Hör nichts Böses. Kayla Gabriel
mir etwas geschieht, müsste sie ein neues Gefäß finden, was schwer werden würde. Glaub mir, ich habe mich ziemlich gewehrt, als sie das erste Mal zu mir kam. Jetzt finde ich es allgemeinhin einfacher, es zu dulden. Es kommt selten vor, dass ich gebeten werde, eine Prophezeiung von großer Wichtigkeit zu machen.“
Mere Maries Lippen wurden schmal und Cassie fragte sich, ob die Frau vielleicht wusste, dass es eines Opfers bedurfte, um Visionen von einem Orakel zu erbitten. Die Größe und der Wert des Opfers standen in direkter Korrelation zur Bedeutsamkeit der Vision, nach der man verlangte.
Oder vielleicht wusste Mere Marie auch, dass eine derartige Vision das Gefäß stark auslaugte und sich manchmal sogar als gefährlich für das Orakel selbst erwies. Die Fähigkeit eines Orakels, eine angefragte Vision zu verkünden, kam aus dessen Innerem und eine zu große Anstrengung könnte ein Gefäß auslöschen wie eine Kerze, der man den Docht entfernt.
„Das wirft die Frage auf, wie du festlegst, was du für wichtig erachtest“, sagte Mere Marie.
Mere Marie betrachtete Cassie noch einen Augenblick, ehe sie sich umdrehte, ihre Finger an ihre Lippen führte und einen schrillen Pfiff ausstieß, der alle im Raum zusammenzucken ließ. Die ältere Frau wandte sich abermals mit einem finsteren Gesicht an Cassie.
„Noch ein Test, dann darfst du zu deinem Gefährten gehen“, verkündete Mere Marie.
Cassie bäumte sich bei dem Wort Gefährten auf. Ihr Blick schnellte nochmal zu Gabriel und dann rundeten sich ihre Augen, als es ihr leicht dämmerte. Die magnetische Anziehungskraft, dieses eigenartige Sehnen, das sie verspürte, die unersättliche Neugier… all das bedeutete etwas. Und natürlich hatte sie mit eigenen Augen gesehen, dass Gabriel ein Bärengestaltwandler war. Es war durchaus möglich. Nur… unerwartet.
Cassies Mund öffnete sich, ein Dutzend Fragen brannten ihr auf der Zungenspitze, aber dann bemerkte sie eine haarige schwarze Gestalt, die den Raum betrat. Mere Maries Aufmerksamkeit lag allein auf der prächtigen, seidig glänzenden schwarzen Katze, die in das Wohnzimmer schlenderte und zu ihnen trottete. Sie stoppte vor Mere Maries Füßen und starrte mit einem beinahe fragenden Blick zu ihr hoch.
Dann schockierte die Katze Cassie über alle Maßen, indem sie tatsächlich zu reden begann.
„Du hast gerufen?“, fragte sie, die Stimme ein maskulines, melodisches Kratzen. Es war also ein Kater.
Cassie wurde bewusst, dass Mere Maries Pfiff die Kreatur herbeigerufen hatte, die ganz bestimmt nicht nur ein Kater war.
„Cairn, du hast dir ziemlich Zeit gelassen, runter zu kommen. Überprüf sie und stell sicher, dass sie nicht aufgespürt werden kann“, befahl Mere Marie dem Kater.
Der Kater gab ein heiseres Schnauben von sich und drehte sich um, sprang auf die Couch und trat auf Cassies Schoß. Cassie widerstand dem Drang, ihre Hände zu heben und über das weich aussehende Katzenfell zu streicheln, als sich Cairn an Cassies Armen und Brust rieb. Er hüpfte vom Sofa und rieb seinen Mund an ihren Beinen, wodurch er für alle Welt den Anschein eines Katers erweckte, der sein Territorium markierte.
Cairn schaute mit seinen Augen, die so leuchtend und gelb wie Goldmünzen waren, zu ihr hoch und musterte sie mehrere lange Herzschläge. Es kostete Cassie einiges an Selbstbeherrschung, unter dem prüfenden Blick der Kreatur nicht auf ihrem Platz herumzurutschen. Was auch immer er sah, Cairn musste mit ihr zufrieden sein, denn er wandte sich wieder an sein Frauchen.
„Sie ist sauber“, schnurrte der Kater, dessen Schwanzspitze zuckte.
Cassie zog in Mere Maries Richtung fragend eine Augenbraue hoch, aber hielt den Mund. Sie blickte absichtlich nicht zu Gabriel, obwohl sie unbedingt seine Reaktion auf… nun, alles sehen wollte. Trotzdem, Cassie rühmte sich damit, eine außergewöhnlich willensstarke Person zu sein. Sie würde ihre Handlungen nicht einfach von einer merkwürdigen, magischen Lust kontrollieren lassen.
…uuuund drei Sekunden später sah sie doch zu Gabriel. Sie erwischte ihn dabei, wie er in ihre Richtung schaute, aber ihr nicht ganz in die Augen blickte und vielmehr den Eindruck machte, als würde er sich unfassbar unwohl fühlen. Nun, da waren sie schon zu zweit.
„Oh, um Himmels willen“, fauchte Mere Marie. „Gabriel, bring sie irgendwo hin und bringt das Gefährten-Zeug hinter euch. Im Moment seid ihr beide nutzlos für mich. Und was auch immer ihr tut, lass nicht zu, dass sie entführt wird. Wenn Pere Mal sie benutzt, um das Dritte Licht zu finden, dann sitzen wir alle so richtig in der Tinte.“
Alle anderen erhoben sich, also stand auch Cassie auf. Der Rest der Wächter machte sich recht zügig aus dem Staub und schon bald waren Cassie und Gabriel allein im Raum. Gabriel beobachtete sie einige Momente, dann winkte er sie zu sich.
„Wie wäre es mit einem Spaziergang?“, schlug er vor und deutete auf die Glastüren, die hinaus in einen gepflegten Garten führten.
Cassies Mund wurde trocken, als sie die ersten Töne seines ausgefeilten englischen Akzents hörte. Ihre Füße hatten sich bereits bei „Wie wäre“ in seine Richtung bewegt, was mehr als ein wenig peinlich war. Noch schlimmer war jedoch, dass Gabriel buchstäblich mit jedem Schritt, den sie machte, hübscher wurde und plötzlich hämmerte ihr Herz in ihrer Brust.
Gabriel schien sich leicht zu schütteln, bevor er die Tür öffnete und sie Cassie aufhielt. Sie biss auf ihre Lippe, senkte den Blick zu Boden und erzitterte, als sie an ihm vorbeitrat. Als sich seine Hand hob und federleicht über ihren unteren Rücken strich, stieß Cassie den angehaltenen Atem aus.
„Was zum Donnerwetter ist das?“, stöhnte sie, weil sie zunehmend frustriert wurde. Sie fühlte sich, als hätte sie keinerlei Kontrolle über die Sehnsüchte ihres Körpers, was nicht akzeptabel war. Sie trat hinaus in die helle New Orleans Sonne und lief einige Schritte weg in dem Versuch, sich zu sammeln.
„Es kommt auch für mich überraschend“, sagte Gabriel, der Cassie nach draußen folgte, ihr aber ihren Freiraum ließ.
Cassie sah zu ihm hinüber und verschränkte die Arme.
„Ich habe nicht geglaubt, dass du darum gebeten hast“, entgegnete sie und schürzte die Lippen. „Wer würde das schon wollen? Es fühlt sich furchtbar an.“
Gabriels dunkle Brauen hoben sich und irgendeine Emotion hellte seine dunkelblauen Augen kurz auf, aber er antwortete nicht sofort. Nur ein verräterisches Zucken an einem Mundwinkel und die leicht zusammengekniffenen Augen deuteten auf sein Missfallen hin.
„Niemand sucht sich seinen vom Schicksal bestimmten Gefährten aus“, seufzte Gabriel.
„Bedeutet vom Schicksal bestimmt, dass man am Ende auch glücklich wird?“, wunderte sich Cassie. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so ist. Was war mit deinen Eltern, waren sie glücklich?“
Gabriels Gesicht verdüsterte sich mehrere Sekunden, bevor er die Emotion abzuschütteln schien.
„Ich kannte meine Eltern nicht gerade gut. Meine Schwester und ich waren Waisen.“
„Ahhh“, sagte Cassie, die spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. „Das kann nicht leicht gewesen sein. Im Betreuungs-System aufzuwachsen und all das.“
Gabriels Augenbrauen schossen erneut in die Höhe und dann kräuselte ein Hauch von Humor seine Mundwinkel.
„Glaub es oder nicht, aber so ein System gab es nicht. Mere Marie hat mich aus dem London der 1850er hierhergebracht. Meine Schwester und ich lebten auf der Straße und wir hatten Glück, dass wir überhaupt überlebt haben.“
Cassie klappte die Kinnlade runter und es dauerte ganze zehn Sekunden, ehe es ihr gelang, den Mund wieder zu schließen.
„Du… du bist… was, ein gestaltwandelnder Zauberer, der durch die Zeit reisen kann?“, fragte sie ungläubig.
Gabriels Lippen zuckten und er feixte offen, dann zuckte er mit den Achseln. Cassie dachte sich, dass kein Mann so gut aussehen sollte, wenn er sich gleichzeitig wie ein Idiot aufführte. Es war unfair, grenzte schon an eine Sünde.
„Um