Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich. Martin Schölkopf
tritt somit insbesondere dort ein, wo der öffentliche Gesundheitsdienst Lücken oder Defizite aufweist. 2017 kam die nationale Krankenversicherung für rund 40 Prozent der gesamten Arzneimittelkosten, rund 16 Prozent aller privaten ärztlichen Leistungen sowie für 90 Prozent der Transportkosten auf.
Von beiden Systemen nicht finanziert werden dabei Sehtests und Brillen, Alternativmedizin sowie die zahnärztliche Versorgung.
Organisation der Versorgung
Die hausärztliche Versorgung im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes wird durch die kommunalen Gesundheitszentren erbracht, in denen die Ärzte als Angestellte beschäftigt sind. Diese kommunalen Gesundheitszentren bilden den Kern der finnischen Primärversorgung; ihre Entstehung geht bis in die 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. Im Jahr 2016 gab es in den 300 finnischen Gemeinden 350 Gesundheitszentren. Zu ihren Aufgaben gehört nicht nur die allgemeinmedizinische Versorgung, sondern auch Prävention und Gesundheitsförderung sowie Beratung bei der Familienplanung, psycho-soziale Unterstützung etc. In diesen Zentren arbeiten neben Ärztinnen und Ärzten auch Pflegekräfte. Diese führen bei den Patientinnen und Patienten einen Vorabcheck durch und entscheiden dann, ob anschließend ein Arzt zu konsultieren ist. Die Zenten sind grundsätzlich personell und technisch gut ausgestattet, 226 Gesundheitszentren verfügen sogar über eine angeschlossene teilstationäre Einrichtung. Alle Gesundheitszentren bieten einen ärztlichen Notdienst außerhalb der regulären Sprechzeiten an.
Eine freie Arztwahl gibt es in Finnland nicht; die Patienten sind vielmehr auf die Ärzte in ihrem lokalen Zentrum angewiesen. Im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes gibt es ein Hausarztsystem, die Versicherten haben zudem nur begrenzte Möglichkeiten zur Wahl des behandelnden Arztes. Die Hausärzte fungieren als Gatekeeper: Die fachärztliche Behandlung im öffentlichen Gesundheitsdienst setzt somit eine Überweisung durch den Hausarzt voraus. Sie erfolgt in den öffentlichen Krankenhäusern. De facto gibt es allerdings einen hohen Anteil an Patienten, die diesen Gatekeeping-Prozess durch Selbsteinweisung in die Krankenhausambulanzen umgehen.
Historisch wurden die finnischen Krankenhäuser überwiegend von den Kommunen getragen – inzwischen sind die meisten Krankenhäuser in der Trägerschaft von Krankenhausbezirken – und damit von Zusammenschlüssen mehrerer Kommunen. Aktuell gibt es in Finnland 20 dieser Krankenhausbezirke. In der Regel verfügt jeder dieser Bezirke über mindestens ein Krankenhaus der Zentralversorgung. Seit 2014 haben die Patienten freie Krankenhauswahl. Mit 3,3 Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner weist Finnland eine deutlich niedrigere Bettendichte auf als der Durchschnitt der OECD- bzw. EU-Länder (4,7 bzw. 5,0 Betten – Werte des Jahres 2017).
Die Arztdichte lag 2017 mit 3,2 Ärzten pro 1.000 Einwohner etwas unter dem EU-Durchschnitt, dafür kann Finnland seit den 2000ern auf die beste Pflegekraft-Patienten-Relation in der EU verweisen (14,3 Pflegekräfte pro 1.000 Einwohner, bei einem EU-Durchschnitt von 8,5).
Zuständige Behörden im Internet
Ministerium für soziale Angelegenheiten und Gesundheit: www.stm.fi
Sozialversicherungsbehörde: www.kela.fi
Vertiefende Literatur
Hämel, K./Schaeffer, D. 2014: Kommunale Gesundheitszentren in Finnland – Entwicklung und aktuelle Herausforderungen in der ländlichen Primärversorgung, in: Jahrbuch für kritische Medizin und Gesundheitswissenschaften, Nr. 49.
Keskimäki; I. et al., 2019: Finland. Health system review. Health Systems in Transition, Copenhagen.
OECD/European Observatory on Health Systems and Policies 2019: Finland: Country Health Profile 2019, State of Health in the EU, OECD Publishing, Paris/ European Observatory on Health Systems and Policies, Brussels.
2.3.3 Norwegen
Grundstruktur
Norwegens Gesundheitssystem wird von einem öffentlichen Gesundheitsdienst dominiert, der auf regionaler sowie auf lokaler/kommunaler Ebene umgesetzt wird. Die Absicherung im Krankheitsfall umfasst dabei obligatorisch alle Einwohner. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist sowohl zentralstaatlich als auch kommunal organisiert. Hinsichtlich der zu Beginn des Abschnittes 2.3 erwähnten Tendenz zur Re-Zentralisierung (auch) des Gesundheitswesens in den skandinavischen Ländern war Norwegen der Vorreiter: Bereits seit dem Jahr 2002 ist der Zentralstaat für die Krankenhausversorgung verantwortlich, die von den regionalen Gesundheitsbehörden organsiert wird; die Kommunen tragen die Verantwortung u.a. für die ambulante Versorgung. Die Absicherung über private Krankenversicherungen ist in Norwegen vergleichsweise unbedeutend; weniger als fünf Prozent der Bevölkerung verfügen über eine ergänzende private Zusatzversicherung.
Finanzierung
Norwegen hatte im Jahr 2017 kaufkraftbereinigt mit umgerechnet 6.064 US-Dollar die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit in der EU und nach den USA und der Schweiz die dritthöchsten aller OECD-Staaten. Auch bezogen auf das durchschnittliche jährliche Wachstum dieses Indikators über die letzten zehn Jahre liegt Norwegen mit einem Plus von 4 Prozent p.a. im europäischen Spitzenfeld. Beim Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP liegt Norwegen mit einem Wert von 10,4 Prozent ebenfalls über den Vergleichswerten der EU bzw. der OECD, allerdings im Ranking nicht ganz so weit vorne wie bei der Kennzahl „Gesundheitsausgaben pro Kopf“. Mit rund 85 Prozent hat Norwegen darüber hinaus auch den höchsten öffentlichen Finanzierungsanteil aller OECD-Staaten; dort beträgt der Anteil der öffentlichen Finanzierung im Durchschnitt rund 73 Prozent. Der privat finanzierte Anteil der gesamten Gesundheitsausgaben in Norwegen hat sich hingegen in den letzten Jahren sogar rückläufig entwickelt. Er liegt aktuell bei 15 Prozent und geht nahezu ausschließlich auf die Ausgaben privater Haushalte zurück. Die private Krankenversicherung spielt bei der Finanzierung der Gesundheitsausgaben hingegen keine substanzielle Rolle.
Die Finanzierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes erfolgt aus allgemeinen, nicht zweckgebundenen Steuermitteln des Zentralstaats und der Kommunen sowie aus dem Sozialversicherungsbeitrag. Dieser wird als Globalbeitrag für alle sozialen Sicherungssysteme erhoben, ist nicht zweckgebunden und hat damit ebenfalls steuerähnlichen Charakter. 2019 betrugen die Beitragssätze zur Nationalen Sozialversicherung 8,2 Prozent für Arbeitnehmer, 11,45 Prozent für Selbstständige und 5,1 Prozent für Rentner. Der Arbeitgeberanteil variiert regional zwischen 0 und 14,1 Prozent. Im Ergebnis werden 74 Prozent aller Gesundheitsausgaben Norwegens aus Steuern und rund 11 Prozent aus Mitteln der Sozialversicherung getragen. Das Parlament entscheidet jeweils im Dezember, wie hoch die öffentlichen Gesundheitsausgaben im Folgejahr maximal sein dürfen. Die Kommunen verfügen über ein gewisses Ausmaß an eigener Steuerhoheit und können bzw. müssen so bei unterjährig steigenden Gesundheitsausgaben entsprechend reagieren.
In Norwegen ist nur bei stationärer Versorgung keine Selbstbeteiligung fällig. Bei der Konsultation eines Hausarztes hingegen fallen umgerechnet 15 Euro an Gebühr an. Im Falle eines Facharztbesuchs sind es umgerechnet rund 34 Euro. Für die grundsätzlich verordnungsfähigen, verschreibungspflichtigen Medikamente, die auf einer Positivliste geführt werden, ist zudem eine Zuzahlung von 39 Prozent der Kosten bis zu einer Grenze von umgerechnet rund 50 Euro im Quartal erforderlich. Für alle Selbstbeteiligungen im ambulanten Bereich gilt dabei eine Jahreshöchstgrenze von 227 Euro (alle Zahlen 2020); diese Grenze der wird jährlich vom Parlament neu festgesetzt. Nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel sind üblicherweise vollständig selbst zu bezahlen – ebenso wie die zahnärztliche Versorgung für Erwachsene bis zu einer Jahreshöchstgrenze von 200 Euro. Bezieher von Mindestrenten sowie Kinder bis zum Alter von 16 Jahren sind von den meisten Zuzahlungen befreit. Ausnahmen sind zudem für Patientengruppen mit bestimmten Krankheiten (z.B. HIV) vorgesehen.
Leistungen
Auch in Norwegen