brauwirtshaus produziert das beste weit und breit.
Und trotzdem wundere ich mich einmal mehr darüber, wie es möglich ist, dass dieser Kerl morgen eine Frau wie die hübsche Marie vor den Traualtar führen wird.
»Ich würd mich freuen, wenn du, der Felix und die Gabi mit dabei wärt. Schon allein, weil ich die Sabine so gemocht hab.« Die Marie spricht ganz leise, aber dennoch war das jetzt bei mir das falsche Wort zur falschen Zeit. Über die Sabine will ich nämlich auf keinen Fall reden, schon gar nicht mit der Marie.
Also lasse ich rasch den Motor an, bevor sie noch sentimentaler werden kann. »Dann bis morgen, Marie. Der Felix freut sich schon drauf, sich am Spielplatz vom Rieglerbräu auszutoben.«
Ich fahre los und beobachte, wie die Marie, die jetzt gar nicht mehr fröhlich wirkt, im Rückspiegel immer kleiner wird. Kein Wunder, ich wäre auch nicht glücklich, wenn ich einen wie den Max heiraten müsste. Warum diese Frau das wohl tut? Quasi über Nacht hat sie sich entschieden, den Brauwirt-Zwerg zu ehelichen. Niemand im Ort hat auch nur andeutungsweise etwas von einer Romanze zwischen den beiden mitbekommen, was bei uns in Koppelried an und für sich völlig unmöglich ist. Trotz stolzen sechstausend Einwohnern weiß bei uns jeder alles über jeden. Aber die Marie war schon immer eigenartig, denke ich mir. Ich kenne sie schon fast mein ganzes Leben lang, da sie als kleines Mädchen zu ihrer Tante nach Koppelried gezogen ist. Schon in der Schule hat sie sich immer abgesondert, war eine Streberin, die kaum Freunde hatte. Nach der Matura ist sie sofort in die Stadt gezogen und hat sich bei uns im Ort kaum mehr blicken lassen. Die meisten Leute hier halten sie heute noch für hochnäsig und eingebildet. Für die gehört sie einfach nicht hierher.
Ich biege am Bründlhof, unserem neuen und einzigen Hotel im Ortskern, links ab. Der Wellness-Tempel wurde im Frühjahr eröffnet. Seit der Bürgermeister den Tourismus erfolgreich angekurbelt hat, schießen auch kleine Pensionen in und um unseren Ort herum wie Pilze aus dem Boden. Zahlreiche Wander- und Radwege zum nahen Nockstein, Klausberg und Gaisberg, ein neuer professioneller Mountainbike-Park, Pferdekutschenfahrten und eine künstliche Eislaufbahn locken winters wie sommers jetzt auch bei uns vermehrt Touristen an.
Ein paar Minuten später nehme ich den Fuß vom Gas und fahre mit gemütlichen dreißig Stundenkilometern am Kindergarten vorbei. Im Garten davor spielen mehrere Mädchen und Buben, aber meinen kann ich nicht gleich ausmachen. Der Felix hat seine Mutter kaum kennengelernt. Als der Kleine zehn Monate alt war, ist sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Damals haben wir noch in der Stadt gewohnt, und die Sabine war zu diesem verfluchten Klassentreffen in Koppelried gefahren. In geselliger Runde hat meine Frau gerne das eine oder andere Glas getrunken und es leider an diesem Abend übertrieben, sodass sie mit null Komma neun Promille ins Auto gestiegen ist. Wie so oft hier bei uns regnete es auch in dieser Nacht in Strömen, und die Sabine war nie eine besonders gute Autofahrerin. Auf der Bundesstraße kam sie ins Schleudern und krachte frontal gegen einen Baum. Der Arzt meinte, sie sei sofort tot gewesen. Ich hoffe, das stimmt.
Wegen ihres plötzlichen Todes bin ich also von Salzburg nach Koppelried zurückgekommen; allein kam ich mit dem Baby in der Stadt einfach nicht klar, das muss ich wohl zugeben. Mehr oder minder unfreiwillig bin ich so vom coolen Kriminaler in Zivil zum Inspektionskommandanten in Uniform mutiert. Den Wechsel auf die Koppelrieder Inspektion haben meine Kollegen vom LKA, allen voran mein alter Spezl Markus Buchinger, zusammen mit meiner Schwester eingefädelt. Seitdem unterstützt die Gabi mich und meinen Sohn rund um die Uhr. Mehr als uns drei braucht es auch nicht, wenn es nach mir geht. Wobei ich anmerken muss, dass ich trotz der Umstände kein Kostverächter bin. Der Andi, mein bester Freund, meint, ich komme wegen meines frechen Grinsens, den dunklen Locken und blauen Augen so gut bei den Frauen an. Die Weiber stehen auf diese Kombi, sagt er. Allerdings mache ich den Frauen nie vor, ich würde eine Beziehung mit ihnen wollen.
Und trotzdem macht mir im Moment meine letzte Eroberung das Leben schwer. Die Betty, eine Salzburgerin, die ich bei meinen Streifzügen mit dem Andi aufgerissen habe. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren ist sie ganze dreizehn jünger als ich und hat zweifelsfrei ihre Vorzüge. Aber aus irgendeinem mir unerklärlichen Grund bildet sie sich ein, die einzige Frau auf der Welt zu sein, die mein Junggesellendasein beenden kann.
Im Wachzimmer kommt mir schon der Schorsch grinsend entgegen und setzt sich die weiße Polizeikappe auf. »Auch einen Leberkas, Chef?«
Da unsere Inspektion neben Koppelried auch für die kleinen Gemeinden Moosbach und Ipferdingen zuständig ist, schieben trotz aller Rationalisierungsmaßnahmen nebst meiner Person immer noch fünf Polizisten ihren Dienst: der Bruder meines besten Freundes Andi, Gruppeninspektor Georg Baumgartner, den alle nur »Schorsch« nennen. Bezirksinspektor Herbert Lederer, dem nur mehr zwei Jahre bis zur Pensionierung fehlen. Gruppeninspektor Heinz Rohrmoser, der in meinem Alter ist, und die beiden jungen Revierinspektoren Sandra Obermüller und Michel Haslauer. Letzterer wird uns wohl bald verlassen, da er sich für die Spezialausbildung zum Kriminalpolizisten gemeldet hat. Und nicht zu vergessen, erleichtert vor allem mir unsere Verwaltungsangestellte Gerti Schwaiger mit ihrem fröhlichen Wesen und ihrer mütterlichen Art den Arbeitsalltag massiv.
Da entdecke ich den alten Haubner. Er sitzt in seinem obligatorischen blauen Lagerhausmantel, ohne Hose, aber dafür mit weißen Tennissocken und alten Ledersandalen auf dem Stuhl vor Sandras Schreibtisch. Normalerweise nimmt der phlegmatische Schorsch die Anzeigen vom Haubner auf, aber heute haut selbst er ab. Es muss ziemlich schlimm sein.
»Nein«, brumme ich den Schorsch an, um mich schon mal in die richtige Stimmung für den alten Querulanten zu bringen.
Unser Gruppeninspektor zuckt unbeeindruckt mit seinen breiten Schultern und verschwindet fröhlich nach draußen.
Voller Ungeduld dreht der Haubner seinen grünen Jägerhut in den Händen. Dabei gähnt er ausgiebig, die einschläfernde Wirkung von Sandra hat sich also schon voll entfaltet. Unbeweglich sitzt sie da, ihre rechte Hand verkrampft auf der Computermaus, und starrt mit offenem Mund auf den Bildschirm. Ein lang gezogenes »Ahhhhhhhhhhhhh« entweicht ihr.
Ich gehe zum Schreibtisch und tippe ihr von hinten auf die Schulter. In Zeitlupe dreht sie sich um, hält mir die Maus vor die Nase und schüttelt den Kopf.
»Ich find da in unserem System … überhaupt … nix meeehr.«
Woraufhin am Schreibtisch hinter der Sandra der Rainer, unser Praktikant, den ich vorher vergessen habe zu erwähnen, wie blöd loskichert. Vor Kurzem hat er ein zwölfmonatiges Verwaltungspraktikum im Bundesdienst an der Landespolizeidirektion Salzburg begonnen, während dem die Praktikanten unter anderem Zeit in Inspektionen verbringen.
Ich drehe mich entnervt zu ihm um. »Warum nimmst eigentlich nicht du die Anzeige auf, Rainer?«, fauche ich ihn an.