Gleichheit oder Freiheit?. Von Kuehnelt-Leddihn Erik

Gleichheit oder Freiheit? - Von Kuehnelt-Leddihn Erik


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plus respecter le mérite et la fortune que la naissance.«114

      Ebenso klar war es für Fustel de Coulanges, den liberalen Historiker, daß jede Ungleichheit in einer demokratischen Zivilisation viel bitterer empfunden werden würde als unter anderen Umständen115. Um eine vollkommenere Gleichheit zu schaffen, würden sich die Massen einem Führer unterordnen, der ihre freiheitsfeindlichen Wünsche erfüllt oder doch zumindest den Anschein erweckt, daß er ihre egalitären Sehnsüchte in die Wirklichkeit umzusetzen bestrebt ist. Goethe beschrieb diese Sachlage in einfachen Worten:

      »Ich habe gar nichts gegen die Menge,

      Doch kommt sie einmal ins Gedränge,

      So ruft sie, um den Teufel zu bannen,

      Gewiß die Schelme, die Tyrannen.«116

      In dieser sehr bündigen Analyse ist wohl auch Platos Einfluß unverkennbar, der uns in seinem Staat ein sehr genaues Bild von dem tyrannischen Volksführer gezeichnet hat, den sich die enteignenden und konfiszierenden Massen als Protektor gegen die Rachegelüste des früheren Patriziates erwählen. Anders aber, mit einem schärferen Sinn für die historische Dialektik, sah der Genfer Henri Frédéric Amiel die verhängnisvolle Entwicklung. Auf den Verfall echter Autorität in der menschlichen Gesellschaft hinweisend, schrieb er folgendes in sein Tagebuch:

      »Le seul contrepoids de l’égalitarisme, c’est la discipline militaire. Aux galons, à la salle de police, au cachot ou au passer par les armes, il n’y a pas de réplique. Mais n’est-il pas curieux que le régime du droit individuel aboutisse simplement au respect de la force? Jacobinisme amène césarisme, avocasserie se termine en artillerie, et le régime de la langue conduit au régime du sabre. Démocratie et liberté sont deux.«117

      Darum soll man nicht erstaunt sein, wenn in unserem Jahrhundert der Vorschlag gemacht wird, zur Erlangung einer bleibenden Freiheit die Monarchien zu erhalten oder zu restaurieren118. Lange Zeit hindurch war Frankreich, das »fortschrittlichste« Land Europas, auch die Nation, in der die persönlichen Freiheiten am ärgsten bedroht waren. Daher wurde dort mit stets wachsender Heftigkeit die Begeisterung für das Prinzip der Freiheit in beschwörender Eindringlichkeit betont, was als sicheres Zeichen für die bedrohte Stellung wahrer Liberalität gewertet werden muß. (Es sind nie Freiheitsstatuen in den Bergen Tirols aufgestellt worden!) Daher deckt sich ganz unheimlich die Beschreibung, die William James am Ende des vorigen Jahrhunderts vom französischen Nationalcharakter machte, mit den Schilderungen der deutschen Stammeseigenschaften, wie man sie während der letzten Kriege in England und Amerika zu lesen bekam119. Die Problematik war dieselbe.

      Diese freiheitsfeindlichen Strömungen innerhalb Frankreichs fanden in der politischen Struktur des Landes ihren konkretesten Niederschlag. Ähnlich wie Leontjew kritisierte auch der russische Revolutionär Alexander Herzen die zweite Republik und, später dann, das Kaiserreich. Er schreib damals in seinem Tagebuch:

      »Haben wir nicht gesehen, daß eine Republik, deren Regierung das Vorschlagsrecht hat, die politisch zentralisiert ist und eine enorme Armee besitzt, der Entwicklung der Freiheit viel weniger förderlich ist als z. B. die englische Monarchie ohne Vorschlagsrecht und ohne Zentralisierung? Haben wir nicht gesehen, daß die französische Demokratie, d. h. Gleichheit in der Versklavung, der unbegrenzten Autokratie am allernächsten steht?«120

      Diese politische Entwicklung ging Hand in Hand mit einer sozialen Entwicklung; der etatistische Leviathan forderte einen sozialen Behemoth und umgekehrt. Eine monolithische Gesellschaft wurde nun durch den Aufstieg zahlreicher Riesenorganisationen und »Koalitionen« geschaffen; allenthalben schlossen sich die Menschen in kämpferische Gruppen zusammen. Tiefsinnigere Beobachter, wie Kierkegaard, Dostojewskij und Ernest Hello, der seine Essays im vorigen Jahrhundert schrieb, wurden durch diesen Wandel beunruhigt und erschreckt. Hello sagte:

      »Les hommes du monde ne sonst pas amis: mais ils sont coalisés. L’unité vit d’amour. La coalition vit de haine. Les coalisés sont des ennemis privés qui se joignent ensemble contre l’ennemi public. Les hommes du monde ont une haine commune qui leur donne une occupation commune, qui détermine le point central de leur activité.«121

      Kierkegaard schrieb im selben Geiste:

      »Das Prinzip der Assoziation (welches höchstens bei materiellen Interessen mit Berechtigung angewendet werden kann) ist heutzutage nicht positiv, sondern negativ; es ist ein Ausweg, eine Ablenkung und eine Illusion. Vom Standpunkt der Dialektik aus ist die Lage die folgende: das Assoziationsprinzip schwächt den Einzelmenschen, indem es ihn ›stärkt‹; es stärkt zahlenmäßig und schwächt in ethischer Beziehung. Erst nachdem der Einzelne der ganzen Welt gegenüber eine ethische Anschauung gewonnen hat, kann von einer echten Vereinigung die Rede sein. Anderenfalls ist die Vergemeinschaftung von an sich schwachen und schwankenden Individuen ebenso abstoßend und schädlich wie eine Ehe, die zwischen Kindern geschlossen wird.«122

      Dostojewskij ging jedoch noch weiter und versuchte selbst den Begriff der Vereinigung auf einer rein materiellen Grundlage lächerlich zu machen:

      »Wenn eine Nation ihr religiöses Erbe verläßt, so entsteht ein bösartiges, von der Angst genährtes Verlangen für Zusammenarbeit, dessen Ziel die Rettung des Bauches ist. In einem solchen Fall hat die gesellschaftliche Vereinigung kein anderes Ziel.

      Das ist auch der wahre Grund, warum die französische Bourgeoisie sich zusammenschart und mit dem einzigen Beweggrund, den Bauch zu retten, sich dem Proletariat entgegenstellt, das nun an ihre Tore pocht. Die ›Rettung des Bauches‹ ist jedoch das machtloseste aller Einigungsmotive. Es ist der Anfang vom Ende. Was kann denn schon durch die ›Einrichtungen‹ dieses Motivs gerettet werden, wenn man sie ganz unabhängig betrachtet? Wenn es keine Brüder gibt, wird auch keine Institution ein Gefühl von Brüderlichkeit erwecken.«123

      Ob nun die Bestrebungen einer egalitären Vereinigung erfolgreich sind oder nicht, so wird jedenfalls der »waagrechte Druck« der Massen dazu beitragen, einen Menschenschlag zu schaffen, dessen Persönlichkeit so herabgemindert sein wird, daß er den Übergriffen eines totalitären Staates oder einer totalitären Gesellschaft nicht wird genügend Widerstand leisten können. Dieser Schwächezustand kennzeichnet fast alle Demokratien. Schon Alexis de Tocqueville war über die Strenge der Gruppenüberwachung in den Vereinigten Staaten erstaunt und betroffen. Er schrieb:

      »Je ne connais pas de pays où il règne en général moins d’indépendance d’esprit et de véritable liberté de discussion qu’en Amérique… En Amérique, la majorité trace un cercle formidable autour la pensée…

      L’inquisition n’a jamais pu empêcher qu’il ne circulât en Espagne des livres contraires à la religion du plus grand nombre. L’empire de la majorité fait mieux aux États-Unis: elle a ôté jusqu’à la pensée d’en publier.«124

      Diese Feststellung wird durch die Beobachtungen James Fenimore Coopers, des Verfassers des »Lederstrumpfes«, unterstützt, der ungefähr zur selben Zeit (1838) folgendes über sein Land schrieb:

      »It is a besetting vice of democracies to substitute public opinion for law. This is the unsual form in which masses of men exhibit their tyranny.

      …Although the political liberty of this country is greater than that of nearly every other civilized nation, its personal liberty is said to be less. In other words, men are thought to be more under the control of extra-legal authorities, and to defer more to those around them, in pursuing ever their lawful and innocent occupations, than in almost every other country… It is not difficult to trace the causes of such a state of things, but the evil is none the less because it is satisfactorily explained.«125

      Der übermäßig starke Einfluß, den die öffentliche Meinung ausüben kann, tritt besonders deutlich in der Geschichte kleiner amerikanischer Städte hervor, in denen auch physische Gewaltanwendungen häufig vorkamen und immer noch vorkommen; dies trifft nicht nur für den Süden zu, sondern auch für den Mittleren Westen und für Neu-England126. Auch ist Großbritanniens Gesellschaft trotz ihrer aristokratisch-freiheitlichen Traditionen vor


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