Bierbrauerblues. Natascha Keferböck
an, Raphi«, meint die Marie, und das mache ich jetzt auch, während endlich die Rollläden wieder nach unten surren.
Mit Hose laufe ich raus aus dem Möbelgeschäft und gebe dem verdutzten Saububen von Roman eine Watschen, die sich gewaschen hat. Sein Handy erwische ich leider nicht. In Panik saust er auf seinem Fahrrad davon, und ich nehm mir vor, ihn mir später noch mal vorzuknöpfen.
Wütend gehe ich zurück ins Geschäft. Der Eidenpichler steht immer noch fassungslos da, während die Marie, eingewickelt in die Decke, vom Boxspringbett hüpft.
»Kannst du mir bitte was zum Anziehen besorgen, Eidenpichler?«, fragt sie.
Wie der Angesprochene sie verständnislos anschaut – schon wieder mit offenem Mund –, zeigt sie mit dem Finger nach oben. »Das kann ich ja schwer anziehen, wenn ich halbwegs unauffällig von hier verschwinden will.«
Der Eidenpichler und ich heben synchron unsere Köpfe. An einem der vielen Lampenschirme über uns baumelt wie hindrapiert das weiße Brautkleid.
Dann beginnt der Eidenpichler, sein Handy zu bearbeiten. »Hedi!«, schreit er endlich völlig entnervt hinein. »Komm sofort runter ins Gschäft und nimm eine Hose und ein Leiberl von dir mit. – Frag net so deppert, mach einfach. Und zwar flott!«
Während ich erfolglos meine Socken suche, aber immerhin meine Schuhe finde und barfuß reinschlüpfe, hüpft die Marie noch immer in der Decke zur Kundentoilette und schließt schnell die Tür hinter sich. Als ich mich zum Eidenpichler umsehe, starrt der ihr ungläubig hinterher. Mein Schädel droht zu platzen, wie ich mich nach unten beuge, um meine Schuhe zu binden. Und als mir der Eidenpichler mein grauslich versifftes Hemd vor die Nase hält, dreht es mir gefährlich den Magen um.
»Ich bin wirklich aufs Schwerste enttäuscht von dir, Aigner. Da vertrau ich dir mein Gschäft an, meine Existenz, mein Leben, damit diese elendige Saubande nachts darin nicht mehr rudelbumsen kann, und was tust du? Machst dasselbe in Grün und schüttest mir quasi als Draufgabe noch literweise Sekt und meinen hochpreisigen Gin auf das teure Bett und sonst wo hin. Da herinnen stinkt es wie in einem Puff.« Er setzt sich aufs Boxspringbett mit Komfort und Flair und legt verzweifelt seinen dicken Kopf in seine Hände. »Ich verklag dich wegen Verdienstausfall … Aigner, du Trottel. Ich verklag dich wegen Existenzgefährdung, wegen … allem.« Jetzt weint er wirklich, glaube ich.
Bevor ich ihm auch nur irgendetwas antworten kann, kommt die Hedi zur Tür herein und schaut schockiert von mir zu ihrem Mann und dann zu mir zurück.
Wortlos deute ich auf das Brautkleid am Lampenschirm und dann zur Toilette. Die Hedi ist recht fix und versteht sofort. Kurz klopft sie an die Toilettentür, bevor sie dahinter verschwindet.
»Ich zahle dir den Schaden natürlich, Eidenpichler. Und jetzt hör auf, so rumzuplärren, das ist ja peinlich«, herrsche ich ihn an, obwohl mir gleichzeitig bewusst wird, dass meine Aktion hier alles andere als astrein war. Noch immer laufen dem Eidenpichler dicke Tränen die Wangen hinunter.
»Darum geht’s doch gar net, das Finanzielle regle ich sowieso mit der Versicherung. Aber was die Leut sagen werden! Die werden mein Gschäft doch meiden wie die Pest, wenn sich herumspricht, was hier passiert ist.«
»Das spricht sich schon nicht herum, Eidenpichler«, versuche ich, ihn zu beruhigen. »Dafür sorge ich, das schwör ich dir. Gleich nachher werde ich mir den depperten Leitner-Buben schnappen. Außerdem hol ich mir die verflixte Bande, die da jede Woche bei dir feiert«, ergänze ich.
Der Eidenpichler macht kraftlos eine abwehrende Handbewegung. »Aigner, Aigner. Du hast mich ruiniert. Mein Gschäft ist für immer ruiniert«, schluchzt der dicke Kerl weiter.
Langsam geht mir seine Reaktion echt auf den Senkel, aber einfach gehen kann ich leider auch nicht. Vor allem nicht, solange die Marie noch nicht wieder aufgetaucht ist.
Ich fische das Kleid vom Lampenschirm und lege es auf den Kassentisch, weil ich nicht so recht weiß, wohin damit.
Endlich kommt die Hedi mit der Marie aus der Toilette. Letztere schaut gar nicht mehr lädiert aus, sondern wirkt sogar überraschend frisch. Jeans und T-Shirt von der Hedi könnte sie sich zwar zweimal um den Körper wickeln, aber eigentlich gibt sie darin einen recht rührenden Anblick ab. Ich bin fast versucht, meinen Arm um sie zu legen, traue mich aber dann doch nicht. Ruhig bleiben ist die Devise, Raphael Aigner, ermahne ich mich. Verlier jetzt bloß nicht die Nerven.
Also mache ich nichts weiter, als einfach nur blöd vor mich hin zu schauen. Ich habe nicht die geringste Idee, was ich in diesem Moment sagen soll.
Während ich noch überlege, geht die Marie zum Kassentisch, rollt seelenruhig ihr Kleid zusammen und tätschelt dem Eidenpichler den Arm. »Es tut mir so leid. Für den Schaden komme ich dir selbstverständlich auf.«
»Aber geh, Marie, vergiss es«, winkt der jammernd ab. »Schau lieber, dass du das mit dem Max klärst. In deiner Haut möcht ich jetzt net stecken.«
»Ganz bestimmt kläre ich das, keine Sorge.« Die Marie streicht ihm noch einmal über die Schulter, dann drückt sie mir wie selbstverständlich einen sanften Kuss auf die Wange und flüstert mir zu: »Mach dir keinen Kopf, Raphi. Das wird keine Folgen für dich haben, weder durch Max noch durch mich.«
Ich schaffe es gerade so, einfach weiter blöd dreinzuschauen. Mehr ist im Moment in meinem Zustand nicht drin.
Die Marie hingegen reicht der Hedi noch mit einem artigen »Danke schön« die Hand und verschwindet dann leise aus dem Geschäft. Durch das kleine Fenster rechts neben der Tür kann ich sehen, wie sie in der viel zu großen Hose und den weißen Stöckelschuhen über den Hauptplatz zu ihrem Haus stakst. Rasch und energisch, das weiße Bündel fest unter ihren Arm gestopft.
Die Hedi ist die Erste von uns dreien, die die Fassung wiedererlangt. »Franz, du rufst jetzt gleich die Putzfrau an, und Aigner, du verschwindest auf der Stelle.«
Massiv erleichtert komme ich ihrer Aufforderung nach, springe in den Multipla und fahre zum Fleischhauer Heininger, wo der Roman seine Lehre macht.
Als ich den Laden betrete, treffe ich auf einen extrem verkatert dreinschauenden Heininger, der mich aber trotzdem auslacht.
»Na, Aigner? Wohl auch zu lang gefeiert gestern. Schaust ja sauber lädiert aus. Nachdem die Grazer eins zu zwei gegen unsere Salzburger Buam verloren haben, hat’s kein Halten mehr geben. Meine Alte wollt mich ja erst net schauen lassen, aber was ein echter Mann ist, der kann sich halt durchsetzen.« Er lacht polternd, hört aber gleich wieder auf und greift sich an den Schädel. Anscheinend hat auch er Kopfweh.
»Wo ist dein Lehrbub, Heininger?«, frage ich kurz angebunden. »Ich muss ihn dringend sprechen.«
Da kommt der Roman auch schon aus dem Kühlraum und kriegt einen hochroten Schädel, als er mich sieht.
»Raus mit dir, Roman«, fahre ich ihn an.
»Hast was ang’stellt, du Depp?« Der Heininger zieht ihm mit der flachen Hand eine über den Scheitel. »Verschwind hinten raus mit unserem Schandi, du Rotzlöffel, du. Und sei ja kooperativ, host mich?«
Ich geh mit dem verschreckten Roman nach draußen in den Innenhof. »Her mit deinem Handy!«, brülle ich ungeduldig, bereue es aber gleich wieder, weil mein Schädel dadurch nur noch mehr schmerzt.
»Ich hab alles g’löscht, Herr Aigner«, jammert das wandelnde Eiterwimmerl. »Es tut mir so leid. Ich woaß net, was ich mir dabei gedacht hab. Entschuldigen S’ bitte, Herr Aigner.«
»Du hast die Fotos also gelöscht?«, frage ich ihn streng, aber meinem Kopf zuliebe etwas leiser.
Er wird rot und nickt eifrig.
»Egal, her mit dem Handy.« Ich halte ihm fordernd meine geöffnete Hand entgegen.
Der Bursche fischt ein nagelneues iPhone aus seiner weißen Fleischerjacke und wischt zitternd darauf herum. »Tut mir so leid, Herr Aigner«, wiederholt er schon wieder. »Tut mir echt so leid.«
Voller Ungeduld entreiße ich ihm das Handy. In der Galerie finde ich wirklich