Der Gesang des Sturms. Liane Mars

Der Gesang des Sturms - Liane Mars


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ihn. Ich spüre es bis in die Knochen: Da braut sich was über unseren Köpfen zusammen. Wir müssen herausfinden, was los ist. Und wir müssen entscheiden, ob wir Sirany den Umgang mit diesem Fremden weiter erlauben.«

      »Falls du den Beginn unserer Unterhaltung vergessen haben solltest: Unsere Tochter ist erwachsen geworden. Wir können ihr nichts mehr verbieten. Das hätten wir vor einem Jahr tun müssen. Jetzt ist es zu spät. Glaube mir, auch ich mache mir Sorgen. Ich habe vor einem Jahr beschlossen, dass Elendar gut für Sirany ist und sie nicht ins Unglück stürzen wird. Dabei bleibe ich.«

      Aileen klammerte sich an ihre eigenen Worte wie eine Ertrinkende. Jeden Abend betete sie zu ihrem verbotenen Gott, dass sie recht behielt. Aber was war, wenn sie sich irrte?

      Beschwingten Schrittes schlug Sirany den ihr so vertrauten Weg ein, durchquerte den Wald und erreichte bald ihr Ziel. Sie freute sich auf das Wiedersehen, doch als sie im Lager der Männer ankam, blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem Anblick, der sich ihr nun bot.

      Elendars Männer hatten sich halb nackt um ein Feuer gruppiert, jeder nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Ihre Körper glänzten im Schein der Flammen wie Öl. Sie waren mit seltsamen Runen bemalt, einige mit ausgesprochen anrüchigen Bildern geschmückt. Die langen Haare hatten sie zu wilden Frisuren geformt.

      Instinktiv suchte Sirany Elendar in dem Getümmel, fand ihn schließlich nahe dem Feuer neben Ray, dem jüngsten Mitglied seiner Truppe.

      Auch Elendar war fast nackt. Sein Lendenschurz bedeckte wenigstens auch sein Hinterteil. Als er sich bewegte, tanzte das Licht auf seinen Muskeln, die er wie alle anderen mit Öl eingerieben hatte. Sein Körper war etwas dezenter mit Runen verziert, geschwungene Linien zeichneten die eleganten Konturen seiner Schultern nach. Er war auch der Einzige, der sich nicht das Gesicht mit breiten schwarzen Strichen verunziert hatte.

      Einen Moment erwog Sirany ernsthaft, den Rücktritt anzutreten. Sie kannte die Männer mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie ihr nichts Böses wollten, aber ihr furchterregender Anblick tat bei ihr Wirkung. Sie waren viel zu unheimlich. Sirany wollte weiter an ihrem Mut feilen, doch das hier war zu viel. Ihr Kopf schlug Alarm und ihre Beine versuchten wie von selbst die Flucht zu ergreifen.

      Sie wollte gerade wieder kehrtmachen, da bemerkte Elendar sie. Mit ein paar mächtigen Sätzen seiner langen Beine war er bei ihr angekommen und fasste sie sanft am Arm, um sie am Fortgehen zu hindern.

      »Hallo, Sirany«, begrüßte er sie atemlos. Seine Augen glitzerten freudig. »Entschuldige. Ich hätte dich auf ihren … unseren Anblick vorbereiten sollen. Ich musste es dir verschweigen. Sonst wärest du bestimmt nicht gekommen.«

      »Anzunehmen«, antwortete Sirany trocken. Sie musste sich zusammenreißen, um ihren Blick nicht von seinem Gesicht über seinen Körper gleiten zu lassen. Elendars Anziehungskraft war in dieser Sekunde noch stärker als sonst. »Seid ihr verrückt geworden?«, fragte sie.

      »Wir feiern Madre, das Fest der Frauen.«

      Sirany starrte ihn weiterhin sprachlos an.

      Elendar holte tief Luft und nahm seinen ganzen Mut zusammen. »Seit gut drei Jahren feiern wir Madre nun ohne eine Frau, was Unsinn ist. Ich hätte dich niemals gefragt, ob du kommen möchtest, doch meine Männer haben mich darum gebeten. Sie wollen, dass du mit uns feierst.«

      Siranys Blick irrte zu der Ansammlung wuchtiger Körper hinüber, die jetzt in einem wilden Tanz um das Feuer herumwirbelten und reichlich Bier dabei verschütteten.

      »Es ist harmlos. Ehrlich.«

      Elendar sah, wie sich Sirany am liebsten ängstlich zurückgezogen hätte und nur aus Vertrauen zu ihm hier stand.

      »Passt du auf mich auf? Ich bin eine Frau mit Anstand und deine Männer sind bereits betrunken. Sie müssen sich mir gegenüber benehmen.«

      »Natürlich. Es sieht wilder aus, als es ist.«

      »Benimmst du dich mir gegenüber auch? Keine ungebührlichen Annäherungen.«

      Sirany sah Elendar bei dieser Frage nicht an. Sie bemerkte, dass er bei seiner Antwort kurz zögerte. »Ich rühre dich nicht an. Versprochen.«

      Die junge Frau nickte. »Gut. Dann lass uns zu ihnen gehen.«

      Es war erstaunlich mit anzusehen, wie schnell sich Sirany in das wilde Treiben einfand. Es war Tradition, dass zuerst eine Frau ganz allein um das Feuer tanzte und die anderen nach kurzer Zeit zum Mitmachen aufforderte.

      Da sich Sirany jedoch verspätet und Elendar ohnehin stark bezweifelt hatte, dass sie den Mut dazu gehabt hätte, mit dem Tanz zu beginnen, hatten die Männer schon einmal angefangen.

      Als Sirany in den Schein der Flammen trat und die Assaren sie bemerkten, blieben alle jäh stehen. Die meisten begrüßten sie freundlich und warteten darauf, dass Sirany zu tanzen begann.

      Die junge Frau fühlte sich sichtbar unwohl in ihrer Haut, zog Schutz suchend ihren Mantel enger um sich und hielt sich so dicht wie es ging neben Elendar. Schweigen trat ein, während sich alle Augen auf Sirany richteten.

      Efnor rettete die Situation, indem er ihr Bier anbot. Zuerst wollte sie ablehnen, nahm aber schließlich dankbar den Krug entgegen. Mit zitternden Händen nahm sie einen tiefen Schluck. Gleichzeitig verfluchte sie sich, nicht die Flucht ergriffen zu haben.

      Zwei Männer hatten bisher einsam auf einer Geige und einer Laute vor sich hin gespielt, jetzt veränderte sich der Rhythmus der Musik, wurde schneller, mitreißender.

      Der Rest der Assaren begann, im Takt mit den Händen zu klatschen, andere stampften mit den Füßen und tänzelten ungeduldig auf der Stelle. Sie wollten zurück zum Feuer, zurück zum Tanz.

      Elendar beugte sich zu Siranys Ohr herab. »Sie warten darauf, dass du den neuen Tanz beginnst. Bei diesem Fest ordnen sich die Männer stets unter. Du musst das nicht tun. Ich kann meine Männer gern vorausschicken.«

      Impulsiv wollte Sirany sich für Letzteres entscheiden, zögerte jedoch. Schweigend nahm sie einen tiefen Zug aus dem Krug, straffte sich und betrat den flimmernden Lichtkreis rund um das Feuer.

      Erst kam sie sich albern vor, sich ohne jede Vorgabe im Takt der Musik zu bewegen. Die Männer waren nur so begeistert von ihr, dass sie schnell ihre Scheu überwand. Ihre Beine wirbelten schneller über den Boden, sie schien zu schweben und mit den Flammen eins zu werden.

      In dieser Sekunde fühlte sie sich so mutig und frei wie noch nie in ihrem Leben. Die Gefahren ihres Alltags verblassten und sie hatte den Eindruck, mit genügend Mut alles erreichen zu können.

      Die Assaren folgten ihr mit den Blicken und erfreuten sich an dem Wissen, dass nach so langer Zeit endlich einmal wieder eine Frau unter ihnen weilte. Eine Frau, die sogar mit dem Tanz begann.

      Nach und nach folgte Mann um Mann Siranys wildem Beispiel, bis die ganze Horde mit fröhlichem Gelächter tanzte, bis die Musik im Gestampfe zahlreicher Füße unterzugehen drohte. Das störte niemanden besonders.

      Sirany brauchte eine Weile, um Elendar im Getümmel wieder zu finden. Er war einer der wenigen, die am Rand standen und nur zusahen. Seine Blicke folgten wie gefesselt ihren Bewegungen. Sie näherte sich ihm sofort und blieb mit glühendem Gesicht vor ihm stehen, rang nach Atem. Ihre Füße wollten gar nicht mehr still stehen.

      »Warum tanzt du nicht?«, fragte sie nach Luft schnappend.

      »Ich tanze nicht.«

      »Und warum trinkst du nichts?«

      »Ich trinke nie.«

      »Du bist ein sonderbarer Mensch.«

      Ohne weiter auf seinen schwachen Protest zu achten, erfasste sie seine Hand und zog ihn hinter sich her in die wogende Menge.


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