Seewölfe Paket 33. Fred McMason
auch Hasard hatte gewonnen: Zeit, die für ihn so wichtig war. Zwei oder drei Tage, mehr wollte er gar nicht.
3.
Die Wolkendecke riß nur vorübergehend auf. Das Gaukelspiel der Sonnenstrahlen, die verheißungsvoll über die gischtende Wasserfläche huschten, trog.
Bald färbte sich der Himmel im Westen rot, und während das düstere Farbenspiel auf die gesamte westliche Kimm übergriff, kehrte ein frischer Wind zurück. Der Wind trieb die Regenwolken auseinander. Vereinzelt fielen noch kleine, örtlich abgegrenzte Schauer, die ein Schiff mit dampfender Nässe überzogen, das nächste aber schon verschonten.
Die Schäden des Blitzschlags auf der „Santos los Reyes Mayos“ konnten mit Bordmitteln behoben werden. Bis zum Sonnenuntergang waren der nur leicht angeschwärzte Großmast und eine neue Stenge sicher miteinander verbunden. Auch das Eselshaupt, eine schwere hölzerne Spange, die eben dieser Verbindung diente, war erneuert worden.
Der Konvoi segelte in eine Nacht von schier erdrückender Finsternis – eine Nacht, wie es sie selten gab, ohne die vertrauten Lichtpunkte der Sterne oder gar das helle Band der Milchstraße, das sich über den Himmel spannte. Selbst der Mond blieb hinter den Wolken verborgen, und kein noch so blasser Schein ließ seinen Standort erahnen.
Die einzigen Lichter waren die Schiffslaternen, die in stetem Auf und Ab über den Wogen tanzten, wie ein kleiner Schwarm von Leuchtkäfern sich mal hierhin und dann wieder in die andere Richtung wendend.
Es schien eine ereignislose, ruhige Nacht zu werden. Das lag wahrscheinlich auch daran, daß die Mannschaften der Schatzgaleonen Furcht empfanden – vor englischen und irischen Piraten, vielleicht sogar vor el Lobo del mar, von dem niemand wußte, wo er und seine Korsaren gerade segelten und versuchten, rechtschaffenen Seeleuten nächtens die Kehlen durchzuschneiden. Eine Beute wie die neun Schiffe des Konvois mußte für den Seewolf wahrhaft ein gefundenes Fressen sein.
Keiner der Spanier zerbrach sich den Kopf darüber, auf wieviel Wahrheit diese Vorstellungen tatsächlich beruhten. Wo immer Geschichten über den Seewolf und seine wilde Horde erzählt wurden, gab es mehr Dichtung als Fakten.
Dabei waren Philip Hasard Killigrew und seine verschworene Gemeinschaft der Korsaren keineswegs blutrünstig. Daß sie spanische Schiffe plünderten, hatte Gründe, die vorwiegend im Verhalten der Dons selbst lagen. Wo Hasard dem spanischen Weltreich Nadelstiche zufügen konnte, tat er es.
Seine Männer und er hatten schon viele Sklaven aus schlichtweg unmenschlichen Verhältnissen befreit und ihnen zu einer neuen Heimat verholfen, sie hatten Geknechteten das Joch abgenommen und ihnen beigestanden, wo immer es möglich war. Sie waren rauhe Kerle mit einem guten Kern, denen das Schicksal selbst schon manche Fußangel gestellt hatte.
Hasard ging die Abendwache, zusammen mit Don Juan und Big Old Shane. Er ahnte, daß die Dons sich mehr und mehr mit aberwitzigen Gedanken befaßten, je näher die grüne Insel rückte, aber solange sie keine Taten folgen ließen, berührte ihn das herzlich wenig.
Mehrmals mußten die Segel neu getrimmt werden, weil der Wind innerhalb eines begrenzten Radius drehte. Das Flappen der Segel, das Knarren der Racks und Rahruten waren beinahe die einzigen Geräusche dieser Nacht. Selbst die See gluckste und schmatzte nur hin und wieder unter dem Bug, der leicht und lautlos durchs Wasser schnitt.
„Nicht einmal mehr zwei Tage“, sagte Don Juan unvermittelt. „Dann fällt die endgültige Entscheidung.“
„Ich wollte, es wäre einfacher“, erwiderte Hasard zögernd.
„Du fürchtest einen Kampf mit den Galeonen?“ Wie der Spanier die Frage stellte, klang sie beinahe spöttisch.
Hasard winkte ab.
„Es wird Tote geben. Vor allem auf seiten deiner Landsleute. Männer, auf die zu Hause Frauen und Kinder warten, werden sterben müssen, weil ihre Kapitäne den Widerstand befehlen. Das bedrückt mich.“
„Ich verstehe.“ Don Juan nickte. „Aber wer hat danach gefragt, wieviel Blut und Leiden der Indianer an den Schätzen kleben? Für eben diese Schiffsladungen wurde von meinen Landsleuten gebrandschatzt, gefoltert und gemordet, von all den anderen Verbrechen ganz zu schweigen, die Spanier im Namen der Zivilisation, des Fortschritts und der Christenheit begingen und noch immer begehen.“
Mehr war dazu nicht zu sagen. Sie schwiegen wieder und gingen ihre Wache auf Kuhl und Achterdeck, wobei sie oft an der Verschanzung verharrten und ihre Blicke über den Konvoi schweifen ließen.
Die Lichter der Laternen wirkten wie Perlen, die hintereinander auf einer Schnur aufgereiht waren. Hin und wieder wurde auch die Silhouette eines Achterschiffes erkennbar, oder der Schlagschatten eines Wachgängers huschte über die Segel.
Das Bild strahlte Ruhe und Frieden aus.
Alvaro Chinchilla war ein Hüne, breitschultrig und muskulös. Daß die besten Jahre bereits hinter ihm lagen, tat seiner äußeren Erscheinung bestimmt keinen Abbruch. Sein pechschwarzes, von Natur aus lockiges Haar, hatte er kurz geschnitten, auf die Länge einer Fingerkuppe, ebenso wie den dünnen Bartstreifen, der sich von den Ohren aus in gleichbleibender Dicke über die Kinnspitze hinzog. Der Bart betonte das kantige, volle Gesicht und ließ es länger erscheinen.
Seit er zurückdenken konnte, segelte Chinchilla über die Meere. Er mußte zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen sein, als sein Vater, ein Kaufmann, ihn an Bord seines Handelsschiffs genommen hatte. Die Neue Welt war damals ein überwältigender Eindruck gewesen, und er hatte sich geschworen, zurückzukehren. Ein Schwur, den er in den über vierzig Jahren, die seitdem vergangen waren, nie vergessen hatte.
Längst hatte er ein eigenes Kommando auf der Dreimast-Galeone „Nuestra Señora de lagrimas“. Seit fünf Jahren, jeweils vor den schweren Winterstürmen, segelte er mit einer Schiffsladung voll Gold und Silber in die Heimat.
Die Hände im Nacken verschränkt, lag er ausgestreckt in seiner Koje und starrte zu den Deckenbalken und Planken hinauf, ohne sie bewußt wahrzunehmen.
Diese Überfahrt war anders als alle vorangegangenen. Zumindest seit der Konvoi Santa Cruz de Tenerife erreicht hatte und dem Befehl des Don Julio de Vilches unterstand.
Es war verrückt, Irland anzulaufen.
Verrückt und möglicherweise tödlich.
Nur die Tatsache, daß de Vilches erwartet worden war, hatte Chinchilla bislang davon abgehalten, den Geleitzug zu verlassen und auf eigene Faust nach Spanien zu segeln, wie dies der Kapitän der „Nobleza“ getan hatte. Doch je länger die Fahrt dauerte und je mehr Unzulänglichkeiten auftraten – wie die mangelhafte Versorgung mit Nahrungsmitteln, – desto mehr verfiel er ins Grübeln.
De Vilches war mit einem schwer armierten Kriegsschiff erwartet worden. Aber anstelle der „Casco de la Cruz“ waren diese drei sonderbaren Schiffe erschienen, die seit Teneriffa für den Geleitschutz sorgten.
„Ich will verdammt sein, wenn das alles mit rechten Dingen zugeht“, murmelte Alvaro Chinchilla im Selbstgespräch. „Was wissen wir schon von diesem de Vilches? Daß er ein Sonderbeauftragter des Königs ist. Na schön. Doch das schützt ihn nicht vor Eigennutz.“
Er starrte immer noch die Planken an. Der flackernde Widerschein einer kleinen Lampe und die Maserung des Holzes ließen ihn Gesichter sehen, wo keine waren. Sie grinsten, zogen hämische Fratzen, schienen ihn zu verspotten.
Ärgerlich wälzte er sich auf die Seite und zog sich die Decke bis über die Ohren. Aber selbst jetzt fand er keinen Schlaf. Das war so, seit sie Spanien hinter sich gelassen hatten, seit sich seine Hoffnung auf einen überraschenden Kurswechsel nach La Coruña oder Santander zerschlagen hatte.
De Vilches segelte tatsächlich nach Irland und hatte das nicht nur als Schutzbehauptung vorgegeben, um sich vor möglichem Verrat zu sichern. Immerhin wurden solche Schätze wie diesmal sehr selten in einem einzigen Geleitzug transportiert.
Warum Irland?
Die