Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich. Martin Schölkopf
bestehende sog. „Troika“ auf ein „Memorandum of Understanding“. Dieses Maßnahmenpaket beinhaltete auch Sparmaßnahmen im Bereich der Arzneimittelversorgung sowie bei den Gehältern der Beschäftigten im Gesundheitssektor und die Ausweitung von Zuzahlungen. Der Umfang der Einschnitte infolge der Finanzkrise zeigt sich u.a. daran, dass das Budget des Nationalen Gesundheitsdienstes 2012 niedriger war als das des Jahres 2005. Im Jahr 2016 betrug das Budget 7,9 Mrd. Euro und lag damit noch immer hinter dem Vorkrisenvolumen von rd. 8,7 Mrd. aus dem Jahr 2010 zurück. In dieses Bild passt auch die Tatsache, dass der Anteil der öffentlichen Ausgaben an den gesamten Gesundheitsausgaben in Portugal mit 65 Prozent den viertniedrigsten Wert aller EU-Staaten einnimmt.
Leistungen
Der Leistungsumfang des nationalen Gesundheitsdienstes umfasst die stationäre sowie die (ambulant) fachärztlich Behandlung im Krankenhaus, die Versorgung durch Hausärzte sowie die Geburtshilfe. Die Kosten der Inanspruchnahme ambulant tätiger Fachärzte werden hingegen i.d.R. nicht übernommen. Niedergelassene Spezialisten rechnen daher meist privat ab. Rund 60 Prozent aller Konsultationen von Fachärzten in Portugal werden auf diese Weise erbracht und häufig privat oder über private Zusatzversicherungen finanziert (s.o.). Die Kosten der zahnmedizinischen Versorgung und von Zahnersatz werden vom öffentlichen Gesundheitsdienst ebenfalls nicht übernommen.
Die Leistungen der berufs- bzw. statusbezogenen Versorgungssysteme übertreffen jene des nationalen Gesundheitsdienstes und schließen zum Teil dessen Lücken (z.B. wird hier auch die ambulante fachärztliche Versorgung getragen). Krankengeld und Mutterschaftsleistungen sind Teil der Leistungen des Sozialversicherungssystems, das auch Alter und Invalidität absichert.
Organisation der Versorgung
Die hausärztliche Versorgung wird vor allem in den lokalen Familien-Gesundheitszentren bzw. den Primärversorgungszentren des öffentlichen Gesundheitsdienstes erbracht – die vertraglich an die regionalen Gesundheitsbehörden gebunden sind. Die dort arbeitenden Hausärzte sind angestellt, arbeiten also nicht in freier Praxis. Die Patienten müssen sich für einen Hausarzt entscheiden und sich bei ihm einschreiben. Der Wechsel des Hausarztes ist nur über eine schriftliche, an die regionale Gesundheitsbehörde gerichtete Erklärung möglich. Der Hausarzt fungiert zumindest theoretisch als Gatekeeper für die durch den öffentlichen Gesundheitsdienst erbrachte fachärztliche Versorgung. In der Praxis umgehen jedoch viele Portugiesen diese Vorgabe, indem sie sich direkt zu privat abrechnenden, niedergelassenen Spezialisten begeben und die Behandlungskosten über eines der Versorgungssysteme bzw. über eine private Krankenversicherung finanzieren oder indem sie sich über die Notfallambulanzen selbst ins Krankenhaus einweisen.
Die Krankenhäuser sind sowohl in Trägerschaft des nationalen Gesundheitsdienstes als auch privat getragen und finanziert. Von den rund 225 Krankenhäusern waren 2015 113 – und damit die Hälfte – in der Trägerschaft des staatlichen Gesundheitsdienstes. Von den privaten Krankenhäusern arbeitet rund die Hälfte gewinnorientiert. Im internationalen Vergleich gibt es in Portugal eine vergleichsweise geringe Anzahl an Krankenhausbetten: Während es im Durchschnitt der Europäischen Union (EU-28) im Jahr 2017 5,0 Betten je 1.000 Einwohner gab, waren es in Portugal nur 3,4 Betten.
In Bezug auf die Versorgung mit Ärzten liegt Portugal mit 5 Ärzten auf 1.000 Einwohner im Jahr 2017 deutlich über dem EU-Durchschnitt (3,6); allerdings umfasst diese Zahl für Portugal offenbar auch Ärzte, die nicht mehr praktizieren, d.h. sie ist nur bedingt aussagekräftig. Der Versorgungsgrad mit Pflegekräften liegt mit 6,7 Pflegekräften unter dem EU-Schnitt, obwohl die Anzahl der Pflegkräfte in den letzten Jahren durchaus gewachsen ist.
Zuständige Behörde im Internet
Ministerium für Arbeit und soziale Sicherung: www.mtss.gov.pt
Vertiefende Literatur
Barros, P. et al. 2017: Portugal. Health system review. Health Systems in Transition, Copenhagen.
OECD/European Observatory on Health Systems and Policies 2019, Portugal: Country Health Profile 2019, State of Health in the EU, OECD Publishing, Paris/ European Observatory on Health Systems and Policies, Brussels.
2.1.4 Griechenland
Grundstruktur
Griechenland verfügt seit 1983 über einen öffentlichen Gesundheitsdienst, der zentralstaatlich gesteuert wird. In den letzten Jahren wurde verstärkt versucht, verschiedene Zuständigkeiten – insbesondere in der Primärversorgung – von der zentralstaatlichen Ebene auf die regionalen Gesundheitsbehörden zu verlagern. Bislang kommt dem Zentralstaat aber weiterhin die wesentliche Rolle im Gesundheitssystem zu.
Griechenland ist in Gesundheitssystem-Typologien schwer einzuordnen, weil parallel zum öffentlichen Gesundheitsdienst (ESY) ein Sozialversicherungssystem existiert, das unter anderem auch das Krankheitsrisiko abdeckt. Alle abhängig Beschäftigten, Rentner sowie (kurzzeitig) Arbeitslosen sind obligatorisch versichert. In den Jahren unmittelbar nach der Finanzkrise wuchs die Arbeitslosenquote in Griechenland drastisch an; 2013 betrug sie 28 Prozent. Viele Arbeitnehmer fanden sich in Langzeitarbeitslosigkeit wieder, was für sie bzw. ihre Angehörigen nicht selten auch mit einem Verlust des Krankenversicherungsschutzes einherging. 2016 beschloss die Regierung daher schließlich, auch unversicherten Personen – u.a. Selbstständigen, Langzeitarbeitslosen oder auch Geflüchteten – einen freien Zugang zum öffentlichen Gesundheitsdienst zu gewähren.
Ende 2010 gab es in Griechenland noch über 30 Krankenkassen. Als Folge der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise, von der Griechenland besonders betroffen war, vereinbarte die sog. „Troika“ mit der griechischen Regierung mehrere Anpassungsmaßnahmen („Memorandums of Understanding“). Zu diesen Maßnahmen gehörte neben unmittelbar finanzwirksamen Elementen (s.u.) auch eine Organisationsreform des Krankenversicherungssystems: Die vier bis dato größten Krankenkassen wurden zwangsfusioniert. Aus diesem Grund gibt es seit 2011 nur noch einen Krankenversicherungsträger, den „Einheitlicher Träger für Gesundheitsleistungen des öffentlichen Gesundheitssystems in Griechenland“ (EOPYY). Dort sind mehr als 95 Prozent der griechischen Bevölkerung versichert. Darüber hinaus existieren noch einige kleine berufs- bzw. statusbezogene Krankenkassen z.B. für Angehörige der Armee. EOPYY steht unter der direkten Aufsicht des Gesundheitsministeriums und trägt als einziger Finanzierungs- bzw. Kostenträger („Purchaser“) die Verantwortung dafür, dass Gesundheitsdienstleistungen im nationalen Gesundheitsdienst in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt werden.
Finanzierung
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat auch in den Finanzierungsstrukturen des griechischen Gesundheitswesens Spuren hinterlassen. Im Jahr 2017 lag der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt bei 8,0 Prozent und damit weiterhin unter dem Durchschnitt aller EU-Staaten (9,8 Prozent). 2010 hatte der Anteil noch 9,5 Prozent betragen. Auch die Gesundheitsausgaben pro Kopf lagen mit 2.207 US-Dollar in der Schlussgruppe der in diesem Buch betrachteten Staaten. Im Zeitraum zwischen 2007 und 2017 ist diese Kennzahl sogar durchschnittlich um 3,4 Prozent pro Jahr gesunken; während sie im Schnitt aller EU-Staaten in diesem Zeitraum um jährlich rd. 3 Prozent zunahm. Allein im Zeitraum 2009 bis 2013 gingen die staatlichen Ausgaben für Gesundheit um über 25 Prozent zurück. Einen derartigen Rückgang hat es in keinem weiteren Mitgliedstaat der EU gegeben. Die oben beschriebene Entwicklung ist als direkte Folge der mit der Troika vereinbarten Konsolidierungsmaßnahmen zu sehen. In dem ersten mit der Troika vereinbarten „Memorandum of Understanding“ verpflichtete sich die griechische Regierung unter anderem dazu, den Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP um mindestens 0,5 Prozentpunkte zu senken. Dies sollte durch ein vielfältiges Maßnahmenpaket erreicht werden, das u.a. den Arzneimittelmarkt massiven Reformen unterzog: Durch die Wiedereinführung der 2006 abgeschafften Positivliste (vgl. Kap. 6) und die Pflicht zur Verschreibung von Wirkstoffen bzw. die Begrenzung der Generikapreise