Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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sicher über diesen neuen Fall einer Sonderreglung im Falle Schlechter tratschen würde, so was verbreite sich sehr rasch in einer solchen Haftanstalt, und wahrscheinlich hat er recht damit und auch damit, daß mir dies nun aber gar nicht recht sein sollte, das mit den vielen Privilegien – aber was soll’s? Hauptsache, ich habe mein Messer. Wenigstens für eine halbe Stunde, und jetzt muß ich nur aufpassen, daß ich mich beim Anspitzen nicht schneide, was ja immer mal wieder vorkommen kann – aber nicht, weil ich mittlerweile so verzärtelt bin, daß ich kein Blut mehr sehen kann, sondern, weil er es nicht sehen darf, das Blut, denn sonst kommt er mir noch auf den gleichen Gedanken, der mir heute während des Anspitzens kam, der nämlich daran, daß ich mein Messer auch anderweitig verwenden, mich nun mit diesem Messer doch auch umbringen könne, es mir mal eben so ins Herz stoßen und das dann gleich ganz tief, wenn er sich kurz von mir abwendet, der vielbeschäftigte Herr Vernehmer – das sind ja Aussichten, herzerwärmende Perspektiven. Ich habe ein kleines Stück Freiheit zurück.

      Kapitel 22: Ist ja toll

      Der Vernehmer: »Die beiden Theologen, vielleicht haben Sie davon gehört, sind gleich nach Ihrer Inhaftierung bei Ihnen ausgezogen.«

      Ich: »Meine Frau hat es mir gesagt.«

      Der Vernehmer: »Aber wir haben sie natürlich aufgespürt und als Zeugen befragt. Der deutschen Polizei fiel das naturgemäß nicht schwer – wozu haben wir das Melderegister und nun auch den Blockwart, der darauf achtet.«

      Ich: »Ich begrüße das natürlich – diese Aussagen werden sicher zur Klärung des Sachverhalts beitragen.«

      Der Vernehmer: »Die beiden Zeugen haben übereinstimmend ausgesagt, daß Ihre Frau mannstoll sei, daß sie sich ihrer Attacken nicht hätten erwehren können, daß sie ihren Verführungskünsten erlegen seien.«

      Ich: »Mannstoll – haben sie das gesagt? Das ist ja allerhand.«

      Der Vernehmer: »Sie können sich Ihre Kommentare sparen – ich werde Sie noch zu diesen Aussagen im einzelnen befragen.«

      Ich: »Dann werde ich später dazu Stellung nehmen.«

      Der Vernehmer: »Die beiden Zeugen behaupten weiterhin, das Untermietsverhältnis bei Ihnen völlig ahnungslos eingegangen zu sein, sie sagen auch aus, mit Ihrer Frau nicht schon vor Ihrem Einzug intim gewesen zu sein.«

      Ich: »Das hätte mich ja auch sehr gewundert.«

      Der Vernehmer: »Sie hören jetzt erst mal zu, Herr Schlechter.«

      Ich: »Ja, ich höre zu.«

      Der Vernehmer: »Die Zeugen bestätigen insoweit Ihre Aussage, mit Ihnen selbst niemals direkt darüber gesprochen zu haben, daß sie mit Ihrer Frau sexuell verkehren. Dies sei nie ein Thema zwischen ihnen gewesen, auch in Andeutungen nicht. Sie sagen aber auch, Sie hätten blind gewesen sein müssen, um nicht doch etwas davon mitzubekommen.«

      Ich: »Ich muß blind gewesen sein.«

      Der Vernehmer: »Sehenden Auges blind vielleicht – aber hören Sie weiter zu, was die beiden Zeugen aussagen. Auf die Frage, ob Frau Schlechter mit ihnen über ihren Mann gesprochen habe, antworten sie, und dies wiederum bis in die Formulierungen übereinstimmend, Frau Schlechter habe ihren Mann ihnen gegenüber als einfältig bezeichnet und gesagt, daß sie auf ihn keinerlei Rücksichten zu nehmen bereit sei. Ihr Mann habe sich damit abgefunden, daß sie ihn betrüge. Sie sagen aus, sie hätten Frau Schlechter niemals danach gefragt, warum dem so sei, daß sich ihr Mann mit ihren außerehelichen Aktivitäten abgefunden habe – so steht es hier im Protokoll.«

      Ich: »Wenn es da so steht … «

      Der Vernehmer: »Dann wird es seine Richtigkeit haben?«

      Ich: »Die beiden Herren haben sich doch offensichtlich abgesprochen – ich wüßte nicht, welchen Wert ihre Aussagen haben könnten.«

      Der Vernehmer: »Dies zu beurteilen bleibt Sache des Gerichts. Vergessen Sie nicht, daß man Zeugen auch vereidigen kann, und dann müssen sie die Wahrheit sagen, wenn sie nicht selber ein Verfahren wegen Meineids an den Hals bekommen wollen.«

      Diese Aussicht war natürlich nun nicht gerade dazu angetan, mich zu beruhigen.

      Der Vernehmer: »Ich würde Ihnen aber darin wohl zustimmen, daß die beiden ihre Zeugenaussagen abgesprochen haben dürften – um so mehr kommt es darauf an, wie Sie sich nun dazu verhalten.«

      Ich: »Was soll ich dazu sagen?«

      Der Vernehmer: »Das müssen Sie mich nicht fragen – ich empfehle Ihnen von Amtswegen die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.«

      Ich: »Wahrscheinlich war ich blind, und vielleicht wollte ich das auch nicht sehen, was ich hätte sehen können.«

      Der Vernehmer: »Also haben Sie es dann doch gewußt?«

      Ich: »Ich habe nur gewußt, daß es da etwas gibt, das ich vielleicht besser nicht wissen sollte.«

      Der Vernehmer: »Eine nationalsozialistische Einstellung würde ich das zwar nicht unbedingt nennen, aber direkt strafbar wäre das wohl nicht.« Ich: »Und ich dachte, dies wäre ein Verhalten, dessen sich sehr viele Menschen grad unter den neuen Verhältnissen befleißigen.«

      Der Vernehmer: »Wir diskutieren hier nicht miteinander, Herr Schlechter – die beiden Zeugen sagen aus, Sie hätten sich, nach Angaben Ihrer Frau, damit abgefunden, von ihr betrogen zu werden.«

      Ich: »Meine Frau soll auch gesagt haben, ich sei einfältig, aber ganz so einfältig bin ich nun nicht, dies für bare Münze zu nehmen.«

      Der Vernehmer: »Haben Sie sich nun damit abgefunden, von Ihrer Frau betrogen zu werden, oder haben Sie nicht?«

      Ich: »Ich habe da wohl im Laufe unserer Ehe ein paarmal eine solche Ahnung gehabt, daß da zwischen meiner Frau und einem anderen Mann etwas sein könne, aber ich bin dem nie auf den Grund gegangen.«

      Der Vernehmer: »Also haben Sie sich damit abgefunden.«

      Ich: »Ich habe mich damit abgefunden, daß ich immer mal wieder mit diesem Verdacht zu tun hatte – mehr nicht.«

      Der Vernehmer: »Hat Sie nun Ihre Frau im Laufe Ihrer Ehejahre betrogen oder nicht.«

      Ich: »Ich weiß es nicht – ich wollte es vielleicht auch nicht wissen.«

      Der Vernehmer: »Das bringt uns nicht sehr viel weiter.«

      Ich: »Tut mir leid, mit mehr kann ich nicht dienen.«

      Wie er das dann in seinem Protokoll formuliert hat, ich erinnere es nicht mehr so genau, und ich gebe dieses eigenartige Verhör, bei dem ja auch noch ein paar andere, nicht so wichtige Dinge zur Sprache kamen, nur in seinem Kern wieder und damit dann sicher auch lebendiger, als es in Wirklichkeit ablief – mein Hang zur Dramatisierung. Ich übertreibe halt gern und überinterpretiere oft Dinge, aber das würde ich schon sagen, daß das Atmosphärische doch nun anders war, nicht mehr das ganz harte Fragen-Antworten-Fragen-Spiel wie am Anfang, bei dem ich nur verlieren konnte, nicht mehr diese vielen Vorhaltungen. Doch das mag auch daran liegen, daß ich jetzt zum erstenmal mit Zeugenaussagen konfrontiert wurde, nicht mehr mit dem, was in harter deutscher Polizeiarbeit herauszubekommen war – möglicherweise jedoch war’s nur trickreicher, psychologisch geschickter von ihm, weil er gemerkt hat, daß er mir nicht so wie seinen sonstigen Ganoven kommen kann, seinen primitiven Knackis und durchgedrehten Mördern, so auf die sture Tour, und vielleicht spürt er sich ja auch durch mich sogar ein bißchen intellektuell herausgefordert. Der Tenor war ein anderer, war nun eher so, als gäbe es hier etwas, das wir beide hinter uns bringen müßten, das wir gemeinsam in einer für beide Seiten möglichst annehmbaren Weise lösen sollten – ich übertreibe das vielleicht, spitze es zu, überspitze es, aber mein Eindruck ging in diese Richtung, und natürlich war die Frage, die dabei entstehen mußte, die: warum? Woher dieser Stimmungswechsel? Wenn es denn nicht reine Taktik war, Verhörtechnik, und ich ihr dann auf den Leim gegangen bin. Ich spekuliere, etwas anderes als zu spekulieren ist mir nicht möglich, und ich spekuliere mal


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