Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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hatte, blieb davon für sein Leben gezeichnet und von den Alpträumen dessen verfolgt, was es in diesen Verliesen an Elend zu sehen gab und von dem die schlimmsten Gerüchte in der Stadt herumgingen. Flavia aber, Flavia, die schöne Flavia war eine mutige Frau, und sie mußte mutig sein, denn ohne den Mann, den sie im Gefängnis der Stadt Rom aufzusuchen, für dessen Freilassung sie sich einzusetzen hatte, war sie als eine lange schon enterbte, von ihrer Familie wegen der Heirat mit diesem Mann verstoßene verloren. Das Geld, das er dereinst verdient hatte, es schmolz dahin und mußte doch für schöne Kleider, für modische Sandalen auch ausgegeben werden, denn Flavia verfügte doch nur über diese Mittel, die einer Frau, um für die Freiheit ihres Mannes zu kämpfen. Etwas anderes hatte sie nicht vorzuweisen. Die alten Verbindungen ihres Mannes, sie galten nichts mehr, an sie anzuknüpfen, das schadete vielleicht sogar mehr, als daß es nützte.

      Kapitel 4: Die Achse

      Diese Verbindungslinie haben sie ja selbst gezogen in der offiziellen Politik, die zwischen Rom und Berlin, also kann ich das auf meine Weise auch machen – nur daß mein Rom hier das alte sei, das der Antike, das des römischen Imperiums und nicht das des italienischen Nachahmers, Nachäffers von heutzutage, und auch mein Berlin ist mehr ein Bei-Berlin, ein Vorort-Berlin, denn der Moloch selbst, aus dem ich mich vor ein paar Jahren schon zurückgezogen habe, und zwar davor schon, vor der Zeitenwende, durch die wir Deutschen dann bis Drei zählen gelernt haben, bis zum Dritten Reich, aber das nützt mir soviel nicht mehr, wie sich herausgestellt hat, das war vielleicht sogar ein Fehler. Speedy und ich, wir hätten noch weiter weggehen sollen, irgendwohin richtig in die tiefste Provinz uns verziehen, in einem einsamen Haus auf Bergeshöhen uns verstecken, wo niemand uns belästigt und es keine Nachbarn mehr gibt, die einen beobachten können und auf dem Kieker haben. Oder in die Schweiz, wo Speedy herkommt. Aber Speedy haßt die Schweiz, wo sie herkommt, und Amerika, das wär mir ein bißchen weit weg gewesen, und ich bin nicht George, der da, und das sicher auch nicht ohne seine Schwierigkeiten, Fuß fassen konnte. Viele sind weg, ich bin hiergeblieben, und nun komme ich nicht mehr weg, nun stecke ich hier fest, und ich würde doch meinen, daß ich nun genug in den römischen Angelegenheiten geschrieben habe, die mich so sehr nun wahrlich nicht interessieren, und ich nun zu meinen eigenen kommen kann, die dies sehr viel mehr tun, sehr viel mehr auch tun müssen, stecke ich doch ganz schön tief drin in der Bredouille, und wie sehr, das ergibt sich schon daraus, daß ich mir da ein Rom aufbauen muß, um das Eigentliche dahinter verstecken zu können. Aber der Hinweis war ja schon da, das Gefängnis in Rom ein starker Fingerzeig, und er wies ganz brutal auf mich und meine Situation hier in diesem Berliner Vorort-Knast, dem Untersuchungsgefängnis in Erkner, in Erkner bei Berlin, denn da stecke ich drin, seit mehr als einer Woche nun, und weiß nicht, wie lange man mich hier festhalten wird. Mit meiner schnellen Entlassung rechne ich nicht. Ich hoffe natürlich drauf, aber davon gehe ich nicht aus, so dynamisch sich das Regime gibt, die Mühlen der deutschen Justiz, sie mahlen wohl immer noch langsam. So gut das natürlich ist, daß ich hier jetzt schreiben kann, ein Indiz dafür, daß ich rasch wieder rauskommen könnte, ist es sicher nicht, daß ich diese Schreiberlaubnis bekommen habe, dieses seltene Privileg. Und die Liegeerlaubnis dazu wegen meines Rückens, der nach dieser einen Woche ohne die Möglichkeit, sich mal hinlegen zu können über Tage, in Flammen stand vor Schmerzen. Immer nur rumlaufen, hin und her, die sechs Schritt und dann wieder kehrt und auf dem harten Hocker hocken und grad mal den Kopf auf das kleine Tischchen legen dürfen. Ich wäre bereit gewesen, alles zu gestehen, um meinen Aufenthalt hier zu verkürzen. Aber natürlich hätte mir das gar nichts genützt, hätte es ihn nur um Jahre verlängert, diesen Knastaufenthalt – dann aber im regulären Strafvollzug, und daß es dort dann besser zugeht und ein bißchen bequemer sein könnte, das wage ich doch zu bezweifeln, und dann gibt es ja immer noch die andere, die sehr viel schlimmere Variante, an die ich gar nicht denken will. Der neue Staat ist einfallsreich, der neue Staat hat sich da was ausgedacht, wie er mit den feindlichen Elementen, allen auch nur irgendwie Verdächtigen umgehen kann, er lagert sie ganz konzentriert ein und an Orten, die nicht sehr angenehm sein sollen, wenn man den Gerüchten trauen darf, die so kursieren, und in diesem Falle würde ich den Klatschgeschichten glauben und sie eher für verharmlosend halten.

      Kapitel 5: Der Orkus

      Das Loch ist sicher größer, durch das wir uns sehen können, Speedy und ich, beim Sprecher, wie es hier heißt, als im alten Rom – würde ich mal annehmen und auch, daß die Zellen mehr unterirdische Verliese waren, wo man angekettet mehr dahinvegetieren denn leben, gleich sich auch mal bewegen, konnte. Es gibt auf alle Fälle Schlimmeres vorzustellen denn Erkner, die Untersuchungshaftanstalt in Erkner hinterm Polizeirevier, neben der Meldestelle, dem örtlichen Polizeipräsidium oder wie’s heißen mag, und es gibt dieses Schlimmere an Knast, Gefängnis, Zuchthaus nicht nur irgendwo in China, und Sing-Sing soll ja auch die Hölle sein auf Erden, und nicht nur für sehr viel frühere und rohere Zeiten vorzustellen, es gibt das Schlimmste, den Rückfall in die Barbarei, mitten unter uns in Deutschland, und jeder kennt so ein paar berüchtigte Ortsnamen. Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen, das ist hier fast um die Ecke, in Oranienburg, bei Oranienburg ganz dicht daneben. Man weiß es, aber natürlich geht sich keiner das mal näher anschauen, von außen wenigstens, denn da rein will ja wohl niemand. Und ich schon gar nicht. Es kommen ja auch immer mal wieder welche raus, hört man, und vor gar nicht langer Zeit soll es so eine Welle gegeben haben von Entlassungen. Das Regime sitzt sicher im Sattel, fühlt sich jedenfalls so, würde ich meinen, und hat ja auch allen Grund dazu. Es wird also Platz sein im Lager, und mir wäre lieber, es wäre dort alles vollbelegt, und vielleicht haben sie ja auch Platz gemacht, weil sie schon den Nachschub auf der Liste haben, vielleicht steht irgendwas bevor. Man weiß das ja nie und müßte ganz genau beobachten, was sich so im Völkischen Beobachter in den Andeutungen entwickelt und davon ausgehend vorausahnen läßt, aber ich hab das doch nicht gelesen, mir nicht antun wollen. Nach der Lektüre dieser Zeitung, da bewege ich doch einen Tag lang meinen Pinsel nicht mehr, das hinterläßt doch eine gewisse Lähmung, gegen die der Kunstsinn schwer anzukämpfen hat. Man kann gar nicht, soll der alte Liebermann in seinem Palais am Brandenburger Tor gesagt haben, soviel fressen, wie man kotzen möchte, und das war immerhin ein wohlerzogener Mann aus gutem Hause, der wußte, daß man nicht kotzen sagt, sondern: sich übergeben. Oder brechen, sich erbrechen, bis zum Erbrechen – aber er war ja Impressionist und wollte es bis zu seinem Tode bleiben. Der ja dann auch wirklich bald eintrat, ohne daß da jemand direkt nachgeholfen hat, hätte nachhelfen müssen. Ich war zu jung, um da schon einen Abgang zu machen, ich bin es immer noch auch sechs lange Jahre später. Ich habe doch noch ein Spätwerk vor mir – meinte ich jedenfalls bis vor zwei Wochen. Und einen Tag mehr, wollte ich ganz exakt sein, und ich will es, denn hier, wo jeder Tag doppelt und dreifach und vielfach mehr zählt als draußen in der Freiheit, zählt man ja die Tage – zum erstenmal würde ich das Freiheit nennen, das Dadraußen, das Nazi-Dadraußen, das unfreie Deutschland.

      Kapitel 6: Rom und nochmals Rom

      Sie wird ihn sich genau angesehen haben durch das kleine Loch, die Römerin, sie wird die Verzweiflung im Blick ihres Mannes gesehen und dann gewußt haben, was sie zu tun hat, die stolze Flavia. Sie wird also um ein Gespräch beim grausamen Direktor dieses schrecklichen Gefängnisses nachgesucht haben, für ihren armen Mann irgendeine Hafterleichterung zu erwirken, und sie wird zu dem Direktor vorgelassen worden sein – vorgelassen, weil sie mit ihren knapp dreißig Jahren immer noch jung, immer noch schön aussieht. Und mit ihrem Stolz in der aufrechten Haltung, der für einen ausgemachten Bösewicht Anreiz genug sein dürfte, denn Stolz, Stolz kann ja gebrochen werden und eine stolze Frau erniedrigt, und etwas anderes kennen sie doch nicht, diese Männer, die die Macht haben, und sei es nur einen Zipfel davon, und das ist dann sofort auch etwas, das mich angeht, denn auch ich habe Hafterleichterung bekommen. Ich schreibe, weil ich Hafterleichterung bekommen habe, die Liegeerlaubnis für meinen gepeinigten Rücken, die Schreiberlaubnis, die mich überhaupt nur schreiben läßt, und ich weiß doch, wem ich beides verdanke – nicht diesem kleinen Kriminalbeamten, der meine Untersuchung führt, der mich jeden Tag verhört. Der hat sie zwar dankenswerterweise verfügt, diese Hafterleichterungen, aber von sich aus wäre der doch niemals auf den Gedanken gekommen, mir etwas Gutes zu tun, etwas, das mir die Lage ein


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