Gleichheit oder Freiheit?. Von Kuehnelt-Leddihn Erik

Gleichheit oder Freiheit? - Von Kuehnelt-Leddihn Erik


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Brownson ging sogar noch weiter, als er schrieb:

      »Democratic or democratically inclined governments are, for the most part, cruel and hard-hearted. Like corporations, they have no souls and are incapable of tenderness.«74

      Dieses Urteil ist sehr ähnlich einem Ausspruch von Anatol France über Demokratien im Kriege und ihre Unfähigkeit, das Völkermorden durch einen humanen Verhandlungsfrieden zu beendigen75.

      Ein zwar eher indirekter, aber doch um so entscheidenderer Schlag gegen die Freiheit liegt in der demokratischen »Politisierung« der Massen. Hiermit ist auch zumeist der erste Schritt zum Totalitarismus getan. Thomas Mann hegte in seinen jüngeren Jahren derartige Befürchtungen76, und diese wurden auch von manchen politischen Soziologen in unseren Tagen geäußert77. Auch Nietzsche, der dem Gedanken einer Diktatur nicht so abhold sein konnte, war beunruhigt. Er sagte:

      »Die demokratische Idee läuft auf die Erzeugung eines zur Sklaverei im feinsten Sinne vorbereiteten Typus hinaus. Jede Demokratie ist zugleich eine unfreiwillige Veranstaltung zur Züchtung von Tyrannen, das Wort in jedem Sinne verstanden, auch im geistigen78

      Die Anschauung, daß im Rahmen der Demokratie nicht nur illiberale Tendenzen, sondern auch unverhüllt totalitäre Kräfte sich ganz organisch entwickeln können, wird von einer ganzen Reihe von modernen Autoren geteilt79.

      Ein Zeitgenosse Nietzsches auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans, Herman Melville, war von ähnlichen Sorgen erfüllt, doch bezogen sich diese ganz besonders auf seine Heimat. Melville, der sich während seiner Lebzeiten nur eines bescheidenen Ruhmes als Abenteurer, Romanschriftsteller und zweitklassiger Poet erfreute, ist in unseren Tagen wieder »in Mode« gekommen. Man kann in Amerika von einer ausgesprochen Melville-Renaissance reden80. In seinem »Clarel« schrieb dieser kluge Beobachter schon vor über einem halben Jahrhundert voll Bitterkeit:

      »How of the teeming Prairie-Land?

      There shall the plenitude expand

      Unthinned, unawed?…

      Myriads playing pygmy parts –

      Debased into equality:

      In glut of all material arts

      A civic barbarism may be:

      Man disennobled – brutalized

      By popular science – atheized

      Into a smatterer:

      Dead level of rank commonplace

      An Anglo-Saxon China, see,

      May on your vast plains shame the race

      In the Dark Ages of Democracy.«81

      Diese Vision ist, zugegebenermaßen, kulturell und nicht politisch, aber die tieferen Zusammenhänge blieben weder Melville noch J. S. Mill noch Alexis de Tocqueville verborgen. Auch Mill wurde ein Opfer der Mißdeutung Chinas (ein Irrtum, der größtenteils auf dem visuellen Eindruck von Reisenden beruhte), aber die Vorahnungen dieses nur bedingt enthusiastischen Freundes der demokratischen Werte, den wohl niemand als Reaktionär bewerten kann, sind heute ebenso zeitgemäß wie damals:

      »The modern régime of public opinion is, in an unorganized form, what the Chinese educational and political systems are in an organized; and unless individuality shall be able successfully to assert itself against this yoke, Europe, notwithstanding its noble antecedents and its professed Christianity, will tend to become another China.

      What is it that hitherto preserved Europe from this lot? What has made the European family of nations an improving, instead of a stationary proportion of mankind? Not any superior excellence in them, which, when it exists, exists as the effect, not the cause; but their remarkable diversity of character and culture.«

      Mill fuhr dann fort, die Wirkungen und Folgeerscheinungen der Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit in Europa zu untersuchen. Nachdem er den Kausalzusammenhang zwischen Vielfalt und Freiheit genügend beleuchtet hatte, gab er einen kurzen Überblick über alle diejenigen Kräfte, die der Diversität entgegengesetzt sind und die Elemente der Gleichheit und Identität mächtig fördern. Zusammenfassend schrieb er:

      »The combination of all these causes forms so great a mass of influences hostile to individuality, that it is not easy to see how it can stand its ground. I will do so with increasing difficulty, unless the intelligent part of the public can be made to feel its value – to see that it is good there should be differences, even though not for the better, even though, as it may appear to them, some should be for the worse. If the claims of individuality are ever to be asserted, the time is now, while much is still wanting to complete the enforced assimilation. It is only in the earlier stages that any stand can be successfully made against the encroachment.«82

      In diesen Sätzen ist es offenbar, wie weit Mill von der utilitaristischen Orthodoxie abgerückt war: zeigte er sich doch bereit, praktische Vorteile den ideellen Werten der Persönlichkeit zu opfern. Doch die egalitäre Zersetzungsarbeit der Demokratie war ihm weniger, wenn überhaupt, bewußt, und hierin trennt ihn eine Welt von Burckhardt oder dessen Freund Johann Jacob Bachofen, dem berühmten Altertumsforscher und Urvater der Kulturkreislehre. Dieser schrieb in seiner Autobiographie:

      »Seit dem Siege von Luzern hat sich die Lehre von der Volkssouveränität und der Allgewalt der Demokratie zur praktischen Grundlage unserer öffentlichen Zustände ausgebildet. Ich zweifle nicht, daß sie zu allen, auch zu ihren äußersten Konsequenzen fortschreiten wird, wenn es die Gestaltung der europäischen Zustände erlaubt und nicht große Unglücksfälle das Volk wieder zu den wahren Grundlagen eines gesunden Staatslebens zurückführen. Aber vollendete Demokratie ist der Untergang alles Guten. Republiken haben von ihr am meisten zu fürchten. Ich zittre vor ihrer Ausbildung, nicht um Hab und Gutes willen, sondern weil sie uns in die Barbarei zurückwirft.

      …Denn das ist der Fluch der Demokratie, daß sie ihre Verwüstungen in alle Gebiete des Lebens hineinträgt, Kirche, Haus und Familie am schwersten ergreift und für jede, auch die kleinsten Fragen den wahren Standpunkt verrückt. Weil ich die Freiheit liebe, hasse ich die Demokratie.«83

      Bachofen gehört mit Burckhardt, Bluntschli, Vinet, Gonzague de Reynold84 – und in gewisser Beziehung auch mit Henri-Frédéric Amiel und Denis de Rougemont85 – zu der Schweizer antidemokratischen Schule, der man vielleicht auch Oskar Bauhofer zuzählen könnte. Diese Schule, die in einer der ehrwürdigsten geschichtlichen Vergangenheiten in Europa wurzelt, legt besonderes Gewicht auf die Person, auf das föderalistische Prinzip und auf die organische Kontinuität der Tradition. Auch ein unbewußt-bewußter Einfluß des Schweizers Carl Ludwig von Haller erscheint hie und da in ihren Ideengängen. Im Gegensatz zu Mill hatte aber Bachofens Gedankengang eine religiöse Basis. Er fürchtete nicht so sehr die spießbürgerliche Gleichmacherei als die Launen der gottlosen Massen, die in blinder irrationaler Wut alle Freiheit vernichten würden.

      In Bachofens Hinweis auf seine Gleichgültigkeit gegenüber »Hab und Gut«86 fühlen wir die Andeutung einer Befürchtung, die schon Madison in einem Brief an Jared Sparks zum Ausdruck brachte, in dem er sagt, daß die Gesetze »die Macht haben müssen, das Recht auf Privatbesitz gegen den Geist der Demokratie zu verteidigen«87. Einen ähnlichen Gedanken Madisons finden wir im »Federalist« Nr. 10, wo er behauptet, eine reine Demokratie sei »incompatible with personal security or the rights of property«88. Und wenn auch Madison den Begriff der Demokratie auf ihre direkte Form beschränkte, so bleibt immer noch die Gefahr einer allmählichen »Demokratisierung« der Republik – eine Gefahr, die Senator Vandenberg wohl bekannt war89. Die Enteignung (»Verstaatlichung«, »Nationalisierung«) des Privatbesitzes seitens »fortschrittlicher, junger Demokratien« mit Billigung der Mehrheit, wie auch die Deportation ganzer völkischer Minderheiten (US-Japaner in Amerika, Sudetendeutscher in der Tschechoslowakei etc.) beweisen, daß Madisons Furcht nicht unbegründet war. Nicht umsonst war Friedrich Engels überzeugt, daß die demokratische Republik die ideale Arena für den Klassenkampf wäre, der einst in der Diktatur


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