Gleichheit oder Freiheit?. Von Kuehnelt-Leddihn Erik

Gleichheit oder Freiheit? - Von Kuehnelt-Leddihn Erik


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Kräfte mit ihrem ungeheuren, oft zermalmenden Druck auf die Persönlichkeit des Einzelnen eine verhängnisvolle Rolle. Erfolgreicher Widerstand von seiten der Zivilbevölkerung wurde während des Zweiten Weltkrieges in größerem Ausmaß nur von »rückständigen« Nationen geleistet. John Stuart Mill schrieb:

      »Our mere social intolerance kills no one, roots out no opinions, but induces men to disguise them, or to abstain from any active effort for their diffusion. With us, heretic opinions do not perceptibly gain, or even lose, ground in each decade or generation; they never blaze out far and wide, but continue to smoulder in the narrow circles of thinking and studious persons among whom they originate, without ever lighting up the general affairs of mankind with either a true or deceptive light… A convenient plan for having peace in the intellectual world, and keeping all things going on therein very much as they do already. But the price paid for this sort of intellectual pacification, is the sacrifice of the entire moral courage of the human mind127.

      …In England, from the peculiar circumstances of our political history, though the yoke of opinion is perhaps heavier, that of the law is lighter, than in most countries of Europe.«

      Und in einer pessimistischen Anwandlung fügte er hinzu:

      »The majority have not yet learnt to feel the power of the government their power or its opinions their opinions. When they do so, individual liberty will probably be as much exposed to invasion from the government, as it already is from public opinion.«128

      Diese Erwägungen betonen, wie es einem Denker evangelischer Abkunft zukommt, den evolutionären eher als den revolutionären Charakter des Überganges zur totalitären Diktatur. Andererseits besteht aber kaum ein Zweifel, daß bei den katholischen Nationen des Kontinents, sobald sie »fortschrittlich« waren oder wurden, sich sehr ähnliche Vorgänge abspielten. Was Mills indirekter Hinweis auf die britische Abneigung gegen den Wechsel äußerer Formen betrifft (wobei der Inhalt ruhig zerstört oder vertauscht werden darf, solange die Etikette bleibt), so darf man nicht vergessen, daß ein derartiger Zersetzungsprozeß mit Wahrscheinlichkeit überall dort auftritt, wo neben einer konservativen Grundhaltung eine absolute Herrschaft der öffentlichen Meinung in Verbindung mit einem allgemein oberflächlichen Denken zu beobachten ist. Man muß sich nur daran erinnern, daß Thomas Huxley einst sagte: »We do not much mind heterodoxy over here if it does not proclaim itself as such.«129 Wir finden hier eine merkwürdige Parallele zu Huey Longs Feststellung, daß der Faschismus in den Vereinigten Staaten nur dann siegreich sein könnte, wenn er sich »Demokratie« nennen würde130.

      Diese geistige Unehrlichkeit und der Zerfall aller inneren Substanz erschöpft aber bei weitem noch nicht das Gesamtbild unserer Zeit. Die drohenden Gefahren des Totalitarismus und der Diktatur wurden im Urteil so vieler Denker des 19. Jahrhunderts durch eine stets wachsende Homogenität, durch eine Reihe von »Gleichschaltungen« im gesellschaftlichen Bereich unausweichlich herausgefordert. Die Zerschlagung hierarchischer und klassenhafter Unterschiede erleichterte das Heranrollen des Tanks der Tyrannis. Selbst Thomas Jefferson hatte an die Notwendigkeit »natürlicher aristoi« geglaubt, und James Madison, ein anderer Gründervater der amerikanischen Republik, hatte politische Privilegien für diejenigen verlangt, die eine besondere staatsmännische Begabung zeigten131. Einem Manne wie Matthew Arnold war der Zusammenhang zwischen aristokratischen Privilegien und der Freiheit völlig klar. Sagte doch dieser von den politischen Neigungen aristokratischer Körperschaften, daß

      »…they have a sense of equality among themselves, and of constituting in themselves what is greatest and most dignified in the realm, which makes their pride revolt against the overshadowing greatness and dignity of commanding executive. They have a temper of independence, and a habit of uncontrolled action, which makes them impatient of encountering in the management of the interior concerns of the country, the machinery and regulations of a superior and peremptory power.«132

      Ähnliche Gedanken sind auch in unserem Jahrhundert ausgesprochen worden133. Der Widerstand gegen die Vorrechte der Geburt – an und für sich keine ungesunde Erscheinung – wandelt sich leicht in eine Ablehnung jeglicher Überlegenheit; die Gleichmacherei, wie Albert Jay Nock richtig bemerkte134, nimmt schließlich einen geistigen Charakter an, und somit ist ein neuer Schritt in die Richtung des Totalitarismus getan. Emersons Warnung »without great men, great crowds of people in a nation are disgusting; like moving cheese, like hills of ants, or of fleas, – the more, the worse« hat in unseren Tagen wenig Anklang gefunden.

      Sobald die gesellschaftlichen Rangleitern zerstört oder unwiederbringlich beschädigt worden sind, ruht jegliche politische Verantwortung auf den Schultern der Massen; leider aber hat sich die Freiheitsliebe des Durchschnittsmenschen, seine Bereitschaft, für dieses Ideal Opfer zu bringen, im allgemeinen und besonders in der Geschichte der jüngsten Vergangenheit nicht sehr bewährt135. Der spezifisch kleinbürgerliche Charakter des Faschismus sowie des Nationalsozialismus wird heute von keinem ernsthaften Beobachter mehr bezweifelt136.

      Alle diese Richtungen und Neigungen hängen organisch mit dem Vorrang der Quantität über der Qualität zusammen, der durch den demokratischen Grundsatz der Mehrheitsherrschaft mächtig gefördert wurde. So bemerkte Jacob Burckhardt schon im Jahre 1866:

      »Ernster als dieses ist das völlige Verzweifeln an allem Kleinen, welches um sich greift; wer nicht zu einem Dreißigmillionenvolk gehört, der schreit: Hilf Herr, wir versinken!

      …Der Philister will mit Teufelsgewalt an einem großen Kessel essen, sonst schmeckt es ihm nicht mehr.«137

      Und an Friedrich von Preen schrieb er Jahre später:

      »Aber es ist, wie Sie es sagen: man will die Leute beizeiten zu Massenversammlungen erziehen. Es wird dahin kommen mit den Menschen, daß sie anfangen zu heulen, wenn ihrer nicht wenigstens hundert beisammen sind.«138

      Die Gefahr, daß diese Herrschaft der. Massen, die auf der Quantität und dem Mehrheitsbegriff fußt, in einen ungeheuren Horizontaldruck ausarten wird, haben politische Denker von Madison bis René Schwob erwartet139. Die Möglichkeit einer Mehrheitstyrannis war auch J.S. Mill, den man schwerlich einer grundsätzlich antidemokratischen Einstellung beschuldigen kann, recht wohl bekannt. Diese Art der Tyrannis, so betonte Mill, kann sowohl rein politischen als auch sozialen Charakters sein140. Und dann fügte er hinzu:

      »Society can and does execute its mandates; and if it issues wrong mandates instead of right, or any mandates at all in things with which it ought not to meddle, it practises a social tyranny more formidable than many kinds of political oppression, since, though not usually upheld by such extreme penalties, it leaves fewer means of escape, penetrating much more deeply into the details of life, and enslaving the soul itself.«141

      De Tocqueville, der noch weniger Illusionen hegte als Mill, machte die folgende Bemerkung über die von der »größten Anzahl« ausgeübten Macht:

      »Ce pouvoir irrésistible est un fait continu et son bon emploi n’est qu’un accident.«142

      George Canning, der ein sehr scharfes Auge für die Zeichen seiner Zeit hatte, stellte fest, daß »the philosophy of the French Revolution reduced the nation to individuals in order afterwards to congregate them into mobs«143. Und während Walt Whitman in seinen »Leaves of Grass« wimmerte:

      »One’s self I sing, a simple, separate person,

      Yet after the word democratic, the word en masse«,

      donnerte Kierkegaard gegen die wachsende Unterdrückung alles Edlen durch die Massen. So können wir folgendes in seinem Tagebuch lesen:

      »Bücher werden für ›die Massen‹, die nichts verstehen, von denen geschrieben, die wissen, wie man für ›die Massen‹ schreibt… Der Kampf gegen die Fürsten und Päpste – und dies ist um so zutreffender, je mehr wir uns unserer Zeit nähern – war leicht im Vergleich zum Kampf gegen die Massen, die Tyrannei der Gleichheit, der grinsenden Seichtheit, Unsinnigkeit, Niedrigkeit und Vertiertheit.«144

      Orestes Brownson, der große


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