Maminkas Sommerküche. Rumjana Zacharieva
Fenster aus dem Nebel flossen. Ihr Fluss, aus bräunlich-glänzenden Wellen getrieben, verzweigte sich an der Wasserstelle, überquerte das Schattenfeld der Trauerweide, dröhnte mit tausend Hufen und mächtigem Schnauben, kehrte zur Straße zurück, floss weiter, zäh und gewaltig. Jetzt war das Flussbett der Straße trocken, besät mit Pferdemist, der in der Sonne dampfte und glänzte, bis sich die Staubwolken über ihn legten.
Wieder steif werden, warten.
Aus der schmalen, hohen Staubwolke taucht der Laster auf, der die Frauen der Siebten Brigade zur Arbeit fährt, ein uraltes, klappriges Dorftier, das einige Minuten im Schatten verschnauft und dann wieder losfährt, beladen mit Harken, Decken und Frauengeschwätz. Dann kommen die Schafe. Sie folgen ihrer eigenen breiten Spur aus Glockenklang und Hundegebell, aus klagendem »Bäääh«, durchstochen vom scharfen Pfeifton des Schäfers, der, vier Finger in den Mund gesteckt, die Herde treibt. Der niedrigen, wolligen Wolke folgt der erste Bus. Er kommt im langsamen Schafschritt heran, erst das Dach mit den Koffern, dann die steile, in der Sonne blinkende Glasfront, kommt die Biegung der unsichtbaren Straße heraufgezogen. Der Bus fährt langsam, zu langsam und zu gemütlich, der Bus treibt die Schafe vor sich her, als wäre er der Schäfer.
Manchmal hatte ich Glück und meine Eltern kamen schon mit dem ersten Bus an.
Dann war Heute schon am Vormittag vorbei, und wir drei suchten den ganzen Hof nach Überraschungen ab, die ich vorbereitet hatte: das neuentdeckte Taubennest im Geäst des Nussbaumes, das Mauseloch hinter dem Hühnerstall, das sich später als das Loch eines Marders entpuppte – aber erst, als Maminkas Hühner reihenweise erdrosselt gefunden wurden –, die im »anderen Zimmer« stehende Kiste mit den abgeschnittenen, langen braunen Zöpfen, zwanzig Jahre lang ...
Dann zeigten sie mir ihre Überraschungen, die so schön nach Stadt rochen: backsteinähnliche Marzipanwürfel, goldfarbene Äpfel, die mehlig waren und das ganze Zimmer mit ihrem Duft beherrschten, steinharte Brezeln, luftgetrocknet, die ich den ganzen Tag als Kette um den Hals trug und beknabberte, und zwei bis drei Liter Bosa, jenes beigebraune, dicke und aus Weizen gebraute Getränk, das süß und sehr nahrhaft war und nicht so sauer wie die abgestandene Bosa im dörflichen Süßwarengeschäft ...
Lange wurde gegessen und gesprochen. Es wurde nur Schönes gesprochen: Wir waren immer gesund gewesen, auch wenn ich gerade die Masern hinter mich gebracht hatte; Maminka und Djado hatten sich immer prächtig verstanden, auch wenn er sie gerade am Tag davor verprügelt hatte ...
Dann gingen meine Eltern und ich spazieren.
Ich gehe zwischen den beiden, halte ihre Hände fest, balanciere die riesige Schleife auf meinem Kopf, bin rot bis zum Haaransatz. Sie sind da ... Gelegentlich küsse ich Vaters Hemdsärmel, der so schön nach Waschpulver und Staub riecht, streichele Mutters Ellenbogen, der so komisch runzelig und hilflos an ihrem dunklen glatten Arm klebt.
Das ist es wohl, was die Bauern meinen, wenn sie mich anstarren. Das ist es, wenn sie denken, dass ich verwöhnt bin: »Verwöhnt«. Ein schönes Wort war das nicht, und ich trug es wie einen Stempel auf der Stirn. Was war es, das mir dieses Wort eintrug? Etwas mit mir schien nicht in Ordnung. Ich musste unbedingt dahinterkommen!
9
Ich bin nie richtig in den Kindergarten gegangen. Ich wollte nicht. Dann, auf einmal, wollte ich doch, aber dann durfte ich nicht. »Du darfst nicht, weil deine Eltern nicht in der Kooperative sind.«
Für mich gab es einen Platz in einem Kindergarten in der Stadt, versicherte mir Maminka, aber ich konnte nicht den Platz eines anderen Kindes aus dem Dorf einnehmen. Alle, Plätze und Kinder, waren gezählt, und es gehörte sich nicht, dass ein Kind bei den Großeltern lebte, wo doch seine eigenen Eltern in der Stadt arbeiteten und lebten. Das leuchtete mir ein. Großmutter hatte ihr Bestes getan. »Ich habe sogar mit dem Bürgermeister gesprochen ... es geht eben nicht!«
Eines Tages jedoch, als Maminka mit den anderen Frauen der Siebten Brigade aufs Feld gehen und ich zu Hause allein bleiben sollte, nahm sie mich an die Hand, schleppte mich hinter sich her, brachte mich doch noch in den Kindergarten und sprach lange mit der Kindergärtnerin, die dauernd die Schultern hochzog und auf ihre eigene dicke Brust zeigte. Ich hockte dann unter dem Nussbaum und verfolgte das Gespräch aus der Ferne. Der ganze Kindergarten glich einem Aquarium: hinten die kleinen, bunten Fischlein, die Kinder, die dauernd den Sandkasten belagerten und die Schaukel stürmten; im Vordergrund die zwei großen Fische, Maminka und die dicke Kindergärtnerin, die stets mit der kurzen Flosse auf ihre eigene Brust zeigte. Die Fischchen musterten mich stumm aus der Ferne, als sei ich eine unbekannte Amphibie. Schließlich kam Großmutter zu mir. Sie nähert sich mit gelöstem Gesicht, sie lächelt mich an, sie zeigt mir ihre mit Silber bezogenen Seitenzähne.
»Du darfst bleiben!« Und sie gibt mir einen Henkelmann mit Gekochtem, ein Stück Brot und einen Löffel.
»Du sollst nicht weinen, Maminka«. Ich bleibe, während sie sich entfernt, und ich weiß nicht mehr, was ich mit dem Beutel anfangen soll. Ich sehe mich um und stelle ihn vorsichtig am Nussbaum ab, in eine kleine Vertiefung in der Erde, so dass die Suppe nicht auslaufen kann.
Der Kindergartenhof ist weitläufig. Kleine Sträucher teilen ihn, grenzen den Gemüsegarten ab, in dem stets eine der Kindergärtnerinnen wühlt. Eine niedrige Steinmauer trennt Kindergarten und Kirchhof. Hinter der niedrigen Steinmauer das fleißige Geräusch einer Harke: »Chrrrrsss, chrrrrsss!« Baba Popadija, die Frau des Popen, müht sich mit den Stangenbohnen ab. Im Schatten ist es kalt, aber ich traue mich nicht, die Schattengrenze zu überschreiten. Ich erkälte mich lieber, als mich den Blicken der anderen auszusetzen. Ich bleibe dort, wo ich bin, unterm dichten Dach der großen, sehnigen Blätter.
Ich kam mir überflüssig vor. Überflüssig und allein. Obwohl mich ein Junge einmal auf die Schaukel ließ – worauf ich mich sofort in ihn verliebte. Als die Kinder zum Mittagessen gerufen wurden, stellte ich mich als letzte an und glaubte, mitessen zu müssen. Ich sah durch die Tür die vielen schönen kleinen Tischchen, die Stühlchen, und fragte mich, bei wem ich wohl sitzen würde, ob vielleicht bei dem Jungen, der mich auf die Schaukel gelassen hatte? Als fast alle Kinder saßen, fragte die Kindergärtnerin, ob ich Hunger hätte, und ich bildete mir ein, sie hätten kein Essen für mich.
»Nein danke!«
Sie versprach, mich zu holen; ich aber schämte mich so sehr, dass ich zum Nussbaum zurückging, mein Gekochtes, das Brot und den Löffel herausholte und mich mit dem Henkelmann im Schoß auf die kleine Bank unter dem Nussbaum setzte. Ich tat so, als würde ich essen. In Wirklichkeit schämte ich mich zu Tode. Hoffentlich sah er mich nicht, der Junge von der Schaukel, sonst musste ich unbedingt sterben! Ich hob den leeren Löffel zum Mund hinauf, verharrte einen Augenblick lang, »chrrrrsss, chrrrrsss!«, kam es hinter der Steinmauer hervor, der Löffel tauchte ins Essen, ich wischte mir den Mundwinkel mit dem Handrücken ab, wie es Maminka nach jedem Bissen oder Kuss tat. Als ich die Kindergärtnerin kommen sah, versteckte ich meinen Henkelmann hinter dem Nussbaum.
Sie nahm mich an die Hand.
»Komm, wir haben für dich noch einen Platz gefunden.«
Ich ging erleichtert mit.
Im Speisesaal herrscht Totenstille. Ich stehe neben der Genossin Leiterin, während alle dasitzen. Dann sitze ich auch – Pechvogel, der ich bin, natürlich mit dem Rücken zum Jungen von der Schaukel, den Blick auf die dampfende Suppe gerichtet. Sie riecht zwar nicht schlecht, doch schwimmen in ihr einige Fettaugen und drei winzige Bauklötze aus geröstetem Zwieback, den ich verachte. Langsam leeren sich die Teller um mich herum, nur mein Teller ist noch voll. Die Dicke mit der Fischflosse von vorhin nähert sich.
»Hast du auch alles aufgegessen?« Und zeigt diesmal auf mich, und ich schiebe den vollen Teller von mir weg.
»Ja!«
»Heute lasse ich das durchgehen ...« Die dicke Genossin Leiterin mit der Fischflosse richtet sich auf – oh, wie laut sie ist, alle Köpfe drehen sich nach mir um – »... da es dein erster Tag hier ist«
»Ja, Genossin!« Ich werde rot bis zum Haaransatz. Ich spüre es.
»Aber ab morgen wird der