Die Forelle. Leander Fischer

Die Forelle - Leander Fischer


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den Arm gereckt, im Flug, Raum beansprucht. Einmal sind wir nicht zusammengezuckt, sondern haben uns hechtsprunglang gemacht. Da kam dann der Habicht, in Verlängerung unserer Hand, als hätten wir ihn losgeschickt, zur Hilfe und nieder mit dem Rattenvieh. Die Flügel peitschten, die Zähne bissen, der Schwanz stand, der Habicht flatterhaft, der Franzos fassungslos, die Ratte kampfeslustig, wir unbeachtet und nichts wie los. So zogen wir ab. Wir kämpften. Wir hielten die Situation aus. Wir warteten auf den Auftritt des großen Habichts. Er sah aus höchster Höhe auf uns nieder, er war uns blickwinkelgeneigt.«

      »Und so leid es uns tut, Siegi, fast alles besteht aus Kämpfen mit Rattenschwänzen. Es war ein Erlebnis. Der Überdruss am Rattenschwanz ist immer sinnlos. So was verdrießt uns nur. Find dich damit ab. Es gibt kein Ergebnis.« – »Und Vermögen?« – »Das wird den Erben vermacht.« – »Und ist das nichts?« – »Mammon«, Ernstl sprach es aus wie die französische Mutter, »hat immer noch alles verdorben. Sollen selber schauen, wo sie bleiben. So war das auch bei uns. Der Käse, denkst du jetzt sicher, Siegi, ausgeschissen in den Fluss. Vorher noch durch die Grazer Stadt gelaufen. Dachten schon, wir müssten das Essen verstecken. Aber meinst, da hätte unsereins irgendeiner angeschaut. Die Passanten mit ihren Hüten und Koffern sind einfach weiter ihren Schwarzmarktgeschichten nachgegangen. Die ersten Diven sind schon wieder herumchauffiert worden in den KdF-Käfern. Erst dachten wir noch, die wollten sich nicht einlassen mit diebischem Gesindel wie uns, das fix samt Roquefort vors Militärgericht kommt. Aber von Soldaten wimmelte es an jeder Ecke. Sie verloren Kaffeepäckchen beim Hütchenspielen, steckten einheimischen Schönheiten Zigaretten ins Hutband, unter dem es blond hervorwallte. Wir, die Nase hoch oben, den Roquefortgeruch darin. Die Lider offen, den Blick auf einem Level mit den fremden Köpfen. Wir versuchten einen Augenblick Kontakt herzustellen. Und nicht ein Mensch schaute auf uns. Wir brachen immer wieder ab vom Roquefort. Die Bröckchen flogen durch die Luft. Die Passanten schossen wir ab. Wir trafen sie alle. Aber keiner hat sich umgedreht. Sie wischten nicht mal den Dreck weg von ihrer Kleidung. Und dann war nur noch ein klitzekleines Fitzelchen Roquefort in unserer Hand. Draufgestiegen waren die Passanten mit ihren geschissenen Schuhen aus lauter Bosheit. So viel Beachtung haben wir dann schon gekriegt. Da sind wir zum Fluss abgezischt, das letzte Stückchen zu verspeisen. So Zucker, dass wir, auf einem Stein sitzend, mit Zungennagen und Zahnspitzeln noch das letzte Fitzelchen herauskitzelten. Es steckte noch vom Tritt unter dem großen Zehennagel, an den wir Hand anlegten, die Fußsohle hoben, sie an unseren Mund zogen, uns hinunterbückten zum eigenen Dreck, die Lippen fast am Nagel, den Rücken krumm, da sahen wir, dass unser Lendenschurz liegengeblieben war im Hinterhof. Wir standen auf und schauten unsere Spiegelung an im Fluss und überlegten so ruhig wie möglich. Sie wachten ja schon alle. Und der Lendenschurz lag im Sichtfeld des Fensters. Wir verbrachten also die Nacht am Ufer, versteckten uns gut in der Au. Eine Partie dieser Bauerntrottel von den umliegenden Höfen überlebten wir. Sie kamen einhergestolpert bei Einbruch der Nacht, voll mit selbstgebranntem Zeug. Zwar war an uns nichts dran, aber das war ja derzeit bei allen so. Oft konnte man Leute sehen, denen Finger fehlten. Die Forellen waren auch nicht wirklich proper. Fingen eh keine, diese Sauproleten, zu grob ihr Fischen, zu ungehobelt ihre improvisierten Holzruten. Sie blieben hungrig nachts, die Bottel die meiste Zeit im Mund, sonst in der Hand. Sie waren sogar noch schlimmer als die Bierschädel heute. Dass uns die ihren Stecken durchgerammt und uns gegrillt hätten, kannst sicher sein!

      Der Nachtvogelschrei erklang noch über Graz, da marschierten wir schon los, froh wegzugehen, der gesitteten Bagage entgegen. Bevor jemand wachte in der Kaserne traten wir in ihr Sichtfeld. Und der Lendenschurz lag ja wirklich da nebst den Kampfspuren vom Vortag. Bist du deppert, der Habicht hat ausgeschissen toter als tot im Hinterhof. Eine Saat Rattenbisse spross aus seinem Gefieder. Der geschwungene Schwanzfedernkranz war ausgelichtet wie eine abgemähte Monstranz. Nur eine Schwinge stand noch ab. Und genau im selben Winkel auf den Habichtanus lag auf der anderen Seite der Rattenschwanz, dass es auf dem roten Backsteinhintergrund wieder zwei Zinken ergab, wie die Beine eines Hangman-Strichmännchens. An dem Arrangement machte sich auch schon eine Maus zu schaffen. Als wir näher herantraten, fleuchte sie davon, dass der haarige Schwanz ihr hinterherhechelte. Und in unser Sichtfeld sturzflog die Schneeeule, stob absolut lautlos der Maus hinterher. Losreißen konnten wir uns kaum von diesem Schauspiel. Dann wandten wir uns ab, den Lendenschurz noch nicht gegürtet, schauten in den Mündungslauf eines Gewehrs. Der Finger des Franzosen am Abzug zitterte. ›Wer bist du?‹ Ich sah den zerfledderten Habicht, roch Verwesung, fast Pestilenz, sozusagen schon Cholera und quasi den Dünnschiss in der Franzosenhos, das hat er noch nie gemacht, ein Reservist, der jetzt erst tapfer die Besatzung macht, und die Schneeeule, wie sie die Kralle hebt, der Mauskopf schaut heraus, geht immer höher und verschwindet vorm anderen Kopf, der kurz ruckt, wie zum Kuss, Schnabel voran, und der Kopf reißt ab und fällt, dass es das schneeige Gefieder sprenkelt in Schwarzblut und Weißschuld, und erst das Hacken dieses Tiers, wie mit einem Bajonett, das Herausziehen der Innereien, sage ich dir, mein Rattenschwanz stand und ich mandelte mich auf und ich sagte: ›Wir sind Ernstl Thalinger!‹, und der letzte Vollmondscheinstrahl vor Dämmerung vergoldete die tellergroßen Schneeeulenaugen zu blonden Bällen.

      Der Franzos kannte sich natürlich gar nicht aus, und die Frage war nur, ob wir eh unser Telefonat bekamen. Seine Frage war dann, wen wir anrufen wollten, und wir sagten, wir hätten im Elsass gekämpft und würden gerne ein paar Takte unserer besseren Hälfte pfeifen, wir würden doch sehr hoffen, die Marseillaise als Warteschleifenmusik«, all dies konserviert in Ernstls Stimme, als ob das noch kein Ergebnis war: »Ja, und da hast du dich dann mit einem einzigen Anruf rausgeboxt?« – »Sicher! Am Schluss wollten sie noch wissen, wie wir schlichen in den Hinterhof. Holladira, sagten wir, voilà die Ratte, und sonst nichts mehr. Dann gab es ein bisschen Reibereien, ein paar Papiere, Verhöre, Einzelhaft, der ganze Rattenschwanz, den sie dir anhängen, ein Wurmfortsatz, anatomisch absolut bedeutungslos, aber evolutionär das Allerwichtigste. Wie wir wurden, wer wir sind. Wir waren ja inzwischen eine Ratte. Keine Chance, niemals hätten wir unser eigen Loch gestopft. Wir verrieten die Rattenlinie in den Kasernenhinterhof nicht und nahmen sie jeden Morgen. Vor der Dämmerung noch spazierten wir ein und aus, die Angst vorm Nachtvogel abgelegt. Wir schlugen uns durch und fraßen den Müll. Er wurde mehr mit der Zeit, der Container quoll fast über und auch eine neue Generation Fische schlüpfte. Ratten haben wir lange keine mehr gesehen, die waren noch nicht auf zu unsrer Frühvogelstunde. Außerdem konnten wir gut auf ihre Gesellschaft verzichten. Das sind mörderische Wesen, die zwingen ihre eigenen Kinder zum Selbstmord. Ein brutales Sozialsystem ist das. Manchmal sterben Eltern eben. Dann werden die Waisen wieder eingegliedert. Aber sie müssen ab dann als Erste fressen. Sie sind Vorkoster. Das funktioniert gut. Vergiften kannst du sie nicht. Heute sagt man in Wien eine Ratte pro Einwohner. Damals in Graz haben wir die Müllcontainer durchwühlt und sind draufgekommen, dass wir die Vorvorkoster sind. Von da an einzige Nahrungsbeschaffungsquelle nur noch der Fluss«, sagte Ernstl und nickte so bedeutungsschwer, dass ich mich ihm einfach entgegenstellen musste, nicht anders konnte, als ihn zu fragen, was war denn mit Errungenschaften, mit Trotzkämpfen, was denn wäre, wenn er all das aufschriebe, ob das nicht ein Ergebnis wäre, etwas, das übrigbliebe, und er sagte, er habe Bücher brennen sehen, weil die Zeiten kalt waren. Und ich sagte lauthals, die würden heute problemlos nachgedruckt, es stimme alles nicht, was er erzähle, es gebe ein Fortschreiten, und das bleibe, er total lapidar, keinerlei Zeit für Auseinandersetzung, ich und mein Alter einerlei: »Auf unsere alten Tage zahlt sich das nicht mehr aus. Wie viele Doppler trinken wir pro Tag«, und ich rechnete es ihm vor, warf ihm den Schmierzettel hin. Er nahm einen besonders großen Schluck, stellte die Flasche auf den Tisch, grün war sie, weiß das Etikett, Burgenland in farbigen Lettern, wie Wiesen, er habe heute mehr Durst, und er winkte ab, er wisse ja gar nicht, wie er schreiben solle.

      »Und wenn du einfach mit dem ersten Muster anfängst.« – »Sicher nicht, Fliegenfischen reicht, aus die Maus«, er hatte wieder auf seine Schiffchenstrecke auf und ab an der Tischkante zurückgefunden, jedweder Zug abgefahren, dass da noch was zu machen war an unseren gemeinsamen Vormittagen außer Fliegen. Er griff die Flasche, wiegte sie, deklamierte, dass ich mich resigniert hinter den Bindestock klemmte, voll Groll, »bedenke, nicht immer haben wir einen Greifvogel parat. Nicht auf jedes dahergefleuchte Getier können wir einen Habicht hetzen. Deswegen braucht es den Schwanz. Um die Ratte zu kennzeichnen.« – »Verflucht, du hast gesagt, verdammt, der Schwanz wäre nicht wichtig«, ich schrie. Er wisperte: »Ist er auch nicht, zumindest nicht


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