Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich. Martin Schölkopf

Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich - Martin Schölkopf


Скачать книгу

      OECD 2016c: OECD Reviews of Health Systems 2016: Latvia 2016. OECD Publishing, Paris.

       2.3 Länder mit kommunalem Gesundheitsdienst

      Die vier Länder Skandinaviens haben ihren Gesundheitsdienst traditionell auf Ebene der Landkreise und/oder Städte und Gemeinden organisiert. Die Rolle des Zentralstaats beschränkt sich hier auf die Rahmengesetzgebung und die Beratung und Empfehlung gesundheitspolitischer Ziele. Die Kommunen hingegen finanzieren die Gesundheitsversorgung nicht nur, sondern können diese auch nach eigenen Zielsetzungen organisieren. In letzter Zeit gibt es allerdings deutliche Anzeichen für einen Paradigmenwechsel: eine Verlagerung von Kompetenzen an die Zentral- bzw. Regionalregierung. Am frühesten begann diese Entwicklung in Norwegen und Dänemark (vgl. Saltmann et al. 2012).

       2.3.1 Dänemark

       Grundstruktur

      Dänemark organisiert seine Gesundheitsversorgung über einen öffentlichen Gesundheitsdienst, der der gesamten Bevölkerung zur Verfügung steht und auf regionaler bzw. kommunaler Ebene durchgeführt wird. Medizinische Sachleistungen werden den Patienten kostenlos bereitgestellt. Die Rolle des Zentralstaats in der Gesundheitsversorgung war bis Ende 2006 vergleichsweise limitiert. Seine Funktionen beschränkten sich im Wesentlichen auf die Rahmengesetzgebung, die Formulierung von Empfehlungen und Zielvorgaben sowie die (Mit-)Finanzierung. Für die Planung und Sicherstellung der Gesundheitsversorgung sowie die Organisation und Finanzierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie die Trägerschaft diverser Leistungsangebote waren hingegen die Kommunen bzw. die Landkreise, zuständig. Diese Aufgabenteilung zwischen Zentralstaat und Kreisen bzw. Kommunen änderte sich durch eine 2007 in Kraft getretene Reform deutlich. Mit dieser wurde die Zahl der Kreise ganz erheblich reduziert: Aus 14 Verwaltungsbezirken, die in etwa den deutschen Landkreisen entsprachen, wurden 5 Regionen. Mit der Verringerung der Anzahl ging auch ein Bedeutungsverlust, insbesondere der Kreise, einher. Diese verloren u.a. ihr Recht zur Erhebung eigener Steuern. Gleichzeitig ging die Verantwortung für die Sicherstellung der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung auf die neuen Regionen über. Daneben wurden die gesundheitspolitischen Kompetenzen des Zentralstaates ausgeweitet.

      Der privaten Krankenversicherung kommt in Dänemark wachsende Bedeutung zu. So verfügen mittlerweile rund 30 Prozent der Bevölkerung über private Versicherungen, die die durch den öffentlichen Gesundheitsdienst verlangten Zuzahlungen bzw. nicht abgedeckten Leistungen kompensieren. Darüber hinaus hat in den letzten Jahren aufgrund der Wartelisten im stationären Bereich die Nachfrage nach privatem, ergänzendem Versicherungsschutz zugenommen, der im Bedarfsfall eine Behandlung in den – wenigen – Privatkliniken Dänemarks gewährleistet.

       Finanzierung

      Mit einem Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt in Höhe von rd. 10 Prozent gibt Dänemark deutlich mehr für Gesundheit aus als der Schnitt der EU- bzw. der OECD-Länder. Auch bei der Kennzahl „Gesundheitsausgaben pro Kopf“ liegt Dänemark mit kaufkraftbereinigten 5.025 US-Dollar rd. 25 Prozent über dem Durchschnitt der EU-Staaten. Im Vergleich mit den anderen Staaten fällt die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Gesundheitsausgaben zwischen 2007 und 2017 mit einem Plus von 2,1 Prozent dagegen eher moderat aus.

      Der Anteil der öffentlichen Ausgaben an den gesamten Gesundheitsausgaben liegt in Dänemark bei rund 84 Prozent und somit deutlich höher als im Durchschnitt aller EU-Staaten (79 Prozent; Zahlen für 2017). Das dänische Gesundheitswesen wird überwiegend aus Steuern finanziert. Die Regionen und Kommunen erhalten zur Erfüllung ihrer Aufgaben innerhalb des Gesundheitsdienstes Zuweisungen des Zentralstaats, die rund 80 Prozent der Ausgaben decken. Bis zum Jahr 2007 wurden diese Zuweisungen aus allgemeinen Steuereinnahmen finanziert, seit 2008 erhebt der dänische Staat jedoch eine zweckgebundene Gesundheitssteuer, die sich aktuell auf 8 Prozent des steuerpflichtigen Einkommens beläuft (2017).

      Der von den privaten Haushalten finanzierte Anteil an den gesamten Ausgaben liegt bei 14 Prozent und ist damit im internationalen Vergleich gering. Der Beitrag der privaten Krankenversicherung an den Gesamtausgaben beläuft sich in Dänemark dagegen auf nur 2 Prozent (2017).

      Zuzahlungen spielen in Dänemark eine vergleichsweise geringe Rolle. So gibt es insbesondere bei der Inanspruchnahme von niedergelassenen Ärzten bzw. Krankenhausbehandlungen keine Selbstbeteiligung der Patienten. Bei der zahnmedizinischen Versorgung müssen Patienten eine Zuzahlung in Höhe von 35 bis 100 Prozent der Leistungen tragen. Für im Krankenhaus verordnete Medikamente ist keine Zuzahlung erforderlich, jedoch für Arzneimittel, die von ambulant tätigen Ärzten verschrieben werden. Hier fällt eine Selbstbeteiligung an, deren Höhe sich an den Arzneimittelkosten orientiert. Der vom Staat übernommene Anteil steigt mit den Kosten des Arzneimittels; Kosten in Höhe von bis zu umgerechnet rund 550 Euro pro Jahr müssen selbst getragen werden. Für chronisch Kranke, Rentner und Bezieher niedriger Einkommen sind Nachlässe bzw. Zuschüsse zu den Zuzahlungen möglich.

       Leistungen

      Dänemarks Gesundheitswesen basiert auf dem Sachleistungsprinzip. Es gibt zwar keinen gesetzlich definierten Leistungskatalog, aber der Leistungsumfang des Gesundheitssystems ist vergleichsweise umfassend. Neben nahezu sämtlichen medizinischen Sachleistungen und Arzneimitteln werden auch Krankengeld und Mutterschaftsgeld von den Kommunen getragen. Zahnersatz, Sehhilfen und Physiotherapie gehören im Regelfall nicht zum Leistungskatalog des öffentlichen Gesundheitsdienstes.

      Die Versicherten können generell zwischen zwei Varianten der Absicherung wählen: Entscheiden sie sich für die sog. Kategorie 1, nehmen sie an einem Hausarztsystem teil. Sie haben dann keine freie Arztwahl für die ambulante bzw. die fachärztliche Versorgung und müssen sich für einen bestimmten Hausarzt entscheiden, der frühestens nach einem halben Jahr gewechselt werden kann. Der Hausarzt fungiert in diesem – von 98 Prozent der Dänen gewählten – Modell als Gatekeeper. Wer für die sog. Kategorie 2 optiert, kann zwischen verschiedenen Haus- bzw. Fachärzten frei wählen. Die Ärzte sind bei Versicherten dieser Kategorie nicht an die sonst geltenden Vorgaben zur Höhe der Gebühren gebunden; die Differenz zwischen den in Rechnung gestellten Behandlungskosten und den amtlichen Gebühren müssen die Patienten in diesem Versorgungsmodell selbst tragen.

       Organisation der Versorgung

      Die ambulante hausärztliche Versorgung erfolgt im Regelfall durch niedergelassene, selbstständig tätige Hausärzte, die zu rund zwei Dritteln in Gemeinschaftspraxen arbeiten. Im Modell der Hausarztversorgung gibt es keine freie Arztwahl. Die Hausärzte üben die Funktion des Gatekeepers aus und überweisen zu Fachärzten und in die Krankenhäuser. Sie stellen zudem über Kooperationen auch eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung sicher. Während Dänemark generell von einer überdurchschnittlichen Arztdichte gekennzeichnet ist, fällt im internationalen Vergleich der geringe Anteil der Allgemeinärzte an der Gesamtheit aller Ärzte auf: Im OECD-Durchschnitt liegt dieser bei rund 30 Prozent, in Dänemark bei nur rund 20 Prozent.

      Die ambulante fachärztliche Versorgung erfolgt durch niedergelassene Spezialisten oder durch die Ambulanzen der Krankenhäuser. Die stationäre Versorgung wird überwiegend von öffentlichen Krankenhäusern gewährleistet: 97 Prozent aller Krankenhausbetten sind in öffentlicher Trägerschaft. Viele Kliniken sind für die ambulante fachärztliche Versorgung geöffnet. Bis 1992 wurden Patienten mit entsprechendem Behandlungsbedarf im Regelfall in das Krankenhaus ihres Landkreises eingewiesen, eine Wahlmöglichkeit gab es nicht. Seit 1993 haben alle Dänen die Möglichkeit, sich landesweit in einem Krankenhaus ihrer Wahl behandeln zu lassen, sofern dieses der gleichen Versorgungsstufe angehört. Ziel dieser Öffnung war es, die auch in Dänemark existierenden, teilweise sehr langen Wartelisten abzubauen. Seitdem vor einigen Jahren zudem die maximale Wartezeit auf einen Monat verkürzt wurde, werden den Patienten bereits frühzeitig alternative Versorgungsoptionen angeboten; entweder in angrenzenden Regionen oder bei privaten/ambulanten Leistungserbringern. Dies hat


Скачать книгу