Warum ich das Lachen und Singen verlernte (Autobiografie). Beate Sander

Warum ich das Lachen und Singen verlernte (Autobiografie) - Beate Sander


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Dies gilt auch für meinen Verlag BILDUNG EINS. Ob ich die erbetene Einverständniserklärung unterschreibe oder das unpersönliche Schriftstück wutentbrannt im Papierkorb zerknülle, ändern wird sich dadurch gar nichts. Autoren sind keine Nutznießer, wenn die Großen die Kleinen schlucken.

      Obwohl ich vor einem Dutzend Jahren gemeinsam mit dem Erziehungswissenschaftler Professor Dr. Knöpfel eine erfolgreiche Sozialwesen-Schulbuchreihe für Thüringen schrieb und bei mir alljährlich immer noch ein paar hundert Euro Honorar eingehen, kennt mich bei WESTERMANN niemand. Auf der DIDACTA 2011 in Stuttgart konnte ich keine Kontakte wegen einer Neuauflage anknüpfen. Vertröstung ja – aktive Kommunikation nein! Dabei werden Schulbuchautoren händeringend gesucht. Ähnliche Erfahrungen gab es mit dem HECKNERS und WOLF VERLAG nach der Übernahme durch BILDUNG EINS, meinen jetzigen Verleger. Dessen Schulbuchbereich wandert nun ins „Bildungshaus“.

      All dies bewog meinen Sohn Uwe, der mit mir gemeinsam das vergriffene Sachbuch „Schwierige Schüler – schwierige Lehrer? Neue Wege des Konfliktmanagements im Schulalltag“ verfasste, in dieser anonymen Welt kein Buch mehr schreiben zu wollen. Aber tüchtige Schulbuchautoren braucht das Land – auch mit Blick auf die PISA-Studien.

      Zurück zum Ferninstitut meines Vaters und den sich zuspitzenden finanziellen Sorgen. Es ist schlecht, Rechnungen ungeöffnet wegzulegen und von wundersamen Visionen zu träumen. Dennoch musste unsere Familie nie hungern.

      Es gab keine Räumungsklagen, keinen am Mobiliar klebenden Kuckuck. Mein Vater als Lebenskünstler und Stehaufmännchen zog gerade noch rechtzeitig den Kopf aus der Schlinge. Er war der Igel, nicht der Hase. Finanzielle Unsicherheit und beidseitige Seitensprünge machten die Ehe meiner Eltern zur Hölle. Dabei liebte mein Vater meine Mutter zeitlebens, während sich bei ihr Hassgefühle eruptionsartig entluden. Von diesen Hasstiraden blieben wir Kinder nicht verschont. Wir sollten für Mutti Partei ergreifen und Vati bei Familienfestlichkeiten aussperren. Zu Elkes und Uwes Taufe und Konfirmation lud ich abwechselnd ein.

      Vati stellte seine Lehrbriefe selbst her. Er besaß eine Maschine, Modell „ROTOPRINT“, die mithilfe von Wachsmatrizen Tausende preisgünstiger Vervielfältigungen in flottem Tempo produzierte. Jedes mit der Schreibmaschine eingegebene Schriftzeichen durchlöcherte die Wachsmatrize als Druckträger. Hielt ich eine beschriftete Matrize gegen das Licht, so war der Text anhand jedes ausgestochenen Zeichenabdrucks gut lesbar – ebenso die mithilfe von Kohlepapier entstandene Kopie nach Beschriftung. Im Anschluss an den Vervielfältigungsprozess waren die Druckträger mit saugfähigem Papier von den schwarzen Farbresten zu säubern. Danach wanderten sie in die mitgelieferten Kartonagen. Auf dem Deckel musste die genaue Produktbezeichnung stehen – unerlässlich für rasches Wiederfinden.

      Der Schwachpunkt lag darin, dass eine Korrektur bei der Texterfassung und danach nur ganz bescheiden möglich war. Es ließen sich nur einzelne Buchstaben und gleich lange Wörter mit dem lilafarbenen Korrekturlack ausbessern.

      Bei Ergänzungen und Aktualisierungen ging dies nicht. Jede größere Korrektur machte es notwendig, eine neue, ziemlich teure Matrize zu beschriften. Schlich sich erst einmal der Fehlerteufel beim Tippen auf der mechanischen Schreibmaschine ein, so wuchs die Nervosität. Die Patzer mehrten sich. Also wieder eine frische Matrize und danach nochmals eine usw. Bei solchen Pannen half ich im Büro öfters aus.

      Es war beschlossene Sache, dass ich dieses Ferninstitut später weiterführen würde. Eigentlich lief damals der Fernunterricht nicht schlecht. Erst mit dem Siegeszug des Internets und der Gründung zahlreicher Business-Schulen wurde es zusehends schwieriger, sich als Fernakademie mit Printerzeugnissen zu behaupten. Die zahlreichen ganzseitigen großen Werbekampagnen konkurrierender Ferninstitute sind verschwunden, mag sich dieser Markt aktuell auch wieder beleben. Die Online-Angebote haben diesen Markt empfindlich getroffen und ausgedünnt. Mein Vater, mit über 80 Jahren durch einen schweren Schlaganfall ans Bett gefesselt, bekam davon kaum etwas mit.

      Gut, dass sich Vati in Westberlin bereits zweigleisig orientierte und in der Privaten Handelsschule Müller in Würzburg als Wirtschaftslehrer eingestellt wurde und eine wichtige Gelderwerbsquelle fand. So konnte er in seinen studierten Fächern unterrichten und den Lebensunterhalt seiner großen Familie sichern. Vatis große Liebe gehörte aber zeitlebens seinem Ferninstitut. Er tat alles, um seinen stolzen Segelschiff-Dreimaster in Würzburg wieder flott zu machen. Letztlich misslang dies trotz großen Einsatzes und zeitlebens nicht endender Leidenschaft.

      Mir fällt dazu eine kleine Geschichte ein, die um ein Haar tragisch endete. Ich wollte mir einen originellen Aprilscherz ausdenken: Mein Vater hatte im westfälischen Rheda bei Gütersloh, dort wo der BERTELSMANN-Konzern seinen Hauptfirmensitz hat, eine Partnerin. Sie war zuständig für den Vertrieb der in Würzburg hergestellten Lehrbriefe und schrieb meinem Vater öfters Briefe. Ich fing einen ab und öffnete den Umschlag vorsichtig, um ihn nochmals benutzen zu können. Frau Pulsfort schrieb ihre Mitteilungen auf einem eher seltenen Schreibmaschinenfabrikat. Ein solches Gerät stand auch im Bürohaus Sammetinger, Vatis Geschäftspartner und mein Sponsor für Wettschreiben. So war es kein Kunststück, einen Brief aus Rheda auf einem solchen Schreibmaschinentyp nachzuahmen. Absender war diesmal Herr Pulsfort. Ich fing den Postboten ab und bat ihn, den irrtümlich in der Handelsschule eingeworfenen Brief Dr. Jaenicke auszuhändigen. Mein gefälschtes Schreiben lautete in etwa so:

      Sehr geehrter Herr Dr. Jaenicke,

      meine Frau ist schwer gestürzt, sodass sie sich um den Vertrieb der Lehrbriefe vorerst nicht kümmern kann. Ich selbst bin beruflich dermaßen eingespannt, dass es unmöglich ist, für meine Frau einzuspringen. Sorgen Sie doch bitte selbst für Ersatz. Am besten, Sie schicken Ihre Tochter zu uns, oder Sie kommen selbst nach Rheda. Es ist dringend!

      Mit freundlichem Gruß

      Beim Mittagessen erzählte Vati, dass Schlimmes passiert sei: „Frau Pulsfort hat sich beim Sturz verletzt. Ich kann selbst nicht nach Rheda fahren wegen des Schulunterrichts und anderer wichtiger Termine. Du kannst ja leider auch nicht einspringen, weil deine Lehramtsprüfung ansteht. Aber ich habe eine brauchbare Lösung gefunden. Direktor Müller ist so nett, seine Sekretärin auszuleihen. Sie packt gerade ihre Sachen, um noch heute nach Rheda zu reisen.“

      Erschrocken rief ich: „April – April! Der weiß nicht, was er will!“ Vati tobte vor Wut, sonst kaum seine Art. Er machte Anstalten, mich zu versohlen. Aber blitzschnell kam ihm die rettende Idee: „Ach was!Ich schicke jetzt Herrn Müller in den April. Er sollte dies dann auch mit seiner Sekretärin so machen. So verliert niemand sein Gesicht. Aber es ist höchste Eile geboten.“ All dies funktionierte in letzter Minute. Aber ich war gewarnt und für alle Zeiten belehrt. Meine Lust war vergangen, jemals noch eine Person in den April zu schicken.

      Mein Vater wollte als beinahe 80-Jähriger selbst eine Autobiografie schreiben. Er kontaktierte uns und sammelte Materialien. Ich denke, sein schwerer Schlaganfall, der ihn bis zum Tod völlig hilflos an das Pflegeheimbett kettete, hinderte ihn daran, den Plan umzusetzen. Damit schloss sich auch das letzte Zeitfenster für unsere Versöhnung. Vielleicht hat mich sein Vorhaben inspiriert, dies bei genug Reife und Erfahrung selbst zu tun. Meine Sachbücher stufe ich als Übungsbecken zum Freischwimmen ein auf dem Weg zu einer guten Sprache im Bereich der Belletristik mit dem Ziel, künftig Firmenbiografien zu verfassen.

      Ein seltenes Naturschauspiel an der Ostsee

      Meine Eltern fuhren mit uns am Wochenende öfters an den nahe liegenden Ostseehafen Warnemünde zum Baden und in den Sommerferien für einige Wochen an die Ostsee. Es gab dort schöne Heilbäder wie Graal-Müritz, Ahrenshoop und Wustrow. Wir wohnten dort in einem schönen Hotel nahe dem Strand. Als wir erneut unsere Ferien im Ostseebad Ahrenshoop verbrachten, war eine Sturmflut angesagt. Mutti verbot uns eingedenk der Gefahr, dass die sich auftürmenden Wellenberge ungehorsame Kinder in den Abgrund ziehen und verschlingen


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