Bierbrauerblues. Natascha Keferböck
Wort bei der Predigt kostet ihn ein Mittagessen, das nicht ich koche. Wirst sehen, der wird sich gewaltig zusammenreißen.« Sie lacht spitzbübisch und zwängt den Felix ins schon etwas zu enge Sakko. »Und jetzt schlüpfst du noch in die Hose und ziehst deine schwarzen Schuhe an.« Meine Schwester streicht ihm lächelnd übers Haar, und der Felix hüpft übermütig auf einem Bein zum Tisch, wo seine Hose liegt. Brav zieht er sie an, während die Gabi kurz ihren Zeigefinger ableckt, um mir gleich darauf damit die Haare aus der Stirn zu streichen. Als ich ihr gekonnt ausweiche, weil ich das nicht leiden kann, reckt sie streng den noch feuchten Finger in die Höhe. »Dann bind dir halt wenigstens eine Krawatte um, Raphi.«
»Nur über meine Leiche«, antworte ich und öffne demonstrativ noch einen weiteren Hemdknopf.
Überraschend leichtfüßig kniet sich die Gabi gerade nieder, um dem Felix seine Schuhbänder zuzubinden, als die Tür aufgeht und einer meiner Polizisten, der riesige Schorsch, im Trachtenanzug hereinkommt. Keiner drückt bei uns die Klingel, weil wir unser Haus so gut wie nie abschließen.
Hinter ihm steckt auch schon der Andi, Gymnasialprofessor und seit jeher mein bester Freund, den Kopf durch die Tür. Der Andi und der Schorsch sind Brüder, beide Junggesellen aus Überzeugung und wohnen immer noch bei ihrer Mutter. Zum Leidwesen vom Schorsch wurde er von seiner Mutter zum Besuch der Hochzeit beinahe genötigt und muss wie ich und die Mehrzahl der Kollegen nun einen Urlaubstag dafür opfern. Nur die Sandra und unser altgedienter Bezirksinspektor Herbert schieben heute Dienst. Weil die Sandra keine Koppelriederin, sondern Ipferdingerin ist, wurde sie sowieso nicht zur Hochzeit eingeladen, und dem Herbert ist, ähnlich dem Schorsch, jede Ansammlung von mehr als zehn Menschen zuwider.
»Hoch mit euren Hintern und ab die Post, es geht gleich los«, sagt der Andi und schaut dabei ungeniert meiner Schwester aufs Gesäß, etwas zu lüstern für meinen Geschmack.
»Gabi, wenn ich das sagen darf: Ein sauberes Weiberleut bist heut. Respekt.« Er leckt sich demonstrativ über die Lippen, und ich muss an die Mädels mit maximal fünfzig Kilogramm Lebendgewicht denken, die der überzeugte Junggeselle sonst so abschleppt.
Der Schorsch tippt sich an die Stirn. »Spinner seids ihr, alle miteinander.«
Endlich quetschen wir dreieinhalb uns auf die Rückbank des hässlichen Fiat Multipla vom Schorsch und fahren die paar Meter zur Kirche. Die Gabi darf natürlich wie immer vorne sitzen.
Ich drücke gegen die Kirchentür, um sie unter Quietschen zu öffnen. Wir sind wieder einmal die Letzten. Pünktlichkeit ist nicht gerade die Stärke der Aigner Gabi. Heute ist die Kirche zum Bersten voll. Es scheint, kaum jemand in Koppelried will sich dieses Schauspiel entgehen lassen.
Mit hoch erhobenem Haupt stolziert die Gabi den Mittelgang entlang, und wir traben ihr hinterher. Mangels Verwandtschaft vom Riegler und der Marie sind auch die vordersten Plätze nur von Einheimischen besetzt. Die zweite Reihe wurde wie immer für die Gabi frei gehalten, also können wir vorne Platz nehmen und überlassen der Gabi gerne die Poleposition am Gang.
Weil der Pepperl, der bereits vorne am Altar steht, meiner Schwester erfreut zuwinkt, drehen sich der Riegler Max und sein Trauzeuge, der versoffene Rauchfangkehrer Hödlinger, genervt zu uns um. Als der Max die Gabi erblickt, zuckt er etwas zusammen. Tja, vor meiner Schwester hat selbst ein Riegler Respekt.
Die Renate, unsere Organistin, beginnt wie wild in die Tasten zu hauen, und ich schiele eifersüchtig zum Schorsch. Beneidenswert, zwei Takte Orgelmusik und er schläft.
Da quietscht wieder die Kirchentür, und alle Köpfe drehen sich nach hinten zur Marie, die am Arm ihres Onkels den Gang entlangschreitet. Der klein gewachsene Steinhauser Hansl ist der jüngere Bruder von Maries verstorbenem Vater. Die Braut sieht im Gegensatz zum Bräutigam sehr gut aus. Wie eigentlich immer, denk ich. Sie trägt ein einfaches weißes Kleid, ganz ohne Schnickschnack, das ihr knapp bis zu den Knien reicht. Dafür mit einem genialen Ausschnitt, der ihren schönen Busen ins rechte Licht rückt. Nur ihre Frisur ist nicht wirklich gelungen, ihre schönen blonden Locken sehen aus, als wären sie am Kopf festgetackert.
Kurz wende ich mich von dem Anblick ab und nehme dem Felix mein Handy weg, das er mir aus der Sakkotasche stibitzt hat, um zu spielen.
Als ich wieder aufschaue, ist die Marie vorne beim Max angekommen, und der Hansl stellt sich neben den Rauchfangkehrer. Der Max grinst selbstzufrieden. Sein hellblau schimmernder Anzug lässt ihn noch breiter als sonst aussehen, ein rot glänzendes Gilet spannt sich um seinen massigen Bauch. Seine wenigen verbliebenen Haare sind an den Kopf gegelt, und sein Gesicht ist wie immer vom ständigen Alkoholgenuss puterrot.
Das Brautpaar setzt sich rasch auf die vor dem Pfarrer aufgestellten Stühle. Wahrscheinlich, weil sonst auch der Letzte in der Kirche merken würde, wie klein der Max neben der Marie ist.
Dann fängt der Pepperl im Hintergrund zu schwafeln an. Neben mir gähnt der Andi vorsichtshalber schon mal, zieht verstohlen sein Handy aus der Tasche und beginnt zu spielen. Als mein Sohn wütend die Arme in die Seite stemmt, lässt der Andi sofort schuldbewusst das Telefon wieder zurückgleiten. Weil dem Felix offenbar langweilig ist, klettert er auf meinen Schoß. Um den kleinen Kerl bei Laune zu halten, zähle ich mit ihm zusammen die kleinen Steinfliesen auf dem Kirchenboden. Aber der Felix kichert und wird beim Zählen immer lauter, zu flüstern liegt ihm nicht so.
Als der Pepperl den Kopf zu uns dreht und hüstelt, errötet mein Vater vor Scham, und die Gabi versetzt mir einen warnenden Stoß in die Rippen. Schuldbewusst bedeute ich dem Felix mit dem Zeigefinger am Mund, leise zu sein, woraufhin er von meinem auf Gabis Schoß klettert. Der ist sowieso weicher und bequemer, und in null Komma nix ist der kleine Kerl eingeschlummert.
Der Pepperl predigt immer noch, als hinge sein Leben davon ab. Wahrscheinlich, weil die Gabi aufmerksam zuhört, dass er nur ja nichts Falsches sagt. Aber er dürfte seine Sache gut gemacht haben, denn am Ende macht die Gabi ein zufrieden grunzendes Geräusch. Ich muss zugeben, ich habe wie üblich, wenn ich mal in der Kirche bin, kein einziges Wort mitbekommen.
Es ist etwas später am Abend, und mein Vater ist mit dem Felix schon nach Hause gegangen, damit die Gabi und ich länger auf der Hochzeit bleiben können. Eines muss ich ihm lassen: Seine Rolle als Opa beherrscht er um Klassen besser als seinerzeit die des Vaters.
Die Ipferdinger Beverly Brothers spielen zum gefühlt siebzigsten Mal die Hochzeitspolka in einer Lautstärke von über hundertzwanzig Dezibel. Die Koppelrieder machen das, was sie so tanzen nennen, und hüpfen zwischen den Tischreihen und auf der Tanzfläche im großen Saal auf und ab wie die Idioten.
Da ich wegen der lauten Musik ohnehin kein Wort verstehen kann, habe ich mich aufs Beobachten verlegt. Zum Beispiel sehe ich, dass die Gabi an Andis Schulter lehnt und der alte Schwerenöter seine Hand auf dem Knie meiner Schwester hat. Um dem ein Ende zu machen, nehme ich ein paar Kaffeebohnen von der Tischdekoration und schnippe ihm die Dinger mit warnendem Blick gekonnt gegen die Stirn. Der Andi erschrickt und zieht seine Hand sofort zurück. Allerdings bin ich dafür jetzt dem verärgerten Blick der Gabi ausgesetzt.
Um dem zu entkommen, brülle ich den Schorsch neben mir an, ob er nicht mit mir zur Bar gehen will. Der schaut kurz verständnislos von seinem Bier auf, zuckt mit den Schultern und greift sich an die Ohren. Ich kapiere – er versteht nichts. Dann starrt er wieder wie hypnotisiert auf den Schaum seiner mittlerweile siebten Halben, der langsam in sich zusammenfällt.
Geh ich eben allein, denke ich mir, nehme mein Bier und begebe mich durch die offene Schiebetür in die Schankstube. Im Saal und an der Schank ist es gesteckt voll und ziemlich heiß, obwohl alle Terrassentüren weit geöffnet sind. Trotz der schwülen Sommernacht ist der Garten heute für Gäste gesperrt, wohl zur Entlastung des Servierpersonals. Dass das was bringt, wage ich zu bezweifeln, denn augenscheinlich ist ganz Koppelried auf dieser Hochzeit. Kein Wunder, schließlich lässt der Riegler sich nicht lumpen und zahlt heute alles.
Geschickt schlängle ich mich an den Tanzwütigen vorbei in Richtung Renate, weit genug von den Lautsprecherboxen der Band entfernt. Ich mag unsere Organistin. Zwar redet sie gerne und viel, ist dabei aber immer gut gelaunt und weiß über alle im Ort bestens Bescheid. Als positiver Nebeneffekt ist Renates Tochter ein absolutes Aha-Erlebnis, denke