Die Häuser an der Dzamija. Robert Michel

Die Häuser an der Dzamija - Robert Michel


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steile Treppe entgegen; dann küßte sie ihm die Hand und führte ihn in den Baderaum neben ihrem Schlafgemach. Schon vorher hatte sie alles für den Abdest vorbereitet. Nun nahm sie dem Vater zuerst die Ringe von den Händen und legte sie auf ein gesticktes Kissen. Dann trat Hairo zur Waschschüssel und Aiša schüttete ihm aus dem feingeschwungenen Hals eines Ibriks wohlriechendes Wasser in die hohlen Hände. Nachdem er so die Hände und das Gesicht gewaschen hatte, hielt sie ihm ein reichgesticktes Handtuch hin zum Abtrocknen. Hierauf ließ sich Hairo auf den hohen Sitzpolster nieder, der schon für ihn gerichtet war, und Aiša kniete zu ihm hin, entkleidete ihm die Füße und wusch sie ihm in einem großen Waschbecken. Nachdem sie ihm die Füße abgetrocknet und ihm frische Strümpfe und leichte Saffianschuhe angelegt hatte, steckte sie ihm die Ringe wieder an die Finger und salbte ihm den langen dunklen Bart und den Kopf mit einem duftenden Öl. Während dieser Verrichtungen ergötzte Hairo sein Auge an der Schönheit Aišas und hielt oft wie traumverloren inne, bis ihn Aiša zärtlich zur Eile mahnte. Der Vater dankte ihr schließlich mit einem Kuß auf die Stirne, und dann ging er.

      Nach der Mittagsandacht wurde es bald still um die Džamija. Nurija löste den Muharrem bei der Arbeit an dem Grabstein ab, und Muharrem bereitete den hölzernen Tragsattel für den Esel vor. Nach einer Weile rief die alte Memnuna, Nurija möge zum Mittagessen kommen. Sie fragte auch den Muharrem, ob er essen wolle; Muharrem aber hatte schon bei den Schafen seinen Vorrat an Käse und Brot, den er sich für den Tag auf die Weide mitgenommen hatte, aufgezehrt und hatte nun keinen Hunger mehr. Er blieb allein vor dem Hause.

      Bald darauf kam Adem Jazvin in den Vorhof der Moschee. Er trug in der Hand eine Schnitte Maisbrot, die er mit dickem grünen Olivenöl bestrichen hatte; das war sein Mittagsmahl. Er rief Muharrem zu sich, und dann gingen sie zu den hohen schlanken Pappeln, die dicht an der Džamija standen, und legten sich in das warme Gras.

      Der verwaiste Muharrem, den Nurija vor Jahren auf seinem Rückweg von Mekka in Trebinje mitgenommen hatte, um ihn für seine Dienste zu erziehen, hatte in Nurija einen väterlichen Dienstherrn und in Adem Jazvin einen Freund gefunden. Muharrem konnte nicht gleich den Kindern des Dorfes in die Schule zum Hodža kommen, weil er mit den Schafen auf die Weide gehen mußte; aber an den Abenden nahm Adem den Knaben zu sich und lehrte ihn alles, was er tagsüber die Schulkinder gelehrt hatte.

      Auch als Muharrem schon erwachsen war, entzog ihm Adem nicht seine Fürsorge. Einmal war von dem Hodžahaus der Kamin herabgefallen, und Adem bat den jungen Muharrem, er möge den Schaden wieder gut machen. Muharrem baute aus Steinen und Lehmerde einen neuen Rauchfang mit einem zierlichen Dach, der dem Hodža außerordentlich gefiel. Auf das Zureden Adems hin errichtete Muharrem auch auf anderen Häusern des Dorfes neue Kamine; nie aber baute er sie einander gleich, sondern bei jedem Bau ließ er seine Einbildungskraft frei walten, so daß unter seinen Händen aus Stein und Lehm Gebilde entstanden, die man früher auf Dächern nie gesehen hatte. Aber nach dem einmütigen Urteil aller Dorfbewohner paßte jeder einzelne Kamin vortrefflich gerade zu dem Dach, für das er gebaut war, und die Bewohner der Häuser, auf denen Muharrems Rauchfänge standen, waren voll Lobes über ihre gute Wirkung.

      Nurija, den die Geschicklichkeit Muharrems bei diesen Arbeiten überraschte, zog ihn nun auch häufig zur Nachhilfe in seinen Steinmetzarbeiten heran. So hatte Muharrem die beste Aussicht, in zwei verschiedenen Handwerken tüchtig zu werden. Es entstand damals ein förmlicher Wettstreit zwischen Adem Jazvin und Nurija Sekirija. Je mehr Nurija den Jungen für die Steinmetzerei gewinnen wollte, desto mehr förderte der Hodža seine Tätigkeit als Erbauer von Rauchfängen. Durch günstige Verbindungen wußte ihm Adem zahlreiche Aufträge in den umliegenden Ortschaften zu verschaffen; ja selbst in Mostar tauchten da und dort die absonderlichen Gebilde Muharrems auf den Steindächern auf und wurden sogar vielfach nachgeahmt. Freilich waren diese Nachbildungen dem Auge nicht so gefällig wie Muharrems Kamine, und vor allem waren sie nicht so haltbar. Denn Muharrem hatte auf einem Hügel bei Mostar im Tal der Radobolje, wo der alte christliche Friedhof liegt, eine pulverige dunkelgraue Erde gefunden, die er dem Lehm beimischte, wodurch der Bau außerordentlich fest und widerstandsfähig wurde. Muharrem kam auf diese Weise zu Ruf und auch zu Geld. Trotzdem wäre es ihm nicht eingefallen, den Dienst bei Nurija aufzugeben; er hütete nach wie vor die Schafe und fand daneben hinlänglich Zeit für seine Arbeiten.

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       Junger Mohammedaner in traditioneller Tracht

      Auch heute hatte Adem wieder einen Auftrag für Muharrem. Er hatte letzthin einer Bäuerin unten im Tale versprochen, daß ihr Muharrem ohne Bezahlung einen Rauchfang auf das Haus setzen werde.

      Wenn man vom Dorf den steilen Bergweg längs des Baches hinabstieg, bis dorthin, wo der Bach in die Narenta und der Steig in die Straße nach Mostar einmündete, stand da eine armselige Hütte, in der eine alte christliche Bäuerin, die Jelena, mit ihrer Tochter Katica wohnte. Neben dieser Hütte über der Einmündung des Baches schwebte eine zierliche Wassermühle, die der Jelena einige Groschen eintrug, denn sie überließ sie fallweise fremder Benützung gegen geringes Entgelt. Übrigens hatte Jelena auch eine kleine Schafherde, die sie von ihrer Tochter Katica hüten ließ. Im Hause der Jelena traf Adem Jazvin allmonatlich einmal mit einem befreundeten Hodža aus Mostar zusammen; bei dem schwarzen Kaffee, den ihnen die Jelena vorsetzte, tauschten die zwei greisen Geistlichen alte Erinnerungen aus und allerlei Gedanken. Aus Erkenntlichkeit für die Gastfreundschaft wollte ihr nun Adem über das verrußte Dachloch einen ordentlichen Rauchfang bauen lassen.

      „Geld wird bei der alten Jelena natürlich keines zu holen sein,“ schloß Adem die Mitteilung des neuen Auftrages.

      Muharrem machte eine abwehrende Bewegung; dann fügte er hinzu: „Lehmerde finde ich dort im Narentaufer und Steine gibt’s genug; da wird die Arbeit nicht beschwerlich fallen.“

      In diesem Augenblicke kam ein halbwüchsiger Bursche und brachte auf einer Tasse eine große Kanne schwarzen Kaffees und eine kleine Schale, in der einige Stückchen Zucker waren. Es war der junge Hassan, ein Sohn des Nachbars Škeho, aus dessen Hause der Hodža täglich den schwarzen Kaffee zu seiner Mittagmahlzeit geschickt erhielt. Hassan legte die Hand an die Brust, verneigte sich ehrerbietig vor dem alten Hodža und stellte die Tasse vor ihm in das Gras. Adem dankte ihm und gab ihm Grüße für seinen Vater mit. Als sie wieder allein waren, brachte Muharrem auf Adems Geheiß eine zweite Schale aus dem Haus, und nun tranken sie gemeinsam den Kaffee.

      Adem fragte den Muharrem: „Du weißt es wohl schon, daß Hassans Bruder, der lange Muzir, aus Amerika zurückkommen wird?“

      „Ja, ich weiß es. Auch Božko Boro kommt mit ihm zurück. Mir hat der Vater Boro einen Brief von ihm mitgegeben, daß ich ihn der alten Milja ins Spital in Mostar überbringe.“

      Adem Jazvin hatte heute im Sinn, Muharrem mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß er das Amt des Muezzins übernehmen könnte. Und dorthin, wenn auch auf Umwegen, wollte er das Gespräch lenken: „Siehst du, Muharrem, die zwei sind in Amerika nicht glücklich geworden. Die Sehnsucht treibt sie wieder heim. Keiner von denen, die die heimatlichen Berge jemals verlassen haben, um irgendwo draußen das Glück zu finden, ist wirklich glücklich geworden. Vielleicht gibt es dort draußen in der Welt, wo die übergeschäftigen Menschen leben, gar keine Möglichkeit zu einem wahrhaften Glück. Sie wollen alles erjagen, auch das Glück, und das geht nicht. Sogar das Wissen erjagen sie. Man soll ja jeglicher Wissenschaft nachstreben; selbst Mohammed gebietet: Suche die Wissenschaft und sollte es auch in China sein. Aber ich glaube, diese Menschen in den großen Städten wissen alles nur mit dem Kopf; mit dem Herzen indessen wissen sie nichts. Und man muß vor allem mit dem Herzen wissen, sonst weiß man überhaupt nichts. Gerade in Hinblick auf deine Zukunft hab ich in den letzten Jahren oft und oft darüber nachgedacht, ob ich dir mit voller Überzeugung raten könnte, hier in unserem Dorf zu bleiben oder hinauszugehen in die Welt. Seither bin ich dem Grabe um vieles näher gekommen, und vieles ist mir jetzt klar, was ich früher auf keine Weise ergrübeln konnte. Siehst du, heute würde ich dir auch in jedem beliebigen armen Bergdorf unseres Landes raten, daß du für immer daheim bleiben sollst; auch in einem Dorf ohne Bäume und Bach, wo die Leute jeden Trunk mühsam aus einer Zisterne schöpfen müssen, oder gar im Sommer das Wasser von weit her in Tierfellen tragen müssen. Wie anders ist man aber


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