Gleichheit oder Freiheit?. Von Kuehnelt-Leddihn Erik

Gleichheit oder Freiheit? - Von Kuehnelt-Leddihn Erik


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Herman Melville (1819–1891), J.J. Bachofen (1815–1887) und zu einem gewissen Grade auch Herbert Spencer (1820–1903) und Friedrich Nietzsche (1844–1900), erwarteten das Kommen von Hilaire Bellocs Servile State. Andere wieder dachten weniger an eine friedliche und allmähliche Entwicklung der Demokratie zur Staatsallmacht und waren von den dunklen Möglichkeiten in der Dialektik der Demokratie fasziniert, erschüttert und alphaft bedrückt. Ihre Gedankengänge waren denen Platos und, zu einem gewissen Grad, den politischen Spekulationen des Stagiriten nicht unähnlich. Zu diesen zählen wir Walter Bagehot (1826–1877), Jacob Burckhardt (1818–1897), Konstantin Leontjew (1831–1891), F.M. Dostojewskij (1821–1881), Ernest Renan (1823–1893), Franz Grillparzer (1791–1872), Søren Kierkegaard (1813–1855), B. G. Niebuhr (1776–1831), J. Donoso Cortés (1809–1853) und Benjamin Constant de Rebecque (1767–1830). Diese Gruppe müßte noch durch eine Reihe von anderen Denkern und Beobachtern ergänzt werden, die zur Demokratie teils freundlich, teils feindlich oder auch neutral eingestellt waren, aber allesamt von der Furcht vor einer demokratischen Entwicklung zu einem gleichmacherischen Despotentum beherrscht wurden, einer Furcht, die leider nicht unbegründet war. Unter ihnen ragen hervor Edmund Burke (1729–1797), Alexander Herzen (1812–1870), Graf Montalembert (1810–1870), Guillaume Guizot (1787–1874), Edmond Schérer (1815–1889), P. P. Royer-Collard (1763–1845), Hippolyte Taine (1828–1893), Lord Acton (1834–1902), J. S. Mill (1806 bis 1873), Sir Henry Maine (1822–1888), Orestes Brownson (1803 bis 1876), William Lecky (1838–1903), Henry Adams (1838–1918), H.F. Amiel (1804–1881) und Benjamin Disraeli (1804–1881). Wenn man diese Namensreihe durchgeht, ist es wohl nicht übertrieben, die Behauptung aufzustellen, daß im 19. Jahrhundert nicht wenige der besten Köpfe Europas und Amerikas von dem Gedanken gepeinigt waren, es wären in der Demokratie Kräfte, Grundsätze und Tendenzen verborgen, die entweder wesenhaft oder zumindest in ihren dialektischen Möglichkeiten zu vielen grundlegenden menschlichen Idealen, darunter auch der Freiheit, in einem absoluten Widerspruch stünden. Es ist sehr wichtig, darauf hinzuweisen, daß eine gute Hälfte der oben erwähnten Männer als Liberale zu bezeichnen sind, und es kann auch nicht bezweifelt werden, daß die Liberalen in dieser Gruppe sich am lautesten, am tatkräftigsten und mit den konkretesten Beweisführungen gegen das dräuende Übel gewandt hatten. Metternich, der große Seher, ist hier nicht ohne weiteres einzureihen; wir zählen ihn allerdings nicht zu den echten Konservativen, gerade weil er kein Liberaler war. Vieles sah er schief, vieles auffallend richtig, doch hatte er in seinem Kampf zuviel von seinen Feinden gelernt… mehr als für seine Sache gut war. Er fühlte sich unbehaglich in seiner Zeit, wie aus seinem Bekenntnis vom 16. Oktober 1819 zu ersehen ist:

      »Mein Leben ist in eine abscheuliche Periode gefallen. Ich bin entweder zu früh oder zu spät auf die Welt gekommen; jetzt fühle ich mich zu nichts gut. Früher hätte ich die Zeit genossen, später hätte ich dazu gedient, wieder aufzubauen; heute bringe ich mein Leben zu, die morschen Gebäude zu stützen. Ich hätte im Jahre 1900 geboren werden und das 20. Jahrhundert vor mir haben sollen.«36

       2.Der Gleichheitswahn

      Wenn wir uns nun den Prophezeiungen über die Gegenwart zuwenden, müssen wir uns zuvörderst einmal daran erinnern, daß mit allen gesellschaftlich-politischen Problemen gewisse, sich stets wiederholende psychologische Faktoren unzertrennlich verbunden sind. Einer von diesen ist die Einwirkung von zwei äußerst starken, sich widerstreitenden Trieben auf den Menschen: des identitären Herdentriebs und der »romantischen« Liebe zur Vielfalt. Während der erstgenannte Trieb gewissermaßen zur tierischen Natur des Menschen gehört, ist der letzte rein-menschlich und auf der lediglich animalischen Ebene nicht vorhanden37. Leider kann es aber nicht bestritten werden, daß unsere moderne Zivilisation, besonders im Gegensatz zur Kultur, den Herdenbetrieb über alle Maßen begünstigt. Demokratie, die Massenproduktion, der Militarismus, der (ethnische) Nationalismus, der Rassenwahn und alle Bestrebungen nach »Vereinfachung« arbeiten automatisch für ein größeres Einerlei (identity), für eine gesteigerte Einförmigkeit, Gleichförmigkeit und Gleichheit. Dieses Verhängnisses war sich John Stuart Mill wohl bewußt, und es war gerade dieser erbarmungslose Prozeß der Nivellierung, Ausmerzung und Assimilierung, von dem er sich die gefährlichste Bedrohung der Freiheit erwartete. Nachdem er in seinem Essay On Liberty die verschiedenen Ursachen für diese Allgemeintendenz aufgezählt und erörtert hatte, zeigte er seine Unabhängigkeit von dem othodoxen Utilitarismus J. Benthams und auch seines Vaters, indem er erklärte, daß diese Entwicklung selbst auf Kosten materieller Opfer bekämpft werden müsse. Und dann setzte er hinzu:

      »The demand that all other people shall resemble ourselves grows by what it feeds on. If real resistance waits till life is reduced nearly to one uniform type, all deviations from that type will come to be considered impious, immoral, even monstrous and contrary to nature. Mankind speedily become unable to conceive diversity, when they have been for some time unaccustomed to see it.«38

      Dieser Gleichförmigkeitswahn war schon hundert Jahre früher von Montesquieu verurteilt worden. Dieser erklärte:

      »Il y a de certaines idées d’uniformité qui saisissent quelquefois les grands esprits (car elles ont touché Charlemagne), mais ils frappent infailliblement les petits.«39

      Benjamin Constant, der dem achtzehnten sowohl als dem neunzehnten Jahrhundert angehört hatte, erkannte die lähmenden Eigenschaften der Einförmigkeitsmanie. Er schrieb:

      »La variété c’est l’organisation; l’uniformité c’est du mécanisme. La variété c’est la vie; l’uniformité c’est la mort.«40

      Es war der Uniformismus, der auch der Französischen Revolution, in der die Demokratie am totalitärsten in Erscheinung getreten war, seinen prägnanten Charakter verliehen hatte. Constant, der das napoleonische Nachspiel nicht weniger als die Revolution selbst zum Gegenstand seiner Betrachtung gewählt hatte, schrieb im Jahre 1814:

      »Il est assez remarquable que l’uniformité n’ait jamais rencontré plus de faveur que dans une révolution faite au nom des droits et de la liberté des hommes. L’esprit systématique s’est d’abord extasié sur la symétrie. L’amour du pouvoir a bientôt dévouvert quel avantage immense cette symétrie lui procurait. Tandis que le patriotisme n’existe qu’un vif attachement aux intérêts, aux mœurs, aux coutumes de localité, nos soit-disant patriotes ont déclaré la guerre à toutes ces choses. Ils ont tari cette source naturel du patriotisme, et l’ont voulu remplacer par une passion factive envers un être abstrait, une idée générale, dépouillé de tout ce qui frappe l’imagination et de tout ce qui parle à la mémoire. Pour bâtir l’édifice, ils commençaient par broyer et réduire en poudre les matériaux qu’ils devaient employer. Peu s’en est fallu qu’ils ne désignassent par des chiffres les cités et les provinces, comme ils désignaient par des chiffres les légions et les corps d’armée, tant ils semblaient craindre qu’une idée morale ne pût se rattacher à ce qu’ils instituaient!

      Le despotisme, qui a remplacé la démagogie, et qui s’est constitué légataire du fruit de tous ses travaux, a persisté très habilement dans la route tracée. Les deux extrêmes se sont trouvés d’accord sur ce point, parce qu’au fond, dans les deux extrêmes, il y avait volonté de tyrannie. Les intérêts et les souvenirs qui naissent des habitudes locales contiennent un germe de résistance que l’autorité ne souffre qu’à regret, et qu’elle s’empresse de déraciner. Elle a meilleur marché des individus; elle roule sur eux sans efforts son poids énorme comme sur du sable.

      Aujourd’hui l’admiration pour l’uniformité, admiration réelle dans quelques esprits bornés, affectée par beaucoup d’esprits serviles, est reçue comme un dogme religieux par une foule d’échos assidus de toute opinion favorisée.«41

      Dieser Genfer Aristokrat, der in dieser Schrift die Demokratie mit démagogie und die Militärdiktatur Bonapartes mit despotisme bezeichnete, sah von seinem Exil in Hannover aus sehr klar, wie das Prinzip der Gleichförmigkeit von der Tyrannis weit über die Grenzen Frankreichs vorgeschoben wurde:

      »Les conquérants de nos jours,


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