Die Forelle. Leander Fischer

Die Forelle - Leander Fischer


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Halbschuhen vom schon ausgetretenen Weg in den Neuschnee hinein, dass meine Socken nässten und der Mann im Arbeitsoverall an mir vorbeinäseln konnte einem potenziellen Gesprächspartner hinter mir entgegen, der Kurti habe aber doch nur die höchsten Ansprüche, und sich der Typ im neonkarierten, ausstaffierten Skianzug die Strickmaske vom Gesicht riss, sich labelloverschmierter Lippen lautstark erregte und echauffierte, ob er Schweinsauge und Schauschädel den Kurti jetzt etwa anscheißen wolle, bloß weil er so ein feiner Kerl, sein Filet so geschmeidig sei. Der Mann in seiner reflektorverflickten Kluft erstrahlte, als die Sonne eine Sekunde durch den Hochnebel stach, was mich blinzeln ließ, zwischen den beiden hin und her, so rede er, der Herr, aber nicht mit ihm, und als ich das Lid wieder hob, waren seine Wangen kampfbereit verkrampft. Lust überkam mich, ihm Schneeketten hineinzuschlagen in die Fresse. Nur Missverständnisse, das habe er überhaupt nicht gemeint, er würde nur tierisch gerne wissen, wo Kurti sein Zeug herkriege. Auch das ein Dauerbrenner in der Schlange, immer wieder tauschten sich die Leute aus, vor welchem Stall, in welcher Hofeinfahrt, auf welchem Parkplatz, der welchem Wochenmarkt am nächsten lag, man Kurtis Viehfuhrwerk stehen gesehen hatte, welcher Bauer Zulieferer sein könnte. Das sei doch alles Schwachsinn, sagte der Mann im Skianzug und ballte seine Faust um die Strickmaschen der Skimaske, schmiss dem Mann im Arbeitsoverall entgegen, aber mit ins Stiergenick gelegtem Haupt, so als schrie er all das in den Jännerhimmel, janusköpfig fast, dass danach auch wirklich der Hinterjemand einstieg, dass Kurti ja wirklich nicht immer bei gleicher Zucht zukaufe, vielmehr Rindindividuen als Stallstrukturen beurteile. Ja, sagte die Frau dahinter, er ließe sich an die Futternäpfe führen, schaue auf den Märkten die Muskulatur ganz genau an, bestehe immer wieder darauf, das Vieh aus der Box und eine Runde laufen zu lassen, weil er nur in der Bewegung die feinsten Geschmäcker ablesen könne. Ich stellte mir die silogefütterten Haufen Fleisch in den Supermarktkühltruhen vor, die alkoholfilmrissigen Weideviehherden im Sommer, wie sie x-beinig am Berghang standen, verwirrt und fermentiert in die Weite Oberösterreichs stierten und kein einziger Lichtreflex auf den Glanzaugen von der Sonne kam. Das Gerede des Nächsten in der Schlange kam mir dann schon vor wie das Muhen all der Rindviecher, die Kurti verachtete und mir so dankenswerterweise fernhielt, tatsächlich stünden diese Tiere ja heutzutage nur noch im Stall. Das habe aber auch etwas mit der Heuwirtschaft und den Zuchtanstalten, dem Unterschied zwischen Milchkuh und Schlachtrind zu tun, das ganze System habe quasi totalitäre Züge, da komme man nicht raus, wo solle da noch ordentliches Vieh herkommen.

      Es ging wirklich auf keine Kuhhaut, anstatt Kurti dafür zu danken, wofür sie ihn zweifelsohne hielten, für die letzte Bastion, den finalen Widerstand, den Stierchamp, der seinem Schlachtvieh gnadenlos ins Auge schaute und dem verkaufsgeilen Züchter knallhart den Zigarettenrauch entgegenatmete, sagte, der nicht, und beim nächsten Markt schon wieder keiner, und auch du nicht, Bullus, ereiferte sich die Schlange jetzt darüber, wie sie den Mittelsmann ausstechen könnten, wie sie an das Fleisch rankämen, an das Kurti ebendiese Woche nicht rangekommen war, wo diese Viehhöfe und welche Kriterien beim Ochsenausschauhalten miteinzubeziehen seien, welche Flankenfalten man zu beachten habe, diskutierten sie, während Kurti Schweinebacken abpackte, Schweinefilets verkaufte, Schweineschnauzen ihnen um die Ohren haute, Schweinehirne wog, Schweinekoteletts stapelte, weder Papier noch Folie, sondern Schweinezungen dazwischen schlichtete, auch Schweinehufe gingen über die Theke, Hals, Bauch, Ohren, Wamme, Medaillons, Ringelschwanz, Lauf, ganze Säue schleuderte er der gierigen, hundertköpfigen Schlange entgegen, bis sie wieder Rindfleisch beißen sollte, allesamt Säue oder Kastraten, denn Eberhoden gab es nie. Die Eier nahm Kurti nur vom Stier. Oder vom Ochsen, darüber dachte ich diverse Male nach. War beim Nagel zu denken an Jesu Hand oder an das Stigma? Rief die Reliquie nach dem verlustig Gegangenen oder dem ergötzenden Ganzen, rief das Artefakt den klaffenden Riss wach, beschwor die heilige Lanze die Wunde, die sie schlug, oder, was sie wieder ergänzte, den rechten Fleck rund um Inris linke Brustwarze?

      »Kurti?«

      »Siegi?«

      Er deutete das Aufschauen nur an, hob den Kopf zwar, ließ die Pupillen aber auf der Arbeitsfläche, wo seine Finger gerade zwischen Fleischfetzen und Blutlachen Nadel und Faden durch eben aus dem Räucherofen genommene Ochseneier oder Stierhoden führten, sie zu einer Kette von zweidutzendfacher Bullenpotenz verbanden.

      »Ich hätte da mal eine Frage.«

      An die hintere Ladenlagertür, die seit Neuestem ein frontal aufgenommenes Porträtposter von Jochen Rindt zierte, hängte Kurti nach dem Schlussknoten die Klötenkette auf drei Nägel, geschlagen durch Stirn und Augen, dass es ausschaute, als trüge der einzige österreichische und zudem postume Formel-1-Weltmeister für alle Zeiten nachträglich Kurtis Kranz um den Hals, der spitz zusammenlief nach unten, die Dreiecksschenkel exakt an Jochen Rindts Halsschlagadersträngen, fast wie eine Knoblauchzehenkette sah der Kranz aus, einen Vampir zu vertreiben, einen Untoten, einen Lord.

      »Vergiss es, Herr Siegi Heehrmann, unerschwinglich«, zischte ein Provinzler von hinten und vor mir wandte sich Kurti kopfschüttelnd um. Er griff andere Rindstücke aus der Auslage fliegender Finger, an denen Blutschichten in verschiedensten Stadien der Gerinnung eine zerklüftete Tektonik bildeten, abschuppten beim Beiriedscheibenschneiden, und der Krustenspan flockte teils auf die Arbeitsfläche daneben, fiel teils ab auf das mir bald ausgehändigte Fleisch. Ungemein faszinierend, dass Kurti nicht nur die geschlachteten Stiere, sondern selbst die Abgespeisten der Schlange miteinander verband, worüber ich noch nachsann, während das Telefon erscholl, Kurti ab- und einen Kesselheißeauftrag entgegennahm, einen Termin absprach, eine Adresse notierte, ich die Wartenden abschritt, die schon nichts als die Frage nach der bald von Kurti heimgesuchten Familie umtrieb, die Frau solle ja, eine echte Hex, schreckliche Leute.

      13

      Die Fremden im Dorf

      Wiewohl ich mehrere Monate schon vormittagelang Fleisch holen fuhr in dieses Dorf, dort kam mir doch nichts zu Ohren über einen eigenbrötlerischen Fliegenfischer namens Ernstl. Der Greis war nicht anzutreffen so ohne weiteres, immerhin sparte den Alten selbst die Schlange in ihren Worten aus, anders als alle anderen Fremden im Ort. In Sachen Ernstl verloren auch kein Sterbenssilbchen meine baldigen sogenannten Vereinskollegen, mit denen im selben Wirtenzimmer zu sitzen, verschwistert in Feindschaft, über bitterem Wacholderbeer, ich mir noch nicht einmal vorstellte, während ich unter ihnen auf mein täglich Fleisch wartete. Sogar wenn das Thema dann auf Nina und die Herberge kam, auf Gerry und sein Gipsbein, auf dem niemand unterschrieb, ungeschickt habe er sich eben angestellt, ausgerutscht, ein Abwärtssatz, aus die Maus, die drei Treppen zur Herberge hinuntergefallen aus dem Haus, niemand nannte und kannte da den Alten beim Namen. Lange Zeit dachte ich, dass die Einheimischen einfach kaum etwas von Ernstl wussten. Aus farbenfroher Vorzeit, meine ich heute, stammte alles, was zusammenzustammeln gewesen wäre über den jungen Herrn Thalinger, bevor sein eremitisches Dasein fossilisierte in ritualisierten Formen, erstarrte, verknöcherte und verkalkte, gehauen in grauen Stein. Seit Dekaden schon kam er in dieses Dorf, um diesen Fluss zu befischen und im Anschluss wieder zu verschwinden. Sich über Ernstl zu unterhalten wäre wie von den Felsen zu sprechen, die im Winter Schneewehen verschleierten, von den kommenden ohngesichtigen Wolken, wie sie den Himmel verhingen, oder den dahingehenden Lichtstimmungen am Ufer.

      Lange noch bevor die Fleischerei überhaupt aufsperrte: »Bitte«, ein Handrückenschwenken seinerseits Richtung Tür, hindurch putzmunter, und nach dem frühstückhaften Fischen begannen wir, Ernstl mit mir an der Seite und das Fliegenbinden in der Herbergsküche während des Messingschlagens der Kirchturmglocken. Weit drangen sie über das Dorf hinaus, verebbten aber schon auf der Hälfte des Weges zur Herberge flussaufwärts, wurden erst nur überdeckt und weggetönt von den Stromschnellen in grellem Klanggemenge, verhallten aber schon bald aus purer Distanz, nach ein paar Reifenumdrehungen, nachdem die Straße links wegbog vom jetzt unerhörbaren Strom, wo ich immer anhielt zum Pissen, am bewaldeten Straßenrand, Stille und Konzentration für mich und das Rieseln der Tropfen ins Moos, die alle landeten, wo ich wollte, ganz anders als zu Hause, wo ich manchmal daneben oder meine eigene Hose traf. Auch tot schon das Gerede auf dem Schotterparkplatz vor der Dorfkirche, das pünktlich zu Gottesdienstschluss anhob, nicht mal mehr als Schatten ahnbar wie die Schlange vor der Fleischerei, während Ernstl und ich in geographischem Sinne gar nicht allzu weit entfernt die Schnüre über die Wiesen fliegen ließen so lange


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