Bierbrauerblues. Natascha Keferböck
Mutter. So wie das Mädel aussieht, fällt die Kleine garantiert in Andis Maximal-fünfzig-Kilo-Beuteschema. Altersmäßig steht sie zwar noch unter Naturschutz, aber schauen darf man doch. Wie heißt sie bloß noch mal?
Wie ich mich neben die Renate setze, klopft sie mir erfreut auf die Schulter. »Raphi. Wie nett, dass du uns Gesellschaft leistest. Nicht wahr, Marlene?«
Ach ja, Marlene war’s, denke ich mir und muss grinsen. Aber die Angesprochene nickt nur mit nach unten gezogenen Mundwinkeln und nippt lustlos an einem Glas Prosecco.
»Danke übrigens, dass du gestern den Haubner nach Hause geschickt hast. Sein Sohn, der Walter, ist furchtbar unglücklich, weil sein Vater so störrisch ist. Der Junior ist wirklich eine Seele von Mensch, und das, obwohl er Bauer ist. Ich weiß, man darf den Menschen eigentlich nicht mit Vorurteilen begegnen, aber der Haubner senior, der ist der personifizierte bäuerliche Starrsinn.«
»Nicht der Rede wert, Renate. Ich bin ja froh, wenn wir keine sinnlosen Anzeigen aufnehmen müssen«, versuche ich, ihren Redeschwall zu unterbrechen.
»Aber natürlich ist das der Rede wert, Raphi. Du hast ja keine Ahnung, wie diese ständigen Anzeigen mir das Leben schwer machen.«
»Vergiss doch den alten Grantscherm und angle dir einfach seinen Sohn, den Walter. Damit wärst du all deine Sorgen los.« Ich lege kurz freundschaftlich den Arm um sie, und sie lacht so laut, dass ihre Metallbrille auf der Nase wackelt.
Plötzlich steht der schmierige Sieder Hannes vor uns. Im Schlepptau hat er den Wimmerl-Roman, den Sohn vom Tischler Leitner, und die Petra, die dicke Tochter vom Eidenpichler. Mit einer sichtlich erleichterten Marlene ziehen die drei jungen Leute in Richtung Bar ab.
»Schön hast du gespielt«, wende ich mich wieder der Renate zu. »In der Kirche, mein ich.« Eigentlich ist ja eher die Renate mein Baujahr als ihre Tochter, nur ist sie halt so gar nicht mein Typ. Zerzauster Kurzhaarschnitt, dünn und ungeschminkt und mit flatternden weiten Baumwollhosen, selbst auf der Hochzeit. Unser Pfarrer Pepperl hat großzügig über ihre enge Freundschaft zu einem original Salzburger Schamanen hinweggesehen, als er die etwas eigenwillige, aber sehr talentierte Klavierlehrerin zu seiner Organistin gemacht hat.
»Tja, eigentlich hätte ich heute lieber auf einer Hochzeit mit einem anderen Bräutigam gespielt. Die Marie ist ein lieber Mensch, die hätte wirklich einen Mann verdient, der besser zu ihr passt als der ungehobelte Brauwirt«, seufzt sie und deutet nach vorne zum Brauttisch, wo die Marie ohne den Bräutigam sitzt. Der Max ist nirgendwo zu entdecken.
Angespannt presst die Braut ihre Lippen fest aufeinander, und neben ihr macht die Erni, die alte Tante vom Max, ein ebenso saures Gesicht. Die Eltern vom Max sind beide schon verstorben, sodass die Erni seine einzige lebende Verwandte ist. Seit ich denken kann, hat sie im Wirtshaus gekocht und Leute bedient, bis sie vor ein paar Jahren aus Küche und Wirtshaus mehr oder minder verschwunden ist.
»Weißt, die Leute sagen ja, der Max hat sich die Marie nur geschnappt, weil sie so klug ist«, nimmt die Renate wieder Fahrt auf. »Dabei ist die Marie auch eine ausnehmend hübsche Person. Ich kann einfach nicht verstehen, warum sie ausgerechnet unseren derben Brauwirt heiratet. Sie kann doch nicht schon in ihrem Alter in Torschlusspanik geraten sein, oder?« Verständnislos schüttelt sie den Kopf. »Eigentlich hab ich ja gedacht, dass die Moser Kathi, die Kellnerin, irgendwann mal die Wirtin wird. Stell dir nur vor, angeblich hat sie immer noch ein Gspusi mit dem –«
Weiter kommt sie nicht, da auf einmal ein ohrenbetäubender Krach ertönt. Instinktiv halten wir uns die Ohren zu, dann marschiert auch schon der gesamte FC Koppelried mit nervigen Vuvuzelas in den Saal. Trotz seines massigen Körperbaus ist der Max seit seiner Schulzeit aktives Mitglied in dem Verein.
»Eh … oooh …«, grölen die Männer, schieben dabei unsanft die Tanzenden zur Seite und steuern auf den Brauttisch zu, den besoffenen Max im Schlepptau. Die Marie blickt erschrocken auf die illustre Runde vor sich, während die Erni den Max böse anstarrt.
Als die Ipferdinger Beverly Brothers endlich aufhören zu spielen, räuspert sich der Trainer des FC, der Huber Karl, laut und zieht ein zerknittertes Blatt Papier aus seiner Hosentasche. Die Fußballer tragen alle Red-Bull-T-Shirts und schwingen wie die Deppen kleine Fahnen ihres Lieblingsvereins. Meine zwei Polizisten, der Heinz und der Michel, beides aktive FC-Mitglieder, sind auch dabei, und ich beginne, mich fremdzuschämen.
Dieses Gefühl verstärkt sich, während der Heinz dem Max das glänzende Gilet samt Hemd über den mächtigen Quadratschädel zieht. Mit nacktem Oberkörper steht der jetzt vor der Marie, seine großen Dutteln hängen über dem voluminösen Schwabbelbauch. Die Marie schließt kurz die Augen und schluckt unübersehbar schwer.
Unbeholfen zwängt mein Revierinspektor Michel den Max in ein viel zu enges T-Shirt. Was die Sache auch nicht viel besser macht, denn seine Hängebrüste zeichnen sich auch durch den Stoff aufs Deutlichste ab. Rasch greift sich die Marie Ernis Schnaps und stürzt ihn hinunter. Die alte Erni schenkt ihr einen mitfühlenden Blick. Wenigstens sie scheint die mittlerweile leidgeprüfte Braut zu verstehen.
Der Huber Karl räuspert sich erneut, bevor er loslegt: »Der Max ist jetzt im Ehestand, die Marie geht ihm ab sofort zur Hand.« Pause. Erwartungsvoll blickt er in die Menge der Hochzeitsgäste.
Verhaltenes Gelächter und etwas Geklatsche belohnen ihn. Hinzu kommen zweideutige Gesten der Fußballer, freundlich unterstützt von unseren freiwilligen Feuerwehrlern. Langsam wird die Situation so peinlich, dass ich anfange, mich zu amüsieren.
»Der Max, der ist jetzt Ehren-mit-Glied«, wieder blödes Lachen und Gegröle, »vom Fußballverein Koppelried. Somit, liebe Braut, entführen wir hier … den Bräutigam vom Tische dir.«
Lauteres Gelächter und Gewieher kommen jetzt von der schon sehr angeheiterten Menge.
Die Marie zwingt sich zu einem dünnen Lächeln, weil alle Koppelrieder im Saal sie anstarren. Der Schweiß steht ihr in kleinen Tropfen auf der Stirn.
»Für dich, Max, den besten Brauwirt hier«, Kunststück, denke ich, er ist ja auch der einzige, »ein Aufruf von uns, also folge mir.« Der Huber Karl deutet mit seinem dicken Zeigefinger Richtung Nebenstüberl.
»Der Fernseher ist schon aufgebaut, das Spiel kann beginnen, trotz Hochzeit und Braut.«
Bestimmt hat der Depp das selbst gedichtet, denke ich mir, die Qualität lässt das vermuten.
Der Max greift nach der Schnapsflasche auf dem Brauttisch, nimmt einen kräftigen Schluck und schwankt in seinem hautengen T-Shirt etwas hin und her.
»In Strömen fließt ab jetzt dein Bier, garantiert verlieren die Grazer eins zu vier. Das Ende der Steirer wirst du gleich mit uns schauen, auslösen darf die Marie dich erst im Morgengrauen.«
Jubelnd reißt der Max seine Arme in die Höhe, und jeder kann sehen, dass sich angesichts der kurzen Zeit beeindruckend große Schweißflecke auf dem T-Shirt abzeichnen. Maries Gesicht ist hingegen rot gefleckt. Wahrscheinlich hat sie eben bemerkt, dass sie den mit Abstand größten Fehler ihres Lebens begangen hat.
Neben mir schlägt sich die Renate erschrocken die Hand vor den Mund. »Mein Gott, die arme Marie.«
Zu sechst heben die Fußballer den Max hoch und tragen ihn ins Nebenstüberl, gefolgt von all den Ehemännern, die emanzipiert und mutig genug sind mitzugehen. Wie ich zu ihr rübersehe, atmet die Marie aus und sinkt in sich zusammen. Schnell bedeutet die alte Erni den Ipferdinger Beverly Brothers weiterzuspielen.
Die Band jault erneut los, und die alte Frau stapft schimpfend ins Nebenstüberl, wird aber von den Männern sofort wieder rausbugsiert. Also setzt sie sich an den Tisch der Frau Heininger, unserer Fleischhauerin, und beide schimpfen im Duett, während der Heininger traurig und sehnsüchtig die Tür zum Nebenstüberl hypnotisiert.
Neugierig drehe ich meinen Kopf wieder zur Marie. Neben ihr entdecke ich meine Schwester, die ihr beruhigend den Arm um die Schultern gelegt hat und auf sie einredet.
»Mit dem Max hat sie sich schon was besonders Unappetitliches geangelt.« Die Renate verzieht angeekelt das Gesicht, dann kommt auch schon der Haubner