Der Gesang des Sturms. Liane Mars

Der Gesang des Sturms - Liane Mars


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sich dort in Sicherheit gebracht hatten, lebten noch. Das Dorf selbst war zweigeteilt. In dem einen Teil herrschte Verwüstung, Tod und eine seltsame Stille, in dem anderen standen die Hütten noch teilweise. Die ersten Überlebenden kletterten aus ihren windschiefen Verstecken und ein überwältigendes Geschrei erfüllte die Luft.

      Sirany und ihre Eltern befreiten sich als eine der Ersten aus dem Chaos ihres Heims. Gemeinsam rannten sie ins Freie. Das halbe Dorf lag in Schutt und Asche. Allmählich regte sich hier und dort etwas Lebendiges und kroch zwischen den Trümmern hervor.

      Die Hütte der kleinen Familie stand sogar noch halbwegs. Eine Kuh war vor Schreck tot umgefallen und lag nun in einer Ecke, die andere war halb wahnsinnig vor Angst. Die Ziegen standen zitternd zusammengedrängt und gaben keinen Laut von sich und die Hühner waren so dünn wie Spargel.

      »Wir leben noch«, stellte Sarn trocken fest und umarmte ganz fest seine Frauen. Einen Moment hielten sie einander fest an den Händen. »Ich wünschte, wir hätten dir einen schöneren Geburtstag bereiten können.«

      Erst nach einigen Minuten brachte Sirany den Mut auf, Richtung Wald zu blicken. Er war noch da, aber wie sah er aus? Bäume lagen über Bäume, Gestrüpp über Gestrüpp. Vereinzelt hörte sie das Krachen erst jetzt umstürzender Tannen, dann senkte sich wieder Stille über den Wald.

      »Elendar«, sagte Sirany leise.

      Ihre Mutter legte einen Arm um sie und zog sie tröstend an sich.

      Die Shari mochten grausam und menschenverachtend sein, aber sie waren keine Monster. Es gab viele Soldaten, die sich nach dem ersten Schreck daran beteiligten, den Bewohnern des eroberten Landes zu helfen, und auch die neu eingesetzten Lehnsherren reagierten auf die Not der Bauern.

      Befehle wurden erteilt, den Menschen zu helfen. Tausende Soldaten tauschten ihre Schwerter gegen Axt und Säge ein und begannen, Verschüttete, Verwundete und Tote aus den Trümmern ihrer Häuser zu ziehen.

      Das war natürlich nicht ganz uneigennützig. Wie wertvoll war das Land für sie, wenn es in Schutt und Asche lag? Ein verschütteter Bauer brachte keine Ernte ein und keine Ernte bedeutete eine schlechtere Versorgung der Armee.

      Nicht alle Shari waren froh darüber, den Menschen ihre Hilfe anbieten zu müssen. Viele hielten das für reine Zeitverschwendung. Sollten sich die Farreyn gefälligst selbst retten. Was hatten sie damit zu tun? Waren nicht auch zahlreiche Shari im Sturm umgekommen? Viele meinten, dass man sich in erster Linie um die eigenen Verwundeten und Toten kümmern sollte.

      Sirany stand in den ersten Stunden nach dem Sturm unter Schock. Wie in Trance half sie ihrem Vater, die Nachbarsfamilie aus ihrer Hütte zu befreien. Sie lebten noch alle, doch ihr Heim war zerstört.

      Ständig warf Sirany einen erschütterten Blick zum Wald, der schweigend und anklagend dastand. Ein Monstrum aus umgestürzten Bäumen. Ihr Herz wurde schwer und ihre Kehle schnürte sich zu.

      Die ansässigen Adligen der Shari hatten sich bisher hauptsächlich um sich selbst gekümmert. Sie riefen die letzten helfenden Soldaten zu sich auf die Burg, damit sie dort aufräumen konnten. Die Dorfbewohner waren vorerst ihrem Schicksal überlassen.

      Dann, am selben Abend, ging ein Raunen durch die Menge der Überlebenden. Eine Gruppe Männer trat zwischen den entwurzelten Bäumen hervor und kam vom Waldesrand zu ihnen herüber. Sie führten einige wenige Ponys bei sich. Die meisten waren zu Fuß. Viele humpelten oder stützten sich auf andere Kameraden, andere hatte man auf die Rücken der Tiere gebunden. Sie regten sich nicht.

      Es war ein trauriger Zug.

      Je näher die Krieger kamen, desto unheimlicher wirkten sie. Sie trugen überwiegend Schwarz und nur der mit Fellen behangene Efnor stach wie immer hervor. Schwerter und Messer blitzten im schwindenden Licht der Sonne.

      Unwillkürlich verharrte das ganze Dorf mitten in der Bewegung und wich instinktiv vor den Fremden zurück.

      Und dann, endlich, erkannte Sirany Elendar. Er hielt sich sehr aufrecht und ging mit finsterer Miene und entschlossenen Schritten voran. Seine Kleidung war an einigen Stellen zerrissen, sein Gesicht blutig und zerkratzt. Ansonsten musste er den Sturm gut überstanden haben.

      Sein stechender Blick glitt unruhig über die Masse schweigender Dorfbewohner und verharrte für einige wenige Sekunden auf Siranys Gesicht. Augenblicklich entspannte er sich ein wenig, nur sichtbar für Sirany und seine Männer, die ihn sehr gut kannten. Dann trat er an ihnen vorüber und ging, ohne sie auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, schnurstracks Richtung Burg.

      Siranys Herz klopfte weiterhin viel zu schnell, als die Assaren schon längst nicht mehr zu sehen waren.

      Am nächsten Morgen kehrten die unverletzten Assaren zurück. Es waren nur wenige, um die fünfzehn Mann. Ohne ein Wort zu sagen, traten sie an die Seite der Dorfbewohner und packten mit an.

      Den Farreyn war nicht wohl in ihrer Haut, doch niemand wagte es, die Fremden fortzuschicken, zumal die geschickten und kräftigen Hände der Assaren wirklich dringend gebraucht wurden.

      Elendar war ebenfalls unter ihnen. Er diskutierte kurz mit dem Dorfältesten, ließ den wild gestikulierenden alten Mann nach wenigen Minuten ärgerlich stehen und wandte sich der ersten Hütte zu. Siranys Nähe mied er, als hätte sie die Pest. Das tat weh, war jedoch notwendig. Auch Sirany bemühte sich nach Kräften, sich nichts anmerken zu lassen.

      »Das ist er?«, fragte Aileen sie leise und deutete mit einem Nicken auf den Assaren, von dem sie Geschichten gehört, ihn jedoch noch niemals gesehen hatte.

      »Das ist er«, bestätigte Sirany im Flüsterton. »Und bitte starr ihn nicht so an, Mama.«

      Aileen warf ihrer Tochter einen undefinierbaren Blick zu, dann füllte sie mit Schwung eine Schale mit Hirsebrei und lief los.

      Sirany hörte sofort auf, in dem riesigen Bottich zu rühren. Er war notdürftig mit Hirse, Wasser und Milch gefüllt. Ein karges Mahl, aber besser als nichts. Besorgt beobachtete sie, wie ihre Mutter an Elendar herantrat und ihm die Schüssel hinhielt.

      Was Aileen sagte, konnte Sirany nicht verstehen. Sie hätte ihr rechtes Ohr dafür hergegeben und das Herz klopfte ihr fast schmerzhaft in der verkrampften Brust.

      Es war das erste Treffen zwischen Siranys Mutter und Elendar. Es sollten für lange Jahre die einzigen Worte sein, die sie miteinander wechselten.

      »Ihr seid also Elendar?«

      »Der bin ich.«

      Aileen überreichte ihm die Schüssel und starrte ihn an, als wollte sie ihn durchleuchten. Was immer sie sah, schien sie zu beunruhigen.

      »Ihr seid ein Assar und sie ist eine Farreyn. Vergesst das nicht. Sie ist jung und versteht von bestimmten Dingen nichts.«

      Eine unangenehme Pause trat ein, in der sich Elendar und Aileen stumm maßen. »Wenn Ihr meiner Tochter etwas zuleide tut, bringe ich Euch um. Ganz egal, ob Ihr ein Assar seid. Ihr seid trotzdem sterblich. Vergesst nicht, dass ich eine liebende Mutter bin … und sie ist mein einziges Kind.«

      Ein letzter warnender Blick, dann wandte sich Aileen zum Gehen. Elendars leise Stimme hielt sie noch einmal auf. »Habe ich trotzdem Euren Segen?«

      Aileen seufzte tief. »Ja, den habt Ihr.«

      Damit ging sie raschen Schrittes zurück zu ihrer Tochter. Elendars und Siranys Blicke trafen sich einen Moment. In Elendars Gesicht konnte Sirany nicht ablesen, was er empfand. Ihre Unruhe wuchs.

      »Was hast du zu ihm gesagt?«, fragte Sirany scharf, kaum dass ihre Mutter wieder neben ihr stand und die nächste Schüssel mit Brei füllte.

      »Nichts.«

      »Mutter.«

      »Ich habe ihm erklärt,


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