Gleichheit oder Freiheit?. Von Kuehnelt-Leddihn Erik
gewährt.
Ernst Jünger, Blätter und Steine.
Diese Studien sollen Essays im engsten Sinne des Wortes sein, Versuche also, gewisse Phasen und Aspekte des ewigen Gegensatzes zwischen der Freiheit und Gleichheit, den Grundforderungen des Liberalismus und der Demokratie im klassischen Sinn, von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Es versteht sich von selbst, daß diese Studien ein so weitgestecktes Thema nicht erschöpfen können, jedoch haben wir die einzelnen Objekte unserer Untersuchung nicht zufällig, sondern aus ganz bestimmten Gründen ausgewählt.
Bevor wir uns aber noch über die so wichtige Terminologie auseinandersetzen, wollen wir über unseren weltanschaulichen Standpunkt einige Vorbemerkungen machen. Es ist klar, daß ein Autor, der politische und soziologische Erscheinungen kritisch betrachtet, von einer zumindest lose zusammenhängenden philosophischen Schau geleitet wird. Da der Verfasser dieser Schrift ein katholischer Christ ist, steht seine Philosophie in einem engen Verhältnis zur Theologie seiner Kirche, ein Verhältnis, das am besten als Koordination bezeichnet werden kann. Obwohl er vorwiegend thomistisch eingestellt ist, steht er auch stark unter dem Einfluß eines theistischen Existentialismus.
Wir hoffen, daß der nicht-katholische Leser durch dieses Geständnis nicht entmutigt oder abgeschreckt wird. Wir möchten ihn daran erinnern, daß der Thomismus nicht ein fremdartiger, esoterischer oder gar hermetischer Glaube voll geheimnisvoller Andeutungen ist, sondern, im Gegenteil, eine Philosophie, die in ihrem Streben nach objektiver Realität durch die größte Achtung für die menschliche Vernunft charakterisiert ist. Der Thomismus ist eine Philosophie des common sense, die mit solipsistischen Spielereien, einem nihilistischen Relativismus, der Leugnung der Realität aller sensorischer Wahrnehmungen und mit der krankhaften Verwerfung der Gesetze der Logik keine Geduld hat. Der thomistische Realismus wird immer darauf bestehen, daß zweimal zwei vier sind und daß zwei entgegengesetzte Behauptungen nicht zugleich richtig sein können. Insofern der Thomismus der Philosophie dieser Seiten unterliegt, birgt er nichts Magisches und Mystisches in seinen Behauptungen, sondern lediglich gesunden Menschenverstand. Gleichzeitig aber beschäftigen wir uns eingehend mit den psychologischen Reaktionen des Menschen, mit Mythen und Aberglauben. Jedoch werden wir selbstverständlich das Psychologische dem Philosophischen und bloße Gefühle der objektiven Wirklichkeit unterordnen, ohne aber das Bestehen der erstgenannten zu vergessen.
Wenn wir nun über Gleichheit und Freiheit sprechen, muß es uns vorerst klar sein, daß es sich hier für unsere Zwecke um relative und nicht um absolute Begriffe handelt, um Richtungen und Neigungen eher denn um reine Abstraktionen. In unseren Studien verstehen wir unter »Freiheit« das größte Maß an Freiheit, das in einer gegebenen Situation erreichbar, billig und möglich ist, wobei freilich diese Begriffe noch einer weiteren Erklärung bedürfen. Als ein Mittel zur Wahrung menschlichen Glücks sowie menschlicher Persönlichkeit ist die Freiheit ein mittelbares Ziel und bildet so einen Teil des bonum commune, des Allgemeinwohls. Unter diesen Umständen ist es einleuchtend, daß die Freiheit nicht brutal den Forderungen einer absoluten Leistungsfähigkeit oder den schrankenlosen Bestrebungen für materielles Wohlbefinden geopfert werden kann. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. In dieser wie in manch anderer grundlegenden Hinsicht werden die meisten unserer Leser wohl mit uns übereinstimmen, denn wenn sie auch nicht der katholischen Kirche angehören, so sind sie entweder Christen oder doch zumindest in geistig-kultureller Hinsicht Produkte der jüdisch-griechisch-christlichen Tradition, deren Allgegenwart niemand im Abendland völlig entraten kann. Wiewohl dies manche mit wechselndem Erfolg versuchen.
Wenn wir von der Gleichheit (aequalitas) sprechen, meinen wir nicht Billigkeit oder Unparteilichkeit (aequitas), die der Gerechtigkeit zugeordnet sind. Auch die sogenannte »christliche Gleichheit« ist nicht »mechanisch«, sondern lediglich Unterwerfung unter dasselbe Gesetz – also Isonomie. Wir wollen hier auch nicht auf die psychologischen Ursachen für die egalitären und »identitären« Neigungen unserer Zeit eingehen, da wir dies an anderem Orte ausführlich getan haben1; was aber das Verhältnis zwischen der Freiheit und der Gleichheit betrifft, so genügt vielleicht hier die Feststellung, daß ein Erzwingen menschlicher Gleichheit mit der Forderung nach Freiheit unvereinbar ist. Vom ethischen Standpunkt aus gesehen sind ja Neid, Eifersucht und Angst die treibenden Kräfte hinter den gleichmacherischen und »identitären« Bestrebungen unserer Zeit2; die »Natur« aber ohne menschliche Eingriffe ist alles eher denn egalitär. Wenn wir eine echte Ebene schaffen wollen, müssen wir die Bergspitzen wegsprengen, um damit die Täler auszufüllen; die mechanische Gleichheit setzt daher ein System von äußeren Gewalteingriffen voraus, die natürlich grundsätzlich der Freiheit widersprechen. Freiheit und Gleichheit stehen also wesenhaft zueinander im Widerspruch, eine Tatsache, die sich aber erst teleologisch in ihrer ganzen Schwere auswirkt.
Von allen politischen Ausdrücken, die tagtäglich mißbraucht werden, haben die Worte »Liberalismus« und »Demokratie« am allermeisten zu leiden. Der echte Liberalismus strebt das größtmögliche Ausmaß an Freiheit für alle Menschen an3 – und dies ganz unabhängig von der Struktur der Regierungsform, unter der sie leben mögen. Es muß aber zugestanden werden, daß die Affinität zwischen der Freiheit einerseits und den verschiedenen Regierungsformen anderseits sehr ungleichmäßig ist; auch darf man nicht vergessen, daß gewisse politische Einrichtungen mit betont liberaler Zielsetzung durch dialektische Prozesse die Gefahr weitgehender Versklavung bergen. Der wahre Liberale ist aus diesen wie aus anderen Gründen nicht an eine bestimmte Regierungsform gebunden; seine Wahl bleibt lediglich dem Wunsch untergeordnet, sich und seine Mitbürger im Genuß größtmöglicher Freiheit zu wissen. Wenn er glaubt, daß ein Monarch größere Freiheit gewähren kann als eine Republik, wird er für den ersten einstehen; ja, unter gewissen Umständen könnte er sogar die tatsächlichen Einschränkungen einer Militärdiktatur den potentiellen Evolutionen einer wirklichen Demokratie vorziehen4.
Wie jeder Kenner der Alten Welt es erwarten kann, ist die Bezeichnung »liberal« im politischen Sinn spanischen Ursprungs. Auf der Iberischen Halbinsel wird sie zum ersten Male im Jahre 1814 gebraucht und wurde bald von den Franzosen übernommen. Southey schrieb im Jahre 1816 (in der »Quarterly Review«) über die British Liberales (also in der spanischen Form!), und zehn Jahre später benützte Scott den französischen Ausdruck Libéraux. Von ihm aber wurde diese Bezeichnung für den radikalen Flügel der Whigs gebraucht, was natürlich nicht unserem Sinn dieses Wortes entspricht. In den Vereinigten Staaten hat der Mißbrauch dieses Terminus technicus einen Höchstgrad erreicht; in der Neuen Welt nennen sich »Liberale« all jene, die Neuerungen nicht abhold sind und besonders oft linkstotalitäre Bestrebungen gutheißen. Ein echter amerikanischer Liberaler wie Oswald Garrison Villard nannte sich daher »an old-fashioned liberal«. Auf dem europäischen Kontinent waren die Dinge oft nicht viel anders; hier verfolgten die »Liberalen« nur zu oft ihre Gesinnungsgegner mit unerbittlicher Feindseligkeit. Diese Parteiliberalen nennt Professor Carlton J. H. Hayes sectarian liberals, die »Anhänger der liberalen Sekte«5.
Die psychologischen und philosophischen Triebfedern und Grundlagen der liberalen Einstellung sind bei weitem nicht einheitlich. In einem christlichen Liberalismus werden stets Wohlwollen und Großmut, Generosität und Ehrfurcht vor der Persönlichkeit des Nächsten die Antriebskräfte sein. Es gibt aber auch einen »Liberalismus«, wie wir es in den letzten hundert Jahren erfahren mußten, der auf einem erkenntnistheoretischen Nihilismus fußt, ein »Liberalismus«, der rundweg erklärt, daß die objektive Wahrheit entweder nur ein Vorurteil, ein Stück geistiger Überheblichkeit, eine Sinnestäuschung ist, oder aber, daß sie menschlich ganz einfach nicht erfaßt werden kann und außerhalb unseres Erkenntnisvermögens steht. So wird dann entweder die Wahrheit selbst oder der Weg zur Wahrheit geleugnet. Es ist klar, daß eine derartige Philosophie der Verzweiflung nicht notwendigerweise zu einer liberalen Einstellung führt; gerade das Gegenteil kann eintreten, und daher hängen die Schlußfolgerungen, die von diesen nihilistischen Prämissen gezogen werden, vom persönlichen Geschmack und vom Temperament ab. »Liberalität« bedeutet ursprünglich Freigebigkeit, und es versteht sich von selbst, daß von einem Geben nur dann die Rede sein kann, wenn die Schenkung von einem Besitz kommt. Generosität ohne Überzeugung gibt es nicht. Toleranz, die dem Liberalismus wesensverwandt ist, darf mit Gleichgültigkeit nicht verwechselt werden. Sie ist ein