Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Speedy war das, meine Frau war das, sie hat mit ihm gesprochen, von ihr kommt ja das Skizzenbuch, in das ich schreibe anstatt, wie es sich für einen Maler gehören würde, zu zeichnen. Ich weiß auch, was für ein Argument sie vorgebracht haben wird, damit ich das Skizzenbuch bekomme: daß ein Künstler jeden Tag seine Kunst üben müsse, um seine Fingerfertigkeit zu behalten, wie ein Klavierspieler doch auch – das Argument, das stammt ja von mir, und Speedy hat es so geärgert, als ich ihr das sagte, als sie vor langer, langer Zeit mal meinte, mit mir Urlaub machen zu wollen, und mit mir ist kein Urlaub zu machen, ich bin Künstler und also immer im Dienst. Sie wird sich das sicher gemerkt haben, und ich bin mir da so sicher, weil der subalterne Beamte das ja nahezu wortwörtlich wiederholte, als er mir dieses Skizzenbuch hier und einen Packen Bleistifte dazu aushändigte. Aber dieses Argument wird es nicht gewesen sein, was seine positive Entscheidung dann bewirkte, Speedy hat ganz andere Argumente, sehr viel wirksamere, bei Männern wirkende, und auch dieser Beamte ist ein Mann. Sie hat die schönen Augen, und sie kann einem Mann auch schöne Augen machen, wenn’s drauf ankommt, und sie hat diesen Körper, diesen verlockenden, mit dem sie locken kann, und sie weiß sich anzuziehen und auch auszuziehen bei passender Gelegenheit, und ich frage mich, wie weit sie wohl gegangen sein wird, ihrem Mann ein paar schäbige Hafterleichterungen zu verschaffen, die ich abzulehnen nicht die Ehre besitze. Die nicht. Wenn überhaupt eine.

      Kapitel 7: Augen

      Und dabei sitze ich doch eigentlich wegen ihr, wegen ihrer schönen Augen, wegen des Eindrucks, den meine Frau auf Männer macht und, weil sie den auch machen will, diesen starken Eindruck auf die Männer, die ihr reihenweise verfallen. Aber ich sitze natürlich nur uneigentlich wegen Speedy hier in der U-Haft, weil das ja mein Fall ist, daß ich sie diesen Eindruck auf Männer hab machen lassen, weil ich als mit ihr verheirateter Mann nicht tapfer wie ein deutscher Recke eingeschritten bin, mich nicht wenigstens hab scheiden lassen von dieser schweizerischen Schlampe, denn da kommt sie doch her, aus der Schweiz, aus Genf ganz genau, und eine Schlampe ist sie, meine Frau – wenn auch eine mit Klasse, mit Niveau, und das ist in Deutschland nicht mehr nur ein Skandal unter Nachbarn oder eine Sache familiären Naserümpfens, nach bürgerlichen Moralbegriffen eine anrüchige Geschichte, das ist etwas für die Polizei, und das Delikt, das hier offensichtlich vorliegt, das nennt sich unnationalsozialistische Lebensweise – ein Zungenbrecher, wie unnationalsozialistisch, wo sie doch die klaren Worte so lieben, die Abkürzungen, aber mir bricht’s vielleicht auch so das Genick. Ich wußte gar nicht, daß es so einen Paragraphen überhaupt gibt der unnationalsozialistischen Lebensweise. War mir nicht bekannt, aber Unkenntnis schützt ja bekanntlich vor Strafe nicht. Und mich hat’s also erwischt. Mal sehen, ob das Schicksal noch irgendwie abzuwenden ist, das grausliche. Ich muß mich auf alles gefaßt machen – gibt es denn in Deutschland eigentlich noch unabhängige Anwälte? Oder ist hier der Rechtsanwalt kein Verteidiger mehr, sondern nur noch Organ der Rechtspflege und damit selber ein verkappter Herr Staatsanwalt, ein Helfershelfer der Anklage? Aber ich habe das Geld nicht, mir einen Anwalt zu nehmen und das herauszufinden, ich muß sehen, wie ich allein durchkomme. Muß mir eine Strategie zurechtlegen, wie ich das drehe, damit diese Vorwürfe gegen mich ins Leere laufen. Jedenfalls habe ich erst mal von den Untermietern gesprochen, die wir bei meinen prekären Einkommensverhältnissen als Künstler in diesen schwierigen Zeiten bräuchten, um das überhaupt finanziell durchzustehen, und in dieser Beziehung ist es gar nicht mal schlecht, daß wir gleich zwei von denen haben beziehungsweise hatten, denn natürlich haben die beiden feinen, feigen Herren Studiosi nach meiner Verhaftung sofort das Weite gesucht, hat mir Speedy erzählt – wie mutig, aber ich hätte wohl an ihrer Stelle das gleiche gemacht. Doch meine Maßstäbe gelten nicht, denn ich wäre ja auch nicht so mutig gewesen, mal eben für ein halbes Jahr die Frau eines anderen zu beschlafen, und das noch zu zweit und während der Ehemann mit im Hause ist und vielleicht eines Tages mit dem Revolver Genugtuung fordert. Aber wir sind ja keine Ehrenmänner mehr, wir alle nicht. Daß die beiden Herren Untermieter dann ausgerechnet noch von der theologischen Fakultät waren, das hört sich für den stinknormalen Normalbürger vielleicht harmloser an, nicht aber für den nationalsozialistischen Staat mit seinem mal offenen, mal mehr verdeckten Kirchenkampf, und das kann ich ja unmöglich so hinstellen, als hätte es Speedy mittels einer mehr lockeren Sexualmoral darauf angelegt, der katholischen Kirche zwei ihrer zukünftigen Diener abspenstig zu machen – damit hätt ich’s ja zugegeben, was das für Untermieter waren, und Speedy, die gute Katholikin Speedy, sie würde mir meine Maleraugen auskratzen bei einer solchen gottlosen Verteidigungslinie, und meine Augen, die brauche ich doch noch, ich will ja irgendwann wieder malen – nur jetzt nicht. Und hier nicht. Im Gefängnis nicht.

      Kapitel 8: Die Ausnahme

      Genaugenommen habe ich die so gar nicht, die Schreiberlaubnis, ich habe dieses Skizzenbuch ausgehändigt bekommen und natürlich, um darin Skizzen machen zu können, um dort hineinzuzeichnen und nicht zu schreiben. Nur hat dieses Gefängnis und wohl überhaupt noch keines in Deutschland einen Maler in seinen Mauern gesehen – wir reden jetzt mal nicht von einem bei der Akademie abgelehnten Postkartenmaler, denn bei ihm ging es ja um eine sehr viel ehrenvollere Festungshaft, aber auch der hat ja bekanntlich an diesem Ort zu schreiben angefangen und seinen ganzen Krampf und Kampf mal in Worte fassen wollen. Was nicht extra geregelt ist, wird in Deutschland bekanntlich in der Regel abgelehnt, aber so einer feschen Schweizerin erwehrt sich auch ein anständiger deutscher Beamter nicht, und also ward meine Zeichenerlaubnis als Schreiberlaubnis erlaubt und gestattet, und von der nun mache ich etwas genaueren Gebrauch als gemeint und gedacht – daß ich hier im Gefängnis nicht zeichnen würde, diese Entscheidung war sofort klar, instinktiv. Ich sehe hier viel zu viele schlimme Dinge, und ich sehe noch viel schlimmere Dinge voraus, als daß ich dies alles und allein schon die Visionen einer einzigen Nacht hätte zeichnen, in Bildern festhalten wollen. Ich kann mich doch hier nicht hinsetzen und 26 mal diesen dreibeinigen Schemel aus den verschiedensten Perspektiven und Blickwinkeln abzeichnen, der mir eine Woche lang so eine Tortur war, und dann sieht das nur wie ein Schemel aus und nicht weiter schlimm. So was habe ich während meines Studiums machen müssen, und das ist schon eine Weile her, damit fange ich nicht noch mal an. Ich bin ja auch mehr ein Menschenzeichner, bin es immer gewesen. So eine leere Zelle, das ist nichts für mich, und da in Schwarz/Weiß und Grautönen das wenige Licht einfangen zu wollen, das durch die Glasbausteine hindurchschimmert, die sie hier netterweise, damit man nicht durch die Außenwelt verunsichert und vielleicht von seiner Schuld abgelenkt wird, anstatt des Fensters eingebaut haben, das ist wirklich nicht mein Ding, ich bin nicht so ein Lichtmaler und ein Ein-wenig-Licht-Maler, das bin ich schon gar nicht. Ich bin doch nicht Rembrandt und ein Rembrandt-Deutscher auch nicht, dazu fehlt’s mir an Seele, an Seelenhaftigkeit, an Durchhaltevermögen auch, denn dazu wären ja mit einem spitzen Bleistift schon sehr viele Striche nötig, um so ein Blatt so düster zu kriegen wie diese Zelle, zu der ich eben fast schon meine Zelle gesagt hätte.

      Kapitel 9: Die Geschichte mit dem Messer

      Ausnahme ja, aber doch nicht so sehr Ausnahme, daß ich auch noch die Sonderregelung bekommen hätte, ein Messer mit in der Zelle zu haben – ein Messer wozu? Nicht, um mich umzubringen, aber notfalls wäre das mit diesem Messer schon möglich, und wenn der Druck zu stark wird. Ich habe eine Zeichen- beziehungsweise Schreiberlaubnis, habe sie, die Zeichenerlaubnis in Form einer Schreiberlaubnis, und ich habe einen Packen Bleistifte ausgehändigt bekommen, den Speedy mir dankenswerterweise gleich mit ins Gefängnis geschickt hat – ohne diese Bleistifte hätte sie sich ja auch wohl als Künstlergattin disqualifiziert. Aber Bleistiftminen, die werden stumpf, Bleistifte müssen immer wieder neu angespitzt werden, und also hat Speedy auch an das Anspitzmesser gedacht, mein Anspitzmesser, das bei mir im Atelier ja auch schließlich mit den Bleistiften in einem Kasten liegt, einem Schuhkarton, einem sehr schönen sogar und einem, in dem mal ein Paar sehr schöner Knöpfschuhe ihren Weg von der Fabrikation in den Laden und von dort zu uns ins Haus und an Speedys Füße fanden. Die Bleistiftanspitzer, die zum Drehen, die mag ich doch nicht, weder die kleinen, die in der Hand zu halten sind und bei denen man sich regelmäßig Blasen an den Fingern holt, wenn man gleich mal mehr als nur einen einzigen Bleistift spitz kriegen will, noch diese neumodischen Dinger, diese Anspitzmaschinen, die man am Tisch festschrauben


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