Einfach unwiderstehlich. Andy Stanley
die Israeliten bei Aaron und forderten ihn auf: ‚Los, mach uns Götterfiguren! Sie sollen uns voranziehen und den Weg zeigen. Wer weiß, was diesem Mose zugestoßen ist, der uns aus Ägypten herausgeführt hat!‘“8
Ernsthaft?
Gott diktiert noch immer das Kleingedruckte, und sein Volk gibt bereits das erste und wichtigste Gebot auf. Wie konnte das geschehen? Aaron schlug vor:
„Eure Frauen und Kinder sollen ihre goldenen Ohrringe abziehen und zu mir bringen!“
Da nahmen alle Israeliten ihre Ohrringe ab und brachten sie Aaron. Er nahm den Schmuck entgegen, schmolz ihn ein und goss daraus ein goldenes Kalb. Anschließend gab er ihm mit dem Meißel die endgültige Form. Als es fertig war, schrien die Israeliten:
„Das ist unser Gott, der uns aus Ägypten befreit hat!“9
Was? Dieses Kalb, das du aus dem von uns geplünderten ägyptischen Gold gemacht hast, wie wir gerade gesehen haben, dieses Kalb war es, das uns aus Ägypten befreit hat?
An dieser Stelle werden die meisten von uns verwirrt. Warum sollten erst vor kurzem befreite Sklaven den Gott verlassen, der sie erst vor kurzem befreit hatte? Wie konnten sie etwas als Objekt der Anbetung annehmen, das direkt vor ihren Augen geschaffen worden war? Das ist für uns verwirrend, weil wir mit dem Glauben an einen unsichtbaren, überall-zur-selben-Zeit-da-seienden Gott aufgewachsen sind. Aber für das Volk Israel war das Neuland. Kein Objekt zur Anbetung zu haben, war für sie ebenso verwirrend, wie es auch uns, ehrlich eingestanden, in bestimmten Zeiten gehörig abgeht. Sie brauchten etwas Greifbares. Etwas Sichtbares. Etwas Feststehendes. Diese Episode ging nicht gut aus. Am Ende bedeutete es nicht nur, dass Mose eine weitere Tour auf den Berg Sinai unternehmen musste, um noch ein weiteres Paar Tafeln zu besorgen. Zum Glück kam es dabei zu einem für das untreue Volk lebensrettenden Deal, den Mose mit Gott aushandelte.
So begann Israels offizielle Beziehung zum unsichtbaren, mobilen Gott Abrahams. Von ihren ägyptischen Sklaventreibern befreit und mit Regeln fürs Leben ausgestattet, bereiteten sie sich darauf vor, das Lager abzubrechen und ihre Reise nach Norden ins gelobte Land anzutreten. Aber noch bevor sie den Sinai im Rückspiegel sehen konnten, gab Mose den Bau eines tragbaren Zeltes – das als Stiftshütte bezeichnet wird – in Auftrag, um die Tafeln mit dem heiligen Gesetz zu beherbergen. Als der Bau dieses Zeltes abgeschlossen war und die Steintafeln sicher in der dafür gebauten Holzkiste lagen, geschah etwas Außergewöhnliches. Mose beschrieb das so:
„Da kam die Wolke auf das heilige Zelt herab, und der Herr in seiner Herrlichkeit erfüllte das Heiligtum, sodass Mose nicht hineingehen konnte.“10
Gott ließ sich häuslich nieder.
Niemand trug eine tragbare Götzenstatue in die Stiftshütte und stellte sie auf einen Sockel, wie es bei den um sie herum lebenden heidnischen Völkern üblich war. Als Israels Gott davon überzeugt war, dass alles so war, wie es sein sollte, entschied er sich dazu, in der Stiftshütte zu wohnen. Er erfüllte sie mit seiner Herrlichkeit. Seiner Gegenwart. Zu seinen Bedingungen.
Aber selbst mit der Gegenwart Gottes in seiner Mitte war Israel noch nicht in der Lage, alle Völker der Erde zu „segnen“.
Fragen Sie nur mal den Pharao.
Niemand in Ägypten fühlte sich in diesem Moment „gesegnet“.
NUR EINES NOCH
Neben Moses mehrfachen Touren auf den Sinai und wieder runter gibt es noch etwas anderes, das wir modernen Bibelleser vermissen. Der Inhalt, der Wortlaut und die Anordnung der Anweisungen Gottes an Israel haben die Form eines juristischen Vertrags. Gelehrte bezeichnen diese Textart als einen Vertrag zwischen einem Feudalherren und einem abhängigen Untergebenen. Diese Form der Vereinbarung wurde von ungleichen Parteien benutzt, um die Bedingungen ihrer Beziehung festzulegen. In solch einem Vertrag diktiert ausnahmslos derjenige, der am längeren Hebel sitzt, dem Abhängigen seine Bedingungen.
Der Punkt ist, dass die Zehn oder mehr Gebote viel mehr waren als nur Gebote. Sie waren Teil eines umfassenden rechtlichen Vertrages oder Bundes zwischen Gott (dem Gebietenden) und seinem Volk. Die Schrift hat es so ausgedrückt:
„Und der HERR sprach zu Mose: ‚Schreibe dir diese Worte auf! Denn nach diesen Worten schließe ich mit dir und mit Israel einen Bund.‘“11
Die Ereignisse am Berg Sinai signalisierten den feierlichen Beginn einer Bundesbeziehung zwischen Gott und dem Volk Israel. Wie wir feststellen werden, sollte dieser Bund die Beziehung Gottes zu seinem Volk für die nächsten mehr als tausend Jahre definieren und regeln. Die wichtigsten Bedingungen finden sich in 2. Mose 19-24. Sie werden im dritten, vierten und fünften Buch Mose, die man auch Levitikus, Numeri und Deuteronomium nennt, wiederholt, erweitert und in einigen Fällen geklärt. Aber die folgenden drei Verse fassen die Hauptpunkte des Vertrages ziemlich genau zusammen:
„Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan und wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und euch zu mir gebracht habe. Und nun, wenn ihr willig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, dann sollt ihr aus allen Völkern mein Eigentum sein; denn mir gehört die ganze Erde. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.“12
Das war ein klassischer Ich-werde-solange-ihr-tut-Vertrag. Haltet meine Gebote, und ich werde euch beschützen. Das Abkommen verpflichtete beide Seiten (wenn sie sich an die Bedingungen hielten) – die einen zum Gehorsam, den anderen zum Schutz. Wenn folgerichtig Israel seinen Teil des Abkommens nicht einhielt, war Gott auch nicht verpflichtet, seinen Teil einzuhalten.
Machen wir weiter.
Schneller Vorlauf.
Israel kam schließlich sicher im verheißenen Land an. Doch sie taten nicht gerade viel, um die dort wohnenden Nationen zu segnen. Stattdessen eroberten und plünderten sie alles, was sich ihnen in den Weg stellte.13 Nach mehreren Generationen, während derer Israel in einer Theokratie lebte, locker organisiert und von Richtern und Richterinnen geführt, entschieden die Ältesten des Volkes, dass es Zeit für etwas Neues wäre. Israel sollte und wollte nun erwachsen werden und damit beginnen, sich „wie alle Völker“ in der Nachbarschaft zu verhalten.14 Dazu war ein König nötig. Ein sichtbarer König.15
KÖNIGE UND ANDERE WÜNSCHE
Es war nie Gottes Absicht, dass Israel einen anderen König als ihn selbst haben sollte. Aber all die coolen Völker ringsum hatten Könige. Deshalb bedrängten die Ältesten und die Führer der Nation den Propheten Samuel damit, dass er einen König ernennen solle. Samuel fragte bei Gott nach und erhielt eine deutliche Antwort:
„Höre auf die Stimme des Volkes in allem, was sie dir sagen! Denn nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen, dass ich nicht König über sie sein soll.“
Autsch!
„Erfülle ihnen nur ihren Wunsch! Nicht dich lehnen sie ab, sondern mich. Ich soll nicht ihr König sein! Seit ich sie aus Ägypten herausgeführt habe, sind sie mir immer wieder untreu geworden und haben sich anderen Göttern zugewandt. Das ist bis heute so geblieben. Jetzt ergeht es dir ebenso. Tu ihnen den Willen! Aber sage ihnen zuvor in aller Deutlichkeit, was ein König für Rechte hat und was er mit ihnen tun kann.“16
Samuel kehrte zu den Ältesten zurück und tat, was Gott ihm aufgetragen hatte. Er tat sein Bestes, um ihnen den Wunsch nach einem König auszutreiben, aber ohne Erfolg.
„Aber das Volk weigerte sich, auf die Stimme Samuels zu hören. Und sie sagten: Nein, sondern ein König soll über uns sein …“17
Was sie als Nächstes sagten, bildete die Grundlage für das, was als Nächstes geschah.
„… damit auch wir sind wie alle Nationen, und dass unser König uns richtet und vor uns herauszieht und unsere Kriege führt.“18
Das Problem war natürlich, dass Gott nicht vorhatte, dass Israel wie alle anderen Nationen sein sollte. Gott wollte, dass Israel sich von allen anderen Nationen abhebt, weil er plante, durch Israel etwas für alle anderen Nationen zu tun.
Israel war ein Mittel zu einem globalen göttlichen Zweck.
Am