Warum ich das Lachen und Singen verlernte (Autobiografie). Beate Sander

Warum ich das Lachen und Singen verlernte (Autobiografie) - Beate Sander


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binnen hundert Jahren ereignet. Auf einer Strecke von weniger als einem Kilometer kreuzten sich allem Anschein nach die Windrichtungen, sodass sich gurgelnde Strudel bildeten. Mit jeder Riesenwelle wurden Schlick und braune Algen an den Strand geworfen und seltsamerweise auch viele Bernsteine, die es sonst hier kaum gab.

      Jetzt präsentierte das Meer seine sonst verborgenen Schätze und rückte freigiebig eine ansehnliche Anzahl heraus, darunter auch größere Bernsteine. Es kam darauf an, sobald die letzte Welle weg und die nächste noch nicht da war, blitzschnell nach einem Bernstein zu greifen. Da ich wie gewohnt mein Täschchen bei mir hatte, um Seesterne und Muscheln einzusammeln, konnte ich die Bernsteine gut unterbringen. So nutzte ich die kurze Zeitspanne zwischen zwei Wellenbrechern und bekam eine Menge wunderschöner Bernsteine zusammen, darunter einige mit eingelassenen Insekten. Fatal wäre es gewesen, habgierig zu sein und gleich nach zwei Bernsteinen zu greifen. Zu viel Gier ist schädlich, wie das oft hemmungslose Treiben an der Aktienbörse warnend zeigt.

      Das Naturereignis währte nur mehrere Minuten. Ich denke, nach einer knappen halben Stunde war alles vorbei. Der Sturm wurde zwar stärker. Aber es gab keine sich aus zwei Richtungen vereinigenden und Strudel bildenden Wellen mehr, die diese Massen von Algen und Schlick von unten nach oben zum Strand wirbelten. Ich hatte so viele Bernsteine beisammen, dass meine Mutter für alle Töchter und sich selbst eine schöne Bernsteinkette anfertigen ließ. Trotz der Gefahr fühlte ich mich gut und spürte, Partnerin des Meeres zu sein.

      Mutti erzählte, der Juwelier hätte sie betrogen und behauptet, die meisten Steine wären beim Durchbohren für die Kette in winzige Teile zerbrochen. Absolut unglaubwürdig – eine Lüge. Meine Kette besitze ich noch und trage sie, an das Abenteuer denkend, gern. Am nächsten Morgen suchten viele Badegäste das Ufer nach Bernsteinen ab, hatte doch das Meer nachts den Großteil des Strandes überflutet, sich im Morgengrauen aber zurückgezogen.

      Das Meer hatte am Abend zuvor seine Schätze großzügig vor mir ausgebreitet und mir freundlicherweise etwas davon abgegeben, war danach aber nie mehr spendabel.

      Mit den gurgelnden, einen Sog bildenden und in die Tiefe ziehenden Strudeln in der Ostsee machte ich als junge Frau unliebsame Bekanntschaft. Ich lief trotz Orkanwarnung auf eine Mole in Heiligenhafen – nicht zu verwechseln mit Heiligendamm, wo gerade das in Insolvenz geratene Fünf-Sterne-Luxushotel für Schlagzeilen sorgt. Ich ging die Mole entlang, um die tosenden, Gischt spritzenden Wellenbrecher aus nächster Nähe zu beobachten. Meine Lieblingsballade „Der Taucher“ von Friedrich Schiller mag meinen Abenteuerdrang und meine Neugierde angeregt haben. Noch heute kenne ich den Inhalt genau, durfte ich doch die beiden ersten Strophen bei einer Schulaufführung aufsagen:

      „Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,

      zu tauchen in diesem Schlund?

      Einen goldnen Becher werf’ ich hinab.

      Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.

      Wer mir den Becher kann wieder zeigen.

      Er mag ihn behalten, er ist sein eigen.“

      Der König spricht es und wirft von der Höh’

      der Klippe, die schroff und steil

      hinausdrängt in die unendliche See,

      den Becher in der Charybde Geheul.

      „Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,

      zu tauchen in diese Tiefe nieder?“

      Der Sturm packte mich und schleuderte mich zwischen Felsen und Strudel. Ich hatte selbst als geübte und durchtrainierte Rettungsschwimmerin großes Glück, dort allein herauszukommen. Immer, wenn sich eine große Welle näherte, versuchte ich, mich vom Felsgestein kraftvoll wie bei einer Wende im Schwimmbad abzustoßen. Nach einigen erfolglosen Versuchen klappte es. Meine zahlreichen Hautabschürfungen eiterten noch mehrere Wochen lang. Sonst aber trug ich keine ernsthaften Verletzungen als Bestrafung für meinen Leichtsinn davon.

      Ich erinnere mich an ein anderes Ostsee-Erlebnis einige Monate vor dem Bernsteinabenteuer, als ich gerade anfing, mich schwimmend über Wasser zu halten. Wir waren wieder in Warnemünde, und meine älteste Schwester Renate, eine ausgezeichnete Schwimmerin, ging mit mir bis zur ersten Sandbank. Hier war das Wasser ganz flach: „Warte dort auf mich. Ich schwimme noch ein bisschen raus und bin bald wieder bei dir. Da du noch nicht richtig schwimmen kannst, darfst du die Sandbank nicht verlassen. Versprichst du mir das?“ Ich wartete eine Weile und merkte mit wachsender Angst, dass das Wasser plötzlich schnell anstieg. Von Renate weit und breit keine Spur!

      Als mir das Wasser fast bis zum Hals kroch, blieb mir nichts anderes übrig, als selbst zum Ufer zurückzuschwimmen; denn stehen konnte ich nirgends mehr. Ich gelangte schwimmend ans rettende Ufer und war stolz, es geschafft zu haben.

      Wenig später kam Renate zurück – aufgelöst, zitternd und bibbernd vor Angst und Schuldgefühlen. Sie dachte, ich sei ertrunken, weil sie auf der Sandbank selbst nicht mehr stehen konnte. Ich weiß noch, wie sie mich – befreit von der Zentnerlast der Schuld – glückselig in ihre Arme schloss, mich herzte und liebkoste. Einfach nur, weil ich da war – unversehrt und quicklebendig. Solch wohltuende Liebkosungen waren für mich ein neues, als einmalig empfundenes Erlebnis.

      Renate bat mich, von alledem Mutti nichts zu erzählen. Ich versprach es und hielt schon eingedenk der Streicheleinheiten gern mein Wort. Künftig brauchte ich niemanden mehr, der beim Baden auf mich aufpasste. Ich konnte, noch keine sechs Jahre alt, gut schwimmen, verspürte keine Angst und liebte den Wellengang. Je höher die Wellen, umso größer der Spaß und das Gefühl von Freiheit. Ich schwamm in der Folgezeit so gern und ausdauernd, dass ich frühzeitig das Frei- und Fahrtenschwimmerabzeichen ablegte und später den Rettungsschwimmerausweis erwarb. So durfte ich als Lehrerin rechtlich mit Schülern zum Schwimmen gehen.

      Im Gegensatz zu den Bergen, die mir fremd blieben und denen ich wenig abgewinne, faszinierte mich das Meer zeitlebens und verleitete mich zu leichtsinnigen Abenteuern. So auch in den USA, als ich mich im Rahmen des vom TENNIS MAGAZIN gewonnenen Hauptpreises ungewollt in ein Haifischgebiet abtreiben ließ. Welch’ Glück, von den gierigen Raubfischen nicht entdeckt zu werden und unversehrt ans rettende Ufer zu gelangen – einige Kilometer vom Startplatz entfernt. Je höher die Wellen, umso lieber schwamm ich und spürte Seelenverwandtschaft mit einer Meeresjungfrau.

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