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gewichen. Was immer geschehen war, erschütterte ihn zutiefst. Der Brief hatte es schlimmer gemacht.

      Bevor sie ein weiteres Wort sagen konnte, nahm Elendar Siranys Hand und hielt sie fest umklammert. Sein Griff war fest und stark, doch es gab keine Zweifel, wer wem Trost spendete. Sirany bemühte sich, Elendar schweigend zu vermitteln, dass er nicht allein war. Dass sie mit ihm litt. So saßen sie eine ganze Weile da, die Hände ineinander verschränkt, die Knie sich berührend. Elendar entspannte sich in dieser Zeit sogar ein klein wenig und sein fester Griff lockerte sich etwas.

      Nach gut einer weiteren Stunde hob sie die Finger ihrer freien Hand und schob Elendar einige Strähnen hinters Ohr, um sein Gesicht besser sehen zu können. Bei ihrer Berührung ging ein kaum spürbarer Ruck durch seinen Körper und er wandte sich ihr zu.

      »Ich sollte dich nach Hause bringen«, sagte er mit kaum wahrnehmbarer Stimme.

      Sirany nickte bestätigend, obwohl sich alles in ihrem Inneren bei dieser Vorstellung sträubte. Sie wollte nicht fort. Sie wollte bei ihm bleiben. Doch ihre Eltern machten sich sicherlich bereits Sorgen um sie.

      Elendar erhob sich mühsam und Sirany folgte seinem Beispiel. Sie sahen einander schweigend an.

      »Bevor ich gehe, möchte ich deine Verletzung sehen. Und sag mir nicht, du seist nicht verletzt. Lüg mich nicht an. Lass mich dir stattdessen helfen«, sagte Sirany ruhig und ignorierte den Funken Unmut in Elendars Augen ganz einfach.

      »Was nützt das schon?«

      »Mich beruhigt es und dir wird es guttun. Ich kann nicht viel, aber vielleicht lindert es ein wenig deinen Schmerz.«

      Zu ihrer Überraschung gab sich Elendar geschlagen und ging in sein Zelt. Sirany folgte ihm zögernd. Mit einem Mal hatte sie Angst vor ihrem eigenen Mut.

      Elendar war in der Mitte des kleinen Zeltes stehen geblieben und zog sich das Hemd über den Kopf. In der nächsten Sekunde wusste Sirany, warum er ihr erlaubt hatte, ihm zu helfen. Die Wunde musste von einem Messer oder Schwert stammen und zog sich von seinem Bauchnabel über die Seite quer über den Rücken. Dort hatte ihm die Klinge die Haut von der Hüfte bis hinauf zum Halsansatz aufgerissen. Die Verletzung musste schon einige Tage her sein, denn der hässliche Schnitt blutete kaum noch. Rund um die Wunde war die unverletzte Haut mit Blut verschmiert und auch das Hemd sah aus, als hätte man seinen Besitzer gerade abgeschlachtet. Der Mantel hatte das Blut bisher gut vor Siranys Augen verborgen.

      »Du kannst dich nicht selbst verarzten«, stellte Sirany trocken fest. Nur deshalb erlaubte ihr Elendar, die Wunde zu versorgen. Ein Stich ging durch ihr Herz, doch sie kämpfte die Enttäuschung nieder. Er vertraut dir trotzdem, dachte Sirany. Das hat nichts zu bedeuten.

      Elendar setzte sich auf sein Felllager. »Da hinten ist abgekochtes Wasser», sagte er und deutete auf einen Bottich in einer Zeltecke. »Tücher findest du daneben.«

      Sirany ging zu der angegebenen Stelle und fand dort neben sauberen Laken auch jede Menge blutiger Lappen. Elendar hatte sich offenbar vor ihrem Besuch bereits so gut es ging das Blut vom Körper gewaschen.

      Schweigend nahm Sirany das, was sie brauchen würde, ging zurück zu Elendar und machte sich an die Arbeit.

      »Nur der Rücken«, wies er sie an. »Den Rest kann ich auch allein.«

      Sirany antwortete gar nicht erst, sondern wusch Stück für Stück den Dreck und das Blut aus Wunde und Haut.

      »Der Schnitt ist nicht tief«, sagte sie nach fast zehn Minuten Schweigen. Während dieser Zeit hatte Elendar nur ab und zu leise zischende Schmerzlaute von sich gegeben. »Ein Dolch?«

      Keine Antwort. Sirany seufzte leise.

      »Was ist passiert, Elendar? Ihr wart lange fort und habt viele Tote nach Hause gebracht. Was stand in dem Brief?«

      Sie war gerade mit dem Rücken fertig und wandte sich nun der Seite zu, doch Elendar hielt sie auf, indem er ihre Hände packte und schmerzhaft festhielt.

      »Das reicht. Danke«, sagte er, ließ sie los und bückte sich nach einem einigermaßen sauber aussehenden Hemd.

      Plötzlich packte Sirany die Wut. »Ach, und das war es wieder, oder was? Das dumme Bauernmädchen aus dem Nachbardorf hat dich zusammengeflickt und für dich ist die Sache damit erledigt. Erklären braucht man ihr nichts.«

      Zornig warf sie den blutigen Lappen auf den Boden und stand auf, um sich drohend vor Elendar aufzubauen. Dessen Gesicht verdunkelte sich jetzt ebenfalls.

      »Lass das, Sirany«, sagte er drohend.

      »Was soll ich lassen? Zu fragen? Mein Gott hat mir eine Zunge gegeben, damit ich sprechen kann, und wenn ich sprechen kann, kann ich auch fragen. Also, Elendar, ich frage dich erneut. Was ist passiert?«

      »Das willst du nicht wissen.«

      »Das wiederum kannst du nicht wissen. Du weißt gar nichts über mich, Elendar, gar nichts.«

      »Und du noch viel weniger über mich.«

      »Schön.«

      »Schön.« Jetzt brüllte Sirany und es war ihr egal, dass die anderen Assaren sie hören konnten. »Dann erzähl mir endlich mal was von dir.«

      Elendar wusste, dass er besser schweigen sollte, aber er war zu müde und zu erschöpft, um seine sonst so vielfach gepriesene Selbstbeherrschung an den Tag zu legen. Es war eine lange, hässliche Woche gewesen und seine überlasteten Nerven mussten sich Luft verschaffen. Nur deshalb sagte er die nächsten Worte, die er sonst niemals zu Sirany gesagt hätte. Die Angst, sie zu verlieren, ließ ihn sonst schweigen.

      »Wir sind nicht die freundlichen Kerle von nebenan, so wie du denkst. Wir sind Krieger. Wir töten. Wir morden. Frauen und Männer. Wir töten, um zu überleben. Wir sind wie Tiere, die wild um sich beißen, um diejenigen zu schützen, die wir lieben.

      Man gibt uns Aufträge und wir führen sie aus. Man sagt uns, wen wir töten sollen, und wir tun es. Wir fragen nicht. Wir erledigen es, selbst wenn der Auftrag zu schwierig ist. Selbst wenn wir wissen, dass wir es nicht überleben werden. Wir versuchen es und sterben dabei. Einer nach dem anderen. Keiner von uns ist älter als vierzig und keiner wird es jemals sein. Man schickt uns in den Tod und wir gehen. Aus Pflicht und aus Liebe zu unserem Volk.

      Ich bin nicht stolz darauf, was wir machen. Die Ermordeten suchen mich regelmäßig in meinen Träumen heim. Sie fragen mich, warum ich sie ermordet habe, und ich antworte ihnen: Weil ich es musste! Ich weiß, dass das eine verdammt schlechte Ausrede ist. Es ist nun mal so, wie es ist – entweder ihr Leben oder das unserer Familien.

      Wären wir nicht so gut im Töten gewesen, hätte man uns niemals für diese Dienste herangezogen. Leider sind wir nun einmal geborene Mörder. Wir haben diese Fähigkeiten und die Shari nutzen sie gnadenlos zu ihrem Vorteil aus. Obwohl wir wissen, dass es falsch ist, können wir nichts daran ändern.«

      Elendar holte tief und zitternd Luft und sah Sirany voller Entsetzen an. Erst jetzt kam ihm voll zu Bewusstsein, was er da gesagt hatte. Sirany stand wie angewurzelt vor ihm. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Ihre Finger knackten leise, als sie sie zu einer Faust ballte. Er hatte sie angebrüllt und halb zu Tode erschreckt, das sah er in ihren Augen.

      Ehe er wieder etwas sagen konnte, hob sie abwehrend die Hände. »Lass mich«, sagte sie leise. »Ich sollte jetzt gehen, ehe du noch mehr sagst, was dir hinterher leidtut. Du bist müde. Schlaf jetzt.«

      Damit ging sie an Elendar vorüber und verließ eilig das Zelt. Elendar sah ihr nach und spürte, dass er sie verloren hatte. Vermutlich für immer.

      Kapitel 6

      Sirany kehrte lange nicht in das Lager zurück. Sie brauchte Zeit, um das Gehörte zu verdauen. Sie hatte längst geahnt, was die Männer trieben, wenn sie fort waren.


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