Speedy – Skizzen. Florian Havemann
Frauen und besonders Ehefrauen. Dann stand sie wortlos wieder vom Tisch auf und verließ, ohne ein einziges Wort der Erklärung, ohne auch ihre beiden Liebhaber dazu aufzufordern, ihr zu folgen, die Küche. Wir saßen für einen Moment stumm und gesenkten Blickes da. Wie unter Schock. Und natürlich erhob sich dann erst der eine, dann auch der andere dieser beiden Hanseln, ungelenk und mir gegenüber irgendeine belanglose Entschuldigung murmelnd, und nachdem sie verschwunden waren, schaute ich im Herd nach, wie weit unser Sonntagsbraten wäre, und es dauerte dann natürlich eine ganze Weile, bis wir vier am Mittagstisch wieder versammelt waren. Und Speedy machte Witze, Speedy ging es gut, Speedy hatte ihren Spaß. Und der Braten, er schmeckte auch gut, uns allen gut. Uns Vieren.
Ich meine, für Speedy müssen diese Diskussionen zwischen mir und unseren katholischen Untermietern, an denen sie zwar konsequent nie teilnahm, von denen sie aber sicher genug mitbekam, so laut, wie wir da oft stritten, um zu wissen, worum es dabei ging, und insbesondere, welch verwerfliche Positionen ich, ihr Mann, dabei jeweils vertrat, eine Offenbarung gewesen sein, die Offenbarung ihres Fehlschlages, des Desasters, daß das mit der allumfassenden Katholizität, die sie für mich vorgesehen und als einzige Rettung erachtet hatte, doch nichts geworden war. Nun kam es heraus, und ich war selber erstaunt, wie atheistisch es aus mir herauskam, denn schließlich hatte ich mich ja jahrelang bemüht, hatte ich mich in die Versuchung gebracht, wirklich gläubig zu werden, werden zu können. Ich glaube nicht, daß es einen Atheisten außer mir jemals sonst gegeben haben wird, der so oft in einer Kirche zu sehen war, der sich mit dem Heiligen Geist so hat imprägnieren lassen – nicht, daß ich darauf irgendwie stolz wäre, wo ich ja da meistens nur mit verstocktem Herzen dabeisaß und vielleicht glauben wollte, ganz gern hätte glauben können, müssen, sollen, wollen, aber eben doch nicht glaubte. Das soll sich ja um eine Offenbarungsreligion handeln, behaupten sie jedenfalls, mir aber offenbarte sich nichts – außer vielleicht die Macht des Rituals, denn das hat ja schon einen Effekt, einen läuternden vielleicht sogar, der ganze starr festgelegte, immer wieder wiederholte Ablauf der heiligen Messe, aber das dürfte bei andern Messen anderer Religionen nicht anders sein, und ich habe da mal was von japanischen Mönchen gehört, die, bevor sie sich dann doch über ihren wieder kalt gewordenen Reis hermachen, erst einmal eine halbe Stunde lang aufzählen, wer alles und mit welcher Mühsal daran beteiligt war, daß sie diesen Reis zu sich nehmen können, und hätten sie noch über die Reisschalen gesprochen, aus denen sie aßen, und was das für eine Arbeit war, die nun herzustellen, und die Ofenbauer nicht zu vergessen und die Holzschnitzer für ihre Stäbchen, und das alles jeden Tag, bei jeder Mahlzeit eingedenk, das bleibt sicher auch nicht ohne Wirkung aufs Gemüt. Da brauche ich den ganzen Jesus nicht und das Brot und den Wein, sein Blut, seinen Leib – wie kannibalisch, Gott essen. Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast – da finde ich diese japanischen Reiskornanbeter realistischer, und einem früheren Kommunisten, der mal an die Mission der Arbeiterklasse geglaubt hat, ist das natürlich auch sympathischer, ich meine: unter uns Parasiten gesprochen, uns Künstlern, Mönchen, Pfaffen und Theologen. Das Ritual wirkt, ist es gut ausgedacht, gut inszeniert, wirkt es, aber auch das morgendliche Ritual des Zähneputzens wirkt ja, und macht man es bewußt, hat es Wirkung für den ganzen, den halben Tag. Und dann soll es ja geradezu Anzeichen des Wahnsinns sein, wenn da Leute zwanghaft ritualisiert sich immer wieder die Hände waschen müssen oder an die Nase fassen oder einen bestimmten Weg ablaufen, weil sie glauben, ohne diesen ihren Dienst am Ganzen bräche die Welt zusammen.
Kapitel 15: Schöpfer Pluralis
Ich sagte immer: wenn, wenn überhaupt, und daß ich als verstockter Atheist nicht von außen, sondern aus dem Kern heraus des katholischen Glaubens argumentierte, das war es sicher, was die beiden theologischen Hausfreunde so sehr in den Bann zog und faszinierte. Und auch, daß ich meinen Nicht-Glauben als Glauben bezeichnete, denn, was weiß ich so sicher, ob es nicht doch einen Gott gibt und die Hölle auf mich wartet, auf daß ich dort dann richtig weichgekocht werde zur Läuterung meiner Seele – von Bestrafung redet ja keiner mehr, seit sie uns ihren einstmals strafenden nun als einen lieben und verzeihenden Gott hinstellen wollen. Er nimmt hinweg die Sünde der Welt, er hat die Sünde auf sich genommen und ergo, predigte ich den beiden, auch die meine. Ich kann gar keine mehr begehen, ist ja alles hinweggenommen, und meine Verwirrung und Abirrung, das liegt alles im Heilsplan, da brauche ich mir doch keinen Kopf mehr zu machen, keine Sorgen um meine Zukunft nach dem Leben, Ableben, und außerdem, so sagte ich den beiden, dürfte es um einiges heroischer sein, diese Schmutzkampagne hier auf Erden ohne den Glauben an ein Jenseits zu ertragen, ohne den Gedanken an eine Entschädigung danach für all die erlittene Unbill. Das stärkste Argument, das ist natürlich immer wieder, daß die Welt so schlecht ist, und das wissen sie ja selber, die Gläubigen und sogar ihre Theologen, und es soll ja alles vortrefflich gewesen sein am siebenten Tag der Schöpfung. Irgendwas muß danach verdammt schiefgelaufen sein, oder das ist ein verdammt grausamer Kerl da oben, daß er uns solche gemeinen Strafen auferlegt. Er ergötzt sich wohl noch dran, und bemerkenswert wäre nur, er schickte mal als göttlichen Fingerzeig eine Marienerscheinung bei einem Atheisten wie mir vorbei und nicht immer nur bei irgendwelchen hysterischen Weibsbildern eh schon katholischen Glaubens. Erscheinungen, die habe ich als Künstler doch jeden Tag – nichts Ungewöhnliches unter der Sonne also. Ich werde doch nicht so dumm sein, deshalb eine Schlechter-Religion begründen zu wollen. Davor hat schon Nietzsche gewarnt: hüten wir uns davor, eine Religion begründen zu wollen – ja, hüten wir uns davor. Das Gegenargument, daß solche nicht ganz unbegabten Künstler wie Johann Sebastian Bach oder Grünewald, der Mann vom Isenheimer Altar, an Gott geglaubt haben, damit kommen sie ja dann immer, das zieht doch nicht. Fraenger hat ja sehr gut über ihn geschrieben und ganz gut aufgedeckt, was Matthis, den Maler, antrieb – Fraenger hat auch gut über mich geschrieben, den Text zu meinem ersten Ausstellungskatalog überhaupt, in der Galerie Buchard 1920 schon, Fraenger versteht was von Kunscht, und er würde mir das sicher durchgehen lassen, wenn ich sage, daß wir Künstler halt von dem abhängig sind, was an Material so da ist, und früher war es eben das christliche, aus dem was zu machen war, das hat doch was mit den Menschen, mit der Gesellschaft und nicht unbedingt mit Gott was zu tun. Es geht ja auch ohne, ohne Gott mit der Kunst weiter.
Kapitel 16: Der wahre Glauben
Interessant in diesen theologischen Debatten war, daß mich die beiden Studierten darauf aufmerksam machten, ich sei, ob ich’s nun wisse oder nicht, ein Anhänger von einem gewissen Marcion Ardoni – nie gehört, ich wußte es also nicht. Aber warum nicht, ich habe doch nichts dagegen, Anhänger eines Glaubens zu sein, den ich gar nicht kenne, der dann also ebenso gut auch auf meinem eigenen Mist gewachsen sein könnte. Wir wissen nichts von diesem vergessenen heiligen Mann, denn sie haben ihn, der wohl mal eine wirkliche Gefahr darstellte, ja auch mächtig bekämpft von der Kirche, seine sehr viel logischere Theologie als Irrglauben verketzert, verteufelt – es wird ihn nicht groß gewundert haben, sah er doch in der Welt ein Werk des Teufels, den er den Demiurgen nannte, und also auch die ganze schöne katholische und apostolische Kirche als Blendwerk ebendieses Teufels. Sein Grundgedanke ist eigentlich ganz einfach und für jeden nachzuvollziehen: Da die Welt, wie wir alle wissen, so schlecht ist, wie sie nun mal ist, und voller Bosheit, kann sie nicht von jenem Gott geschaffen worden sein, der uns seinen Sohnimatz geschickt und damit geopfert hat, denn so ein gutes Kerlchen muß natürlich hier auf Erden und unter Menschen unter die Räder kommen oder, behalten wir diese Erhöhung bei, ans Kreuz geschlagen werden. Das war ja wohl klar und muß auch seinem Vati klar gewesen sein. Nennen wir es so eine Art Propaganda der Tat, als ob er uns hätte mitteilen wollen: Ich bin auch noch da, und bei den anarchistischen, terroristischen Bombenwerfern ist das nicht anders, daß zu der Tat die Bereitschaft gehört, selber dabei draufzugehen, sich mit von der Höllenmaschine zerfetzen zu lassen, die einem anderen gilt, dem Feind, dem persönlich haftenden. Wenn aber der herzensgute Gottvater von diesem Christus-Sohn die Welt nicht gemacht hat, dann muß sie ein anderer gemacht haben, und da sie schlecht ist, muß sie ein Schlechter gemacht haben – irgendein Vorfahr von mir, ein entfernter Verwandter. Ergo der Teufel. Der Demiurg, der Macher, und den beten wir im Alten Testament an, das nun aber auch nichts und gar nichts mit dem Neuen zu tun hat – die unvereinbaren Unterschiede und Widersprüche zwischen beiden Teilen des Buches der Bücher dürften ja wohl jedem, der lesen kann und liest und nicht