Ahrenshooper Narrenspiel. Tilman Thiemig

Ahrenshooper Narrenspiel - Tilman Thiemig


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      »Ob du es mir glaubst oder nicht, Kempowski, ich habe die Frau geliebt. Auf eine ganz eigene Art. Auch wenn das mit uns nicht lange gehalten hat. Vier, fünf Wochen nur. Im Sommer. Nach der Geschichte mit Ann-Kathrin. Und Claudia manchmal schon sehr eigen war. In vielerlei Hinsicht. Ach, gib mir noch eine Zigarette!«

      Kempowski öffnete sein Etui, reichte es Schiffers und gab Feuer. Er und der Inhaber der Bunten Stube kannten sich schon lange. Aus Wismar. Den Achtzigern. Hatten sich später aus den Augen verloren, bis der Fall Partikel Kempowski nach Ahrenshoop geführt hatte. Wobei sie sich erst nach dessen Abschluss wieder angenähert hatten. Obwohl Kempowski und Elisabeth nun ein Paar waren. Elisabeth Müller-Paul, die wiederum einige Jahre die Gefährtin des Buchhändlers gewesen war. Dennoch verstanden sich die Männer inzwischen bestens, waren beinahe Freunde. Kempowski hatte sich daher direkt nach Schiffers Anruf auf den Weg gemacht. Zumal sich die Nachricht vom Mord an der Inhaberin des La Plateau wie ein Lauffeuer ausgebreitet hatte. Trotz des anderen Brandherdes, der anderen Hiobsbotschaft: der Flucht Hans von Wustrows.

      »War er’s? War er’s nicht? Und wer war es dann? Warum? ›Meine Ruh ist hin, mein Herz ist …‹« Schiffers stellte die kleine Glocke auf dem Schreibtisch neben das mit Cognac gefüllte Glas. »›… schwer. Ich finde sie nimmer und nimmermehr.‹ Goethe. Faust. Monolog des Gretchens. – Ach Gerhard, es tut mir so leid.«

      Elisabeth Müller-Paul hatte das Kontor betreten und umarmte Schiffers.

      »Lizzy, danke. Ja … setz dich doch, bitte! Hast du’s also auch schon gehört, das mit der Claudia. Nimmt mich mächtig mit. Obwohl ich sie seit Wochen nicht mehr gesehen habe … sehen wollte. Bin ihr aus dem Weg gegangen – soweit das in Ahrenshoop möglich ist. Allerdings war sie in letzter Zeit zumeist in Stralsund. Ihrem anderen Geschäft. Die Arme.«

      »Aber Gerhard, das ist doch verständlich, dass einem so eine Tat ans Herz geht. Mir ja auch. Obgleich ich ja keine so enge Freundin von ihr war, um es einmal freundlich zu formulieren. Und mich zudem die Geschichte mit von Wustrow noch mehr beschäftigt. Seine Flucht … die Vorstellung, dass er womöglich zurückkommt und sich rächt.«

      »Ich weiß nicht. Ich glaube das nicht. Und selbst für den Fall der Fälle stünden andere Namen ganz oben auf seiner Liste. Dörte zunächst. Richard Sonntag auch. Zimmermann natürlich. Ich vielleicht?«

      »Sehr beruhigend, mein lieber Kemp. Wirklich. Vielleicht sollten wir einfach verreisen, bis sie ihn wieder haben?« Elisabeth griff nach Kempowskis Etui und wartete darauf, dass er ihr Feuer geben würde. Hustete. Gab ihm einen kleinen Kuss.

      Schiffers hatte kurz den Raum verlassen.

      »Urlaub? Eigentlich eine gute Idee. Da wir ja wenigstens noch das Richtfest gut über die Bühne gebracht haben, hätten wir uns das allein schon deswegen verdient. Nur nicht so bald. Ich habe noch etwas zu erledigen. Ich muss morgen nach Wismar.«

      »Was hast du denn dort vor? Allerdings, Wismar ist immer eine Reise wert. Auch eine kleine. Ich komme mit.«

      Kempowski zögerte mit der Antwort. Druckste herum. Bislang hatte er sich noch nicht getraut, Elisabeth von der Vorladung zu erzählen. Der Einladung zur Zeugenaussage. Das entsprechende Schriftstück hatte er rechtzeitig aus dem Briefkasten geholt und bislang nur Hakala-Holappa auf der Rückfahrt von dessen Waterloo auf der Bundesstraße eingeweiht. Für einige Zeit hatte das Thema Haberkamp beide vom Fiasko der missglückten Expedition ablenken können. Zumal der Profiler sich ihm gegenüber ebenfalls offenbart hatte, dass er auch in den Fall eingebunden wäre. Beziehungsweise war. Noch bevor sie in Born angekommen waren, hatte man Hakala-Holappa telefonisch suspendiert. Aller Aufgaben entbunden. In knappen Worten, wenigen Sätzen, kurzer Prozess. Was jener zerknirscht zur Kenntnis genommen hatte. Ein Häufchen Elend. Ein Schatten seiner selbst. Der dennoch weiterhin Kempowskis Geständnis zugehört hatte. Seinem Eingeständnis, dass er diesen Haberkamp sehr wohl kennen würde. Und mit ihm einige krumme Geschäfte gemacht hatte. Kurz nach der Wende, in den Tagen der Goldgräberstimmung. Als Deutschlands Osten zum Wilden Westen geworden war. Im Wesentlichen ging es um Versicherungsbetrug und einige Immobilien, die in Haberkamps Besitz gewechselt waren – auf moralisch höchst fragwürdige Weise. Auf der Basis von ausgenutzter Gutmütigkeit, Unerfahrenheit und ökonomischer Naivität. Wenn auch aus juristischer Sicht noch im Grauzonenbereich. Gerade so. Dennoch schämte sich Kempowski für das Geschehene. Den menschlichen Beschiss. Die Chuzpe, mit der er damals manch einen Grundstückseigentümer übers Ohr gehauen. Hatte die Geschäftsbeziehung zum Autohändler Haberkamp dann auch bald beendet und ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Selbst den Alten Schweden gemieden, wo sie damals ihre fragwürdigen Erfolge ausgiebig gefeiert hatten, um Haberkamp nicht mehr über den Weg zu laufen.

      Kempowski wusste um Elisabeths hohe moralische Ansprüche. Den Wert, den sie auf Ethik legte. Die geradezu kultische Verehrung, die sie ihrer Großtante entgegenbrachte. Elfriede Paul – eine Ikone der Integrität. Und er kannte ihr Talent in der Kunst der bohrenden Frage. Sie war eine Meisterin des Nachhakens. Daher ahnte er, wie sie auf seine Jugendsünden reagieren würde. Ganz zu schweigen von der neuerlichen Beunruhigung durch einen weiteren Mordfall, in den er, ihr Kemp, in irgendeiner Weise involviert war. Eine fatale Situation.

      »Ach, das ist eine lange Geschichte, was von früher. Erzähle ich dir nachher. – Doch, klar nehme ich dich mit. Ich kenne Wismar wie meine Westentasche und kann dir bestimmt noch Ecken zeigen, die du nicht kennst. Warst du zum Beispiel schon mal in der Heiligen-Geist-Kirche? Hast dir mal dieses Fresko angeschaut, das ein bisschen wie ein Kreuzworträtsel aussieht? Das mit dem Dankesspruch. Und dieser geheimnisvollen Aufforderung: Lies, wenn du es verstehst. Prüfe …«

      »… und ich bin ehrlich zu Ihnen, Herr Schiffers«, Meinhard und Schiffers betraten das Kontor, »es ist für Sie wirklich nicht gut, wenn Sie mir … uns nicht sagen wollen, wo Sie den gestrigen Abend verbracht haben. Die Nacht. – Oh, ich wusste nicht, dass Sie Besuch haben.«

      Kempowski kannte Rico Meinhard, den Hauptkommissar aus Stralsund. Von den Morden des Frühjahrs her. Ebenso wie den jungen Burschen, der hinter Meinhard durch die Tür schaute: Leon Meinhard. Der Sohn, mit dem Kempowski unangenehme Erfahrungen gemacht hatte. Allgemeine Verkehrskontrolle … Nun trug Meinhard Junior allerdings Zivil. War anscheinend einige Sprossen auf der Karriereleiter geklettert. Und auf dem Posten von Schmitt ohne dt, der es anscheinend zum BKA geschafft hatte.

      »Frau Müller-Paul, Herr Kempowski, ich begrüße Sie. Zu Ihnen wollten wir eigentlich auch noch, wegen der Geschichte mit von Wustrow. Da hat sich Ihr Freund ja wirklich ein Ding geleistet. Den einfach so entkommen zu lassen. Sorry, aber saudämlich. Sage ich Ihnen ganz offen. Und an wem bleibt wieder alles hängen? An uns. Der Herr Profiler hat das intellektuelle Vergnügen, wir die Arbeit. Die Drecksarbeit. Wenn ich nur an die Fahndung denke, die Suchtrupps … Was allein so ein Mantrailer kostet! Dann womöglich noch Personenschutz. Für Sie, die Künstler, Frau Bradhering. Den Zimmermann. Und als Krönung jetzt noch diese Sauerei oben auf dem Millionenhügel.«

      »Papi, vielleicht sollten wir …«, Leon fiel seinem Vater ins Wort, um ihn an eine gewisse Verschwiegenheit zu erinnern und vor der Preisgabe von Details zu bewahren.

      »Was, jetzt fällst du mir auch noch in den Rücken? Meine Güte, was habe ich nur verbrochen? Und, gegenüber dieser Bande habe ich bereits vor Monaten zu viele Fehler gemacht. War zu mitteilsam. Doch wozu auch? Hier oben sprechen sich ja selbst die allergrößten Dienstgeheimnisse in atemberaubender Geschwindigkeit rum. Und das bei diesem schlechten Netz. – Apropos Netz, nun kommen Sie, Herr Schiffers, wo waren Sie? Raus mit der Sprache! Wir haben nicht ewig Zeit!«

      »Der Gerhard, der war bei mir …« Elisabeth Müller-Paul hatte es ganz leise gesagt. Gehaucht.

      Für Kempowski war es jedoch wie ein Paukenschlag. Er starrte sie mit offenem Mund an.

      »Ja, der Kemp war ja unterwegs, also der Herr Kempowski. Daher sind wir nach dem Richtfest noch zu mir. Auf einen Wein. Und dann ist es spät geworden. Und ein bisschen sentimental. Schließlich standen wir uns einmal sehr nahe, der Herr Schiffers und ich. Und von großen Lieben, wirklich großen, bleibt immer etwas. Ein glimmender Funke. ›Der Funke der Liebe, im Herzen geboren, geht nimmer Dem, der ihn empfunden, verloren,


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