Die Forelle. Leander Fischer

Die Forelle - Leander Fischer


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und Zunge brachen ganze Brocken gefrorenen Blutes und Speichels, fielen heraus aus dem Maul wie die immer gleichen drei Silben, die Kurti mit grell verstellter Stimme in stetem Rhythmus des glitzernden, schlagenden, krachenden, vor Eiszapfen ziegenbärtigen Unterkiefers vor mich hin zickte: »Kostprobe, Kostprobe, Kostprobe, Kostprobe.« Ich entriss ihm und dem schonungslosen Sonnenlicht den Schädel, bedeckte ihn mit Flanell, versteckte ihn unter meinem Hemd, schlich wortlos mit Kurti zurück unter die Eiche, wo er sich in die Wolldecke abschminkte. Fröstelnd ergriff ich meine Fliegenstange. In der untersten Öse saß eine Rehhaarfliege.

      Den Lederfleck hielt ich in den Lichtkegel der zum Fliegenbindescheinwerfer umfunktionierten Schreibtischlampe. Im Glühen der Sechzigwattbirne flimmerte das haselnussbraune Haar wundersam silbern. Kitzlig rieb ich es zwischen den Fingern, fühlte die Trockenheit, als ich gegen den Strich streichelte, die Widerborstigkeit, das Wasserabweisen, und als ich meinen Finger mit dem Strich bewegte über das Rehhaar, spürte ich die Dichte, die Geschmeidigkeit, eine zweite Haut fast, zu der sich die daumennagellangen Haare fügten wie ein Film Sonnencreme. Andererseits war das Leder rau und karg, fast als ließen sich davon noch all die Blutbahnen, Muskelwülste und Sehnenstränge ablesen, die einst geschlummert hatten unter dieser Haut. Ich nahm einen Schluck vom beschlagenen Achterlglas, noch kalt und bitter der Pinot Grigio und der Blick hinaus durch die Fensterscheibe in die schwarze Nacht. Hohe Wolken hingen sicherlich über den Bergen. Zwar waren sie nicht auszumachen, doch anhand der fehlenden Sterne spekulierte ich auf ihre gespenstische Anwesenheit. Sie bildeten die dunkle Grundierung für das Spiegelbild, den schrägen Schein der Fliegenbindetischlampe, die matten Linien und Rillen auf der Holzplatte vor mir, golden gefüllt das Weinglas und mein eigenes, haselnussbraun glänzendes Gesicht, von dem ein wallender Bart hing. In den drahtigen Locken befanden sich fleischlose Haken vor Beginn ihres Lebens als Fliegen, eingehängt, systemlos fast, unsortiert, direkt neben bereits gebundenen Fliegen, die sich hier, in meiner Wolle, hoffentlich wohler fühlten als in einem Etui. Davor stand der metallene, zwiegespaltene Raketensprengkopf des Bindestocks wie ein gewaltiger, unabwendbarer, aufdringlicher, ja vergewaltigender Phallus. Ich ließ den Lederfleck sinken, richtete mich selbst im Sitzen auf. Ich griff einen Haken, fädelte einen passenden Goldkopf über den Bogen bis an die Öse. Dann drehte ich das Rädchen am Bindestockkopf. Seine Kiefer gingen auseinander. Ich hielt den Hakenbogen dazwischen, drehte das gezahnte Rädchen andersherum, und die Schraubstockhälften schlossen sich, die Klemmen hielten den Haken, er schwebte vor meiner Brust. Rechts des Bindestocks auf der Tischplatte lag mein Bobbin schon bereit. Bei diesem Gerät handelte es sich eigentlich um eine Triangel in der Größe meiner Handfläche. Einer der drei Metallschenkel durchlief eine zylindrische Kunststoffspule wie Wasser ein Rohr. Der unterste Triangelstab war sozusagen mit schwarzem Faden verkleidet. Nahm ich den Bobbin dann zur Hand, hielt ich ihn an den beiden freien Metallschenkeln. Ich fasste sie an wie meinen Violinenbogen. Jedoch, Momentchen, noch war der Faden ja lose, schlängelte sich zur Seite, lag gekräuselt und glänzend auf der Tischplatte im Licht wie eine sich sonnende Kreuzotter. Ich packte sie am Genick, hatte das Fadenende zwischen Daumen und Zeigefinger. Mit der linken Hand aber nahm ich den Bobbin, legte den Daumen an den rechten Triangelstab, die anderen Finger an den linken, das Metall kühl und glatt, zärtlich fast, in der aufgeheizten Stube ein frischer Hauch, ein Schauer, der meinen Arm hinaufkribbelte direkt in meine Brust wie ein Infarkt.

      Ich hob den Bobbin in die Schwerelosigkeit, mein Handrücken schwebte exakt über der Spule wie ein Dach. Mit der anderen Hand hob ich den Faden an, zog. Zirpend setzte sich die Spule in Bewegung, drehte sich zwischen meinen Fingern, zwischen den beiden Metallschenkeln, unsichtbar unter meinem Handballen, auf dem untersten Triangelstab, rechts meines kleinen Fingers, mit der Kuppe spürte ich das Drehen. Ich spulte ausreichend Faden ab, richtete Daumen und Zeigefinger gegen das Licht, dazwischen wie gedacht, ausgefranst die Fadenspitze. Ich streckte meine Zungenspitze zwischen die Schneidezähne, biss mit leichtem Druck, ein sachtes Biberkauen, wartete ein paar Sekunden, bis die Spucke kam in meinen Mund. Ich nahm die Fadenspitze zwischen die Lippen, leckte daran, speichelte sie ein, schmiegte die losen Fasern wieder aneinander. Ich zog das Fadenende aus dem Mund, feucht und spitz, zwischen Daumen und Zeigefinger glänzte es schwarz. Ein größerer Batzen Speichel haftete noch daran, den ließ ich abtropfen auf die Tischplatte mit einem kurzen Abwärtssausen und Stoppen meiner rechten Hand, herrlich diese Fliehkräfte. Dann hob ich die linke Hand samt Bobbin auf Augenhöhe, die Spule fast an meine Nasenspitze, die beiden freien Metallschenkel liefen vorneweg in ein hauchdünnes Metallröhrchen aus. Es bildete gegenüber der Spule die Triangelspitze, die ich jetzt gegen das Licht richtete, sodass die Strahlen das Metallröhrchen durchdrangen. Ich kniff ein Auge zu, linste geradewegs in die Glühbirne, führte indes blindlings meine rechte Hand, Daumen und Zeigefinger, das angefeuchtete Fadenende zur durchleuchteten Mündungsöffnung des Röhrchens. In der linken Hand fühlte ich, wie sich die Metallschenkel erwärmten, in der rechten die Geschmeidigkeit meines eigenen Speichels, ich starrte durch einen Tunnel ins Licht, erzitterte kein bisschen. Das schwarze Fadenende kam in meinen Blick, die Spitze erglänzte, die minimale Öffnung verfinsterte sich, das mochte noch ein Schatten sein, schon schwebten Daumen und Zeigefinger hinterdrein, das Fadenende vorneweg gestreckt, es schwebte weiter, war drin, reingesteckt, eingefädelt. Dann nahm ich triumphierend das Metallröhrchen andererseits zwischen die Lippen, sog daran, dass es den Faden streckte, dass er durchs Röhrchen schnellte, dass es züngelte in meinem Mund. Dann spuckte ich den Faden aus, bevor ich reflexartig keuchte und alles beim Teufel war, wie immer fast erstickt. Es lohnte stets.

      Jetzt liefs, der Faden, von der Spule zur Spitze, axial zwischen den beiden Metallschenkeln. Ich nahm den Bobbin rechter Hand, die Spule unterm Ballen, den Daumen am linken Triangelstab, am rechten vierter, dritter, zweiter, erster Finger, der schon fast am Metallröhrchen lag, aus dem wiederum das Fadenende hing wie eine Zunge. Einem Fühler gleich flog es voran zum Haken hin, der vor meiner Brust schwebte im Bindestock. Ich dirigierte die Fadenspitze direkt hinter den Goldkopf, ein Kuss auf den Hals des grauen Metalls. Ich legte die linke Zeigefingerkuppe an die schwarz glänzende Fadenspitze, leichter Druck nur, gegen den Haken, und dann zog ich die rechte Hand sacht Richtung Hakenbogen zurück. Die Spule drehte sich, der Faden wurde abgewickelt, meine Bobbinhand schwebte den Körper entlang. Ich sah im Metallskelett des Hakens schon das nachgeborene Nymphenfleisch, bewegte im Kreis das Handgelenk, ein Rotorblatt der Bobbin, eine Hommage schon fast an die baldigen Hahnenfiebern, wie sie im Wurfwind hecheln würden, auf ellipsoider Bahn. Wie ein Mond seinen Planeten umtanzte meine Hand den Haken, wie unsere Welt die Sonne umkranzte der Bobbin die kommende Fliege, der Faden umgarnte die Nymphe in spe. Gegen ihre Kehle presste immer noch meine linke Zeigefingerkuppe das Fadenende. Dann war der Haken hinter dem Goldkopf siebenfach umschlungen und ich dachte, dass es reichte, nicht dass es ihr noch den eben fixierten Schädel verdrehte, sie sollte doch reizen, nicht umgekehrt. Sie scherte sich stolz und unwiderstehlich um niemanden, kehrtmachen, sich umdrehen, den Mund wässrig recken musste dann nur die Forelle, oh ja, sie würde, auf dass es ihre Welt kopfstellte.

      Während ich so hin und her überlegte, baumelte der Bobbin vom Haken. Die Spule, sacht beschwingt wie ein eben verlassenes Schaukelbrett, bildete auf Höhe meines Zwerchfells eine horizontale Parallele zwischen der Tischkante, an der ich saß, und dem starren Haken, dem ich in der achten Umrundung eine blaue Flachsfaser aufgebunden hatte. Der Faden lief nun lotrecht vom Hals hinunter, durch das Metallröhrchen, mittig zwischen den beiden Metallschenkeln dahin. Sie erreichten an den seitlichen Zylinderflächen die Spule ebenfalls, in der auch der Faden sein Ende nahm, alles in allem eine schwebende Triangel, gehalten vom wahren Musikuss, der baldigen Fliege. Der Bobbin schwang aus, ruhte nun in Form eines weiten Kleids, die Beine der Braut gespreizt. So wartete das Ding auf die baldige Vermählung, auf den Zug kundiger Hand, die gerade den drallen Körper schlang, den Bobbin erneut aufnahm, den Flachs niederband, die Hahnenfeder am Hals applizierte und den Bobbin während des Hechelwickelns wieder links hängen ließ. Das Eigengewicht des filigranen Geräts war zu gering, den Faden abzuwickeln. Ich justierte den Biss an den Seitenflächen der Spule, wenn ich sie zwischen den Nymphen auswechselte, um noch dünneren Faden zu verwenden. Niemals riss er. Es war ein wahres Wunderwerkzeug. Immer wieder fragte ich mich, oder war verwundert, fast schon erbost darob, wie alle diese Fliegenzampanos, Ernstl eingeschlossen, den Begriff Bobbin verwenden konnten, ihn zur Hand zu nehmen vermochten, ohne ihm einen Moment Obacht zu zollen. Oh Bobbin, oh Bindestock, oh Opferstock zu Hoch- und Bleipodest, zu Füßen dir, zu Zehen schon, vor dir lag das Eisenteil. Auf dass


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