Der Gesang des Sturms. Liane Mars

Der Gesang des Sturms - Liane Mars


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Segen gegeben«, setzte sie beruhigend hinzu und sofort kehrte die Farbe in Siranys Gesicht zurück.

      Die nächsten Tage standen ganz im Zeichen des Aufbaus. Insgesamt waren zwölf Dorfbewohner und sieben Assaren ums Leben gekommen. Man bestattete die Toten getrennt und ging übergangslos in den Hüttenbau über. Die Assaren arbeiteten hart am Tag und verschwanden spurlos in der Nacht.

      Sirany nahm an, dass sie im Wald ihr eigenes Lager wieder aufbauten.

      Zack half ihrer Familie bei der Hütte und war dabei ausgesprochen mundfaul. Allmählich dämmerte Sirany, dass die Assaren den Befehl von Elendar erhalten hatten, sich möglichst wenig mit den Dorfbewohnern einzulassen. Gespräche zwischen den Völkern waren somit auf das Notwendigste beschränkt.

      Elendar tat alles, um Sirany nicht über den Weg zu laufen. An manchen Tagen sah sie ihn nicht ein einziges Mal und das schmerzte sehr. Sie vermisste die Gespräche und sehnte sich sogar nach dem Schweigen, das häufig zwischen ihnen geherrscht hatte. Ihn so nah bei sich zu wissen und ihm dennoch nicht nahe sein zu können, war quälend.

      Irgendwann gab es für die Assaren nicht mehr viel zu tun und sie blieben fort. Das normale Leben hatte sie eingeholt und das Erlebte wirkte nunmehr wie ein seltsamer Traum. Ab und zu hörte man ein Rumoren im Wald, ein grummelndes Zeugnis, dass die Assaren im Wald Ordnung schafften.

      Ihre Eltern verboten Sirany, für die nächste Zeit in den Wald zu gehen. Nachträglich umfallende Bäume bedrohten jeden Wanderer und auch die Pfade waren nicht begehbar.

      Es war eine lange und zähe Zeit für Sirany.

      Irgendwann, es war tiefste Nacht, hielt sie es nicht mehr in ihrem Bett aus. Eine unheimliche Sehnsucht hatte sie erfasst und ihr Herz flatterte in ihrer Brust wie ein gefangener Vogel. Sie wusste, was es zum Verstummen bringen konnte, und stand auf. Leise zog sie sich an, entschuldigte sich in Gedanken bei ihren Eltern und schlich sich aus der Hütte.

      Der Mond stand hell und klar am Firmament und gelbliche Sternen­punkte sprenkelten den Himmel. Das Licht reichte problemlos, um sich in der Dunkelheit zurechtzufinden.

      Sirany war nervös und zittrig. Sie hatte Angst, das Lager nicht finden zu können oder sich im Wald zu verlaufen. Er wirkte anders und bedrohlicher als sonst. Der Pfad, dem sie sonst gefolgt war, existierte nicht mehr. Mühsam erkämpfte sie sich ihren Weg über umgestürzte Bäume, balancierte auf entwurzelten Stämmen und kletterte über gigantische Wurzeln. Bei jedem Knarren hielt sie erschrocken inne und lauschte. Der Wald war zur Ruhe gekommen, der letzte Baum war gefallen. Trotzdem gab sich Sirany nicht der Illusion hin, sicher zu sein.

      Etwas knackte neben ihr und sie schrie erschrocken auf, als sie einen Mann im Schatten erkannte. »Ganz ruhig, Sirany. Ich bin es«, brummte der Assar und trat nahe genug heran, dass sie ihn identifizieren konnte. Es war Harun, ein schweigsamer junger Mann, der in der Masse der Assaren unterging.

      »Ich hab heute Nachtwache«, erklärte er sich. »Wollte dich nicht erschrecken.«

      Sirany nickte zittrig und deutete in Richtung Lager.

      »Ist es an der gleichen Stelle zu finden?«

      Harun verneinte. »Ich bring dich hin«, bot er an. »Elendar wird nur nicht erfreut sein, dich zu sehen.«

      »Ach nein?«

      »Er hat gesagt, du sollst nicht allein in den Wald gehen. So dumm wärst du nicht, hat Efnor darauf gesagt. Wär schließlich viel zu gefährlich. Du kennst Sirany nicht, hat Elendar gesagt. Nein, er wird nicht erfreut sein. Willst du trotzdem mit?«

      »Ja.«

      »Auf deine Verantwortung. Er wird dir den Kopf abreißen.«

      Trotz der Warnung folgte Sirany dem Assaren. Schweiß stand ihr auf der Stirn und in ihrem Magen rumorte es. Sie hatte sich auf Elendar gefreut. So wie es aussah, er sich nicht auf sie.

      Er sorgt sich, dachte sie, und sofort war das Kribbeln und Prickeln in ihrem Inneren zurück. Sie brauchte eine Weile, um es als Vorfreude zu identifizieren.

      Sie erreichten das neue Lager. Es sah anders aus, viel kleiner. Die Zelte erschienen noch unordentlicher und geflickter und es waren weniger geworden. Die Feuerstelle wirkte traurig und verlassen. Selbst die Glut, die darin vor sich hin glomm, strahlte weniger Wärme aus als die alte.

      »Wecken kannst du ihn aber allein«, brummte Harun. »Ich bin ja nicht lebensmüde.«

      Fahrig deutete er auf eines der aus Stofffetzen zusammenge­nähten Zelte. An den kleinen ordentlichen Stichen erkannte sie Elendars Handschrift. »Viel Erfolg. Ich geh dann mal wieder auf meinen Posten.«

      Sirany bedankte sich leise und stand lange reglos vor dem Zelt. Um sich herum vernahm sie leise schnarchende Geräusche und das Rumoren sich drehender Schläfer. Ein Mann brummelte im Traum vor sich hin.

      Tief durchatmend sprach sie sich selbst Mut und ihren Nerven Stärke zu und betrat das Zelt. Es war winzig und bot gerade einmal Platz für einen Mann, einen Sattel und ein wenig Gepäck.

      Sirany stand nicht ganz drin, da setzte sich Elendar auch schon kerzengerade auf und griff instinktiv neben sich. Dort lag, wie Sirany genau wusste, sein Schwert, griffbereit und jederzeit einsatzfähig.

      »Ich bin es«, beeilte sich Sirany zu sagen und eine Mischung aus Unglauben und Verwirrung malte sich auf Elendars Gesicht ab.

      Er musste die Lage recht schnell erfasst haben, denn er stand sofort auf und trat zu ihr. Das Zelt war zu niedrig, als dass er sich hätte aufrichten können, und so musste er gebückt dastehen.

      Jetzt schreit er mich an, dachte Sirany, doch da irrte sie sich. Er lächelte und nahm sie so unvermittelt in die Arme, dass sie vor Schreck quiekte. Er hatte ohne Hemd geschlafen, aber, dem Himmel sei Dank, zumindest mit Hose. Allzeit bereit, dachte Sirany mit einem Anflug von Wehmut. Sie spürte seine nackte Haut unter ihren Fingern und seine Muskeln unter ihren Armen.

      »Dummes Mädchen«, sagte Elendar leise, dann hob er sie ein kleines Stück vom Boden hoch und lachte glücklich.

      Sirany grinste erleichtert und zappelte in seinem Griff, bis er sie wieder absetzte.

      »Normalerweise verfluche ich deine Sturheit. Heute mag ich sie wirklich außerordentlich«, setzte er hinzu und sah sie mit einem seltsamen Blick an, der Siranys Beine weich werden ließ.

      Sie schwiegen und nur das Klopfen ihrer Herzen hing zwischen ihnen in der Luft. Ihnen war die seltsame Zeit nur allzu bewusst. Die Wärme des anderen machte sie atemlos und ihre Gedanken drängten in die gleiche Richtung.

      Als Elendar langsam seine Hand hob, um sie auf Siranys Wange zu legen, schloss diese mit einem leisen Seufzen die Augen. Elendars Berührung fühlte sich verzerrt überdeutlich an.

      Sie erwartete den kommenden Kuss, doch als er kam, hätte sie am liebsten vor Enttäuschung geweint. Elendar küsste sie mitten auf die Stirn. Wie ein Bruder, wie ein Vater. Zwar sanft und auch schön, aber es war nicht das, was sie erwartet hatte. Am liebsten hätte sie ihn angeschrien, stand jedoch vor Überraschung wie erstarrt da.

      Seine Lippen lagen weiter auf ihrer Haut und er zog sie so fest an sich, dass sie sich kaum rühren konnte.

      »Nicht hier. Nicht so«, flüsterte er leise.

      Sirany konnte sein Verlangen nach ihr spüren, fühlte sein heftig schlagendes Herz an ihrer Brust. Trotzdem verbat er sich das, wonach er sich offensichtlich sehnte.

      »Elendar …«, setzte Sirany an, doch er gebot ihr zu schweigen, indem er ihr einen Finger auf den Mund legte.

      »Vertrau mir.« Er trat einen großen Schritt von ihr fort.

      Es war, als hätte man ihr einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen. Nicht dass sie mit der festen Absicht hierhergekommen wäre, Elendar in dieser Nacht zu verführen. Das nicht. Sie hatte ihn lediglich sehen, mit ihm


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