Bierbrauerblues. Natascha Keferböck
Die Renate tanzt gar nicht schlecht, denke ich mir, wie ich sie so beobachte. Taktgefühl halt.
Irgendwann habe ich genug von dem ganzen Theater und beschließe, nach einem letzten Bier endgültig die Kurve zu kratzen. Wie aufs Stichwort rauscht Kellnerin Kathi mit einem vollen Tablett und extrem finsterer Miene an mir vorbei. Schon vorher ist mir aufgefallen, dass sie heute entgegen ihrer sonstigen Art äußerst unfreundlich und ruppig ist. Kein Wunder. Garantiert und nicht ohne Grund hat sie gehofft, selbst eines Tages auf dem Platz der Marie zu sitzen. Im Vorbeischlängeln nehme ich der Kathi eine Halbe Bier vom Tablett und grinse sie so nett an, dass sie mir nun doch ein schiefes Lächeln schenkt.
»Aber, Raphi, das ist doch bestellt.« Das hübsche Mädel blickt mir tief in die Augen.
Doch die Kathi war mir noch nie eine Sünde wert, an der war mir schon viel zu oft der Riegler dran. Also grinse ich sie noch zwei Sekunden länger an und suche dann schnell das Weite. Mit Bier.
Erleichtert lasse ich mich neben dem Andi nieder, der jetzt offensichtlich seinerseits die Kathi im Visier hat und sie ausgiebig beim Servieren beobachtet. »Deinen Erfolg hast du bloß deinem Wuschelhaar zu verdanken, Raphi. Das macht die Weiber ganz narrisch. Obwohl, die Marlene hat wohl nicht angebissen, oder?« Er zwinkert mir zu.
»Spinnst du?«, rege ich mich auf. »Das Mädel steht doch noch unter Naturschutz.«
»Aber geh, mein Lieber, die ist schon fast so alt wie deine Betty.« Der Andi grinst von einem Ohr zum andern.
»Du bist so ein Depp!«, schreie ich, um gegen die Musik eine Chance zu haben.
Weiter komme ich allerdings nicht, weil die Gabi energisch auf sich aufmerksam zu machen versucht. Seufzend erhebe ich mich und wandere mit meinem Bierglas zu ihr und der Marie. Ich kann gar nicht so schnell schauen, wie mich meine Schwester schon unsanft auf den Stuhl neben die Braut drückt.
»Vertritt mich mal kurz, kleiner Bruder! Ich muss dringend aufs Klo, und inmitten all der Deppen hier kann man die Marie ja keine Minute alleine lassen!«, schreit sie und zieht von dannen.
Was mir eigentlich gar nicht recht ist. Die Marie und ich starren betreten in unsere Gläser.
»Tut mir leid«, sagt sie dann doch gedehnt.
»Was denn?«, frage ich erschrocken. Sie soll mich jetzt bloß nicht volljammern. Der Max ist ihr Problem, nicht meines.
»Dass die Gabi dich zu mir abkommandiert hat, meine ich. Ich nehme an, du wolltest nix wie weg von hier«, sagt sie und lächelt dabei sogar zaghaft. »Glaub mir, ich kann dich nach der unsagbar peinlichen Vorstellung gerade eben gut verstehen.«
Weil mein Bier auf wundersame Weise verdunstet ist, winke ich dem Gregor, dem Lehrbuben der Wirtschaft, und nehme ihm zwei kleine Biere vom Tablett. Ich will es ja nicht übertreiben.
Eins davon schiebe ich der Marie hin, proste ihr mit meinem grinsend zu und finde meine Stimme wieder. »Also, jetzt, wo der Max nicht mehr da ist, sehe ich eigentlich keinen Grund mehr, schon nach Hause zu gehen.«
Wir stoßen an und müssen beide lachen. Die Marie greift sich an die Stirn, und ich bemerke, dass sich aus der furchtbaren Frisur bereits mehrere ihrer umwerfenden blonden Locken befreit haben.
»Was habe ich mir bloß bei der ganzen Sache gedacht?« Jetzt klingt ihr Lachen beinahe hysterisch.
Ich nehme noch einen kräftigen Schluck, stehe auf und greife nach ihrer Hand. »Weißt du was? Ich entführe dich jetzt, ist doch so Brauch.«
Erstaunt verstummt sie.
»Eigentlich muss man auf einer Hochzeit ja die Braut entführen und nicht den Bräutigam, und was die vom FC können, das kann ich schon lange. Komm, Marie.« Ich ziehe sie vom Stuhl in Richtung Tanzfläche, und sie stolpert hinter mir her. In dem Tumult, der um uns herum herrscht, scheinen wir niemandem aufzufallen.
Endlich im Freien laufen wir durch den Gastgarten zum großen Parkplatz. Zum Glück habe ich dem Schorsch vorhin den Schlüssel von seinem Multipla abgeknöpft, weil er mir schon zu viel getrunken hatte, sodass ich der Marie jetzt galant die Tür öffnen kann. Ich nehme auf dem Fahrersitz Platz.
Die Marie kichert neben mir wie eine Zwölfjährige. »Und was machen wir jetzt?« Sie sieht mich fragend an.
»Na ja …« Ich überlege fieberhaft. Bei uns im Ort ist heute logischerweise alles geschlossen. »Nach Salzburg fahren natürlich.«
Wobei ich die Jakobi Stubm, mein Stammlokal und bestes Jagdgebiet, vergessen kann. Bei meinem Glück würde mir dort noch die Betty über den Weg laufen. Aber in dem Sportpub in der Nähe vom Volksgarten treffe ich garantiert niemanden. Dort war ich bisher nur ein einziges Mal, weil ich die Gesellschaft von grölenden Fußballfans nicht so sehr schätze. »Ins Chelsea!«, rufe ich also und starte den Motor.
»Was? Fußball schauen?« Entgeistert blickt mich die Marie an, ihr ist die Bar wohl durch den Max ein Begriff. Sekunden später kann sie sich vor Lachen nicht mehr halten. »Wenn ich dem Max davon erzähle, der packt das nicht. Während er Fußball schaut, fahr ich mit dir Fußball schauen.«
Fröhlich brettern wir Richtung Stadt. Wegen der paar Bier, die ich intus habe, mache ich mir keine Sorgen, ich kenne genug Salzburger Kollegen.
Das Pub ist randvoll, besonders unsere bajuwarischen Nachbarn tummeln sich im Chelsea. Allerdings schaut man hier nicht die Bundesliga, sondern irgendein Spiel aus der Champions League.
Als die Gäste die Marie im Brautkleid sehen, gibt es ein großes Hallo. Bereits im Auto hat sie ihre furchtbare Frisur zunichtegemacht, indem sie geschätzt tausend Haarnadeln herausgezogen hat, sodass ihre unglaublichen Locken ihr jetzt beinahe bis zum Hintern fallen. An einem der Tische schieben die Kerle sofort die leeren Gläser zur Seite und heben die Braut, die zwei aufregend hübsche Beine übereinanderschlägt, auf die Tischplatte. Nur kurz darauf fällt ein Tor, und alle fangen an zu jubeln. Auch die Marie, obwohl sie wahrscheinlich so wie ich keine Ahnung von dem Spiel hat. Sie hat leicht gerötete Wangen, bestimmt von der Hitze hier im Raum, vom Alkohol und vielleicht auch wegen mir.
Schon komisch, denke ich mir. Es gab mal eine Zeit, noch lange vor der Sabine, da hat mir die Marie ausnehmend gut gefallen, aber ich bin irgendwie nie an sie rangekommen.
Und heute? Heute sitzt sie im Brautkleid vor mir auf einem Bartisch, ist ausgelassen wie ein junges Mädel, lacht kokett, pfeift auf zwei Fingern, und ihr Kleid rutscht immer höher.
Nicht nur wegen der Hitze im Raum wird mir extrem heiß, und ich spüre, wie ich richtiggehend spitz werde. Wir sind schon eigenartig, wir Männer, denke ich mir und verschwinde rasch auf die Toilette, wo ich mir kaltes Wasser ins Gesicht klatsche.
Als ich zurückkomme, kollidiere ich mit Germany’s Next Topmodel. Ein großes brünettes Mädchen, das sich zu mir umdreht und mir zuprostet. Sie hat eine riesige Klappe und einen urbayrischen Dialekt. Schnell schaue ich in Richtung Marie, die gemeinsam mit einer halben Kompanie Männer noch immer das Fußballspiel verfolgt. Ein blonder Bajuware versucht immer wieder, seinen Arm um ihre Hüfte zu legen, was die Marie lachend, aber bestimmt abwehrt. Schaut ganz so aus, als käme die auch ohne mich zurecht.
Die Brünette nippt an einem Alcopop und flirtet mich an. Ich erfahre, dass sie aus München ist und hier bei irgendeinem TV-Sender jobbt. Glaube ich zumindest, denn der Arm vom Bajuwaren liegt jetzt schwer um Maries Hüfte, und der Kerl drückt sich immer näher an sie heran, was mich ablenkt.
»Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?« Die Brünette rammt mir sanft ihren Ellenbogen in die Seite.
»Entschuldige mich bitte kurz«, antworte ich, stelle meine Bierflasche ab und drängle mich genervt an den anderen Gästen vorbei zu Marie. Die Speckfinger von diesem Typen werden immer länger in Richtung Maries Busen, es reicht wirklich. Wie ich energisch seinen Arm von ihrer Hüfte ziehe, dreht sich der Typ erbost um und taxiert mich kurz. Aber da ich einen guten Kopf größer bin, lässt er lieber bleiben, was er gedacht hat. Gut so, der soll sich ja nicht mit mir anlegen, diese bayrische Weißwurst. Da schießt schon wieder jemand ein Tor, und der Typ scheint den Tränen nahe zu sein.