Die Häuser an der Dzamija. Robert Michel
keine Sorge, gerade weil er ein Mann ist. Welcher Mann würde die kleine Aiša nicht wollen? Die ist ja wie eine Granatapfelblüte.“
Nurija konnte sein Staunen nicht verhehlen: „Was? Die kleine Aiša soll es sein? Die Aiša des Hairo?“
„Ja, die Tochter des Hairo Jašarbegović.“
Auf diese Versicherung hin gesellte sich bei Nurija zum Staunen noch Freude: „Da muß ich mich für Muharrem freuen – ihr Frauen habt doch wundertätige Hände.“
„Nur gilt es, ganz behutsam ans Werk gehen. Der Jašarbegović ist hier der reichste Mann weit und breit; und er liebt seine Tochter wie seinen Augapfel. Er wird sie einem Hirten nicht geben wollen.“
„Wenn wir Muharrem an Kindesstatt annehmen, braucht sich auch ein Jašarbegović nicht seiner zu schämen. Und Aiša ist schon einverstanden?“
„Ich weiß noch nicht, wie weit die alte Hatidža mit ihr gekommen ist. Es ist alles sehr schwer. Du weißt, daß Hairo seine Tochter nicht nur vor den Männern, sondern auch vor uns Frauen abschließt. Hatidža verstand es aber doch, sich Zutritt zu verschaffen. Sie sagt, Aiša sei jetzt so lieblich wie der aufgehende Mond.“
Nurija dachte nach: „Ich erinnere mich wirklich nicht mehr, wann ich sie das letztemal zu Gesicht bekam. Es muß schon einige Jahre her sein; damals als sie noch zu Adem in die Schule ging. Da war sie freilich eine Knospe, die eine schöne Blüte bergen konnte.“
In diesem Augenblick vernahmen sie ein Klopfen auf die Hoftüre. Nurija erhob sich und ging öffnen: „Das wird schon Muharrem sein.“
Memnuna rief ihrem Sohne nach: „Sag ihm noch nichts!“ Dann ließ sie das Holzgitter hinunter.
Muharrem trat ein: „Du hast mich gerufen?“
„Ja, Muharrem, du mußt einen Stein nach Mostar bringen; er wird gleich fertig sein.“
Muharrem trug das junge Lamm ins Haus. Dann kam er zurück und fragte: „Gehen wir jetzt zum Mittaggebet?“
„Geh du allein, Muharrem. Ich muß noch den Stein fertig machen.“
Muharrem trat zu dem Steine hin: „Wird er nicht zu schwer sein? Soll ich nicht vom Nachbar den Schimmel ausleihen?“
„Für den ist unser Esel stark genug. Du mußt auch einen Sack Mais in die Mühle mitnehmen; Memnuna hat kein Mehl mehr.“
Muharrem schickte sich an, in die Moschee zu gehen: „Da soll ich jetzt allein zur Andacht gehen?“
„Ja, geh nur.“
Als Muharrem aber schon den Steinriegel überspringen wollte, hielt ihn Nurija wieder zurück: „Oder warte. Lieber geh ich zur Andacht und du arbeitest an dem Grabstein. Allah verzeiht eher der Jugend; deine Arbeit nimmt er wie ein Gebet entgegen.“
„Ich will es gerne machen, Meister; aber die Schrift versteh ich doch nicht zu meißeln.“
„Die Inschrift mache ich dann selbst noch fertig; aber hier an dem oberen Teil, dem Turban, ist auch einiges zu arbeiten – sieh her, das kannst du doch, Muharrem.“
„Ja, immer bleibe ich nur ein Handlager, Du lehrst mich nie das Ganze.“
Nurija ging zu einem Wasseribrik, der an der Tür der Werkstatt stand, hockte sich nieder und schüttete aus dem Ibrik Wasser in die hohle Hand, um sich für die Andacht zu reinigen. Dabei begann er wieder zu Muharrem zu sprechen, der sich schon mit Hammer und Meißel an die Arbeit machte: „Beklage dich nicht, Muharrem. Wir halten dich wie einen Sohn. Und wer kann wissen, was wir noch Gutes mit deiner Zukunft planen. Allah schenkte mir kein Kind …“
Der junge Bursche schaute mit dankbarem Blick zu Nurija hin und fiel ihm bewegt ins Wort: „Du warst zu mir immer wie ein Vater;“ dann tat er einige kräftige Hammerschläge.
Nurija trocknete nun die Hände und das Gesicht mit einem Tuch und trat dabei ganz nahe zu dem Arbeitenden hin: „Und auch ein rechter Meister will ich dir sein; du wirst dir schon noch das ganze Handwerk zu eigen machen – bist ja noch jung.“
„Aber das Türkische zu lesen und zu schreiben werde ich nicht mehr erlernen, und nie werde ich eine Inschrift meißeln können.“
„Ich selbst kann doch in keiner Sprache lesen oder schreiben. Ich weiß aber manche Sure des Korans auswendig und hab mir das Bild mancher Wörter gemerkt. Und mit dem Meißel in der Hand find ich nun doch jedesmal die Formen, die ich brauche. Wenn man Vertrauen in Allah hat, geht alles.“
Als Nurija von seinem Vertrauen in Gott sprach, wurde Muharrem plötzlich traurig. Indessen klopfte jemand an der Hoftüre und Nurija wollte noch öffnen, bevor er zur Andacht ging.
Es war der alte Mitar Boro, ein Kmet des Jašarbegović. Er kam den Muharrem bitten, er solle bei seinem nächsten Gang nach Mostar eine Botschaft übernehmen. Als Boro hörte, daß Muharrem noch am gleichen Tag nach Mostar gehen werde, zog er aus seinem breiten Waffengürtel einen zusammengelegten Brief hervor und bat Muharrem, er möge dieses Schreiben seiner kranken Frau ins Spital nach Mostar bringen. Der Brief war von seinem Sohne Božko, der vor fünf Jahren nach Amerika ausgewandert war. Er kündigte für die allernächste Zeit seine Rückkehr an; auch Muzir, der älteste Sohn des Nachbars Škeho, der damals mitgezogen war, sollte mit Božko zurückkehren. Boro schärfte dem Muharrem noch einmal ein: „Du mußt im Spital mit ihrem Namen fragen – Milja Boro – und gib den Brief nur ihr in die Hand; und sie möge dir sagen, ob sie heraufkommen kann, den Božko zu sehen, oder ob der Božko einmal zu ihr kommen soll.“
Muharrem versprach, alles nach seinem Wunsche zu machen. Da dankte Boro ehrerbietig dem Nurija und ging wieder von dannen. Nurija aber stieg über den Steinriegel in den Vorhof der Moschee, streifte vor dem Eingang ins Gotteshaus die Opanken ab und trat ein.
Allmählich füllte sich der ganze Vorhof der Džamija. Auch aus dem unteren Dorfe waren viele Gläubige gekommen. Jeder trat zuerst an die Rinne, in der das Bachwasser über den Hof floß und wusch sich das Antlitz, die Hände und die Füße, um rein vor Allah hinzutreten. Im Innern der Moschee kniete sich einer neben den anderen auf den Teppich, und Reihe um Reihe füllte sich vor dem Hodža Adem Jazvin, der im Mirahb saß und in stillem Gebet wartete.
Als einer der Letzten kam immer Hairo Jašarbegović zur Andacht, obzwar sein Haus nahe der Džamija lag. Sobald sich dieser in andächtiger Haltung der letzten Reihe angegliedert hatte, pflegte der Hodža das gemeinsame Gebet anzustimmen; aber nicht deshalb, weil Jašarbegović der wohlhabendste Moslem des ganzen Dorfes war, sondern weil Adem eben wußte, daß nach seiner Ankunft kaum noch jemand zu erwarten war. Jašarbegović kam aber nicht deshalb so spät, um damit seine Vornehmheit zu betonen; er war so umständlich in den Vorbereitungen für die Andacht, daß sich die Verspätung wie selbstverständlich ergab.
Wenn Jašarbegović in seinem Hause den Ruf des Muezzins vernahm, begab er sich zuerst über den Hof, der mit hohen Steinmauern eingefaßt war, in den gegenüberliegenden Bau seiner Behausung, wo seine Tochter Aiša wohnte. In diesem Hause war es seit altersher so Sitte, daß der Mann gesondert seinen Selamluk bewohnte, wogegen der Frau und den Kindern der Harem zugewiesen war. So blieb es auch bei Hairo Jašarbegović; nachdem ihm seine junge Frau Havva gestorben war, ließ er seine Tochter mit einer alten christlichen Dienerin im Harem wohnen, und er selbst hauste einsam gegenüber im Selamluk.
Aiša wurde im Heranwachsen zur höchsten Freude ihres Vaters der verstorbenen Havva immer ähnlicher. Als sie ganz erblüht war, schien es ihm nicht anders, als daß ihm das Leben zum Entgelt für den frühen Verlust seiner geliebten Havva in Aiša ein vollkommenes Ebenbild geschaffen hatte. Hairo hütete seine Tochter eifersüchtiger, als jemals ein Moslem seine Gattin gehütet hatte. Er wußte es sogar zu verhindern, daß sie mit Frauen und Mädchen verkehrte. Ihre Dienerin war die einzige Person, mit der zu sprechen er ihr erlaubte.
Von klein auf war nun Aiša daran gewöhnt, dem Vater bei den Waschungen vor der Andacht behilflich zu sein. Auch jetzt besorgte Hairo den Abdest nie in seinem Selamluk und auch nie an der öffentlichen Bachrinne im Hofe der Džamija; immer wieder nahm er hiezu Aišas Dienst in Anspruch.