Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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zurück, ihn aus der Verbannung zu erlösen, ihm die Rückkehr nach Rom zu ermöglichen. Sich dafür einzusetzen. Sich bei den hochgestellten Persönlichkeiten einzusetzen, die sie durch ihre Familie kennt, und auch er hat ja noch Verbindungen von früher. So eine alte Welt, die stirbt ja nicht gleich, nur weil ein neuer Cäsar das so will. Und die alten Zeiten, sie könnten ja auch wiederkommen. Die Hoffnung existiert. Die Hoffnung auf ein Scheitern der neuen, sittenstrengen Politik. Weil die Dekadenz einfach zu fortgeschritten ist, sich schon zu tief in die zwischenmenschlichen Verhältnisse eingefressen hat. In den Volkskörper, wie man heute vielleicht sagen würde.

      Und dann passiert es, passiert es Flavia, daß sie die Freiheit, ohne ihren Mann zu sein, zu genießen beginnt, daß sie also wechselnde Affairen hat. Erst läßt sie sich auf diese Affairen mit hochgestellten Persönlichkeiten ein, um durch sie Protektion für ihren verbannten Mann zu bekommen, dann aber will sie eigentlich gar nicht, daß ihr Mann wieder nach Rom zurückkehren kann, will sie doch die gewonnene sexuelle Freizügigkeit nicht verlieren. Wenn sie dann Erfolg hat und der Rückkehr ihres Mannes aus der Verbannung nichts mehr im Wege steht, schreibt sie ihm einen langen Brief, einen Brief, in dem sie ihm die Bedingungen ihres zukünftigen ehelichen Zusammenlebens diktiert: Sie wird Liebschaften haben, sie wird insbesondere die Geliebte des Mannes bleiben, bei dem sie sich für seine Rückkehr eingesetzt hat und von dem die Entscheidung darüber abhängt – stimmt der Dichter dieser Regelung nicht zu, wird er die Erlaubnis zur Rückkehr nach Rom nicht erhalten. Sonst nicht. Ganz brutal. Von der Reihenfolge her aber sollte es vielleicht andersherum gehen: erst, daß es ihr gelungen ist, an den Mann heranzukommen, der über die Aufhebung der Verbannung des Dichters entscheidet, daß sie dies nur erreichen konnte, indem sie die Geliebte dieses Mannes wurde, und daß dieser nun die Rückkehr des Dichters davon abhängig mache, daß sie auch dann noch seine Geliebte bleibe – alles so dargestellt, als hätte sie ihr Bestes für ihren Mann versucht, als wäre eine andere Lösung nicht herbeizuführen. Dann aber die Wendung, in der sie ihrem Ehemann mitteilt, sie sei mit dieser ihm auferlegten Bedingung vollkommen einverstanden, ja, sie habe die sogar selber vorgeschlagen. Sie wolle die Geliebte dieses Mannes bleiben, der ihr ein Leben bieten könne, wie es dem Dichter nicht möglich sei. Dann das Geständnis: sie habe, um an diesen Mann, dessen Geliebte sie nun sei, heranzukommen, diverse Affairen eingehen müssen und sei dabei auf den Geschmack gekommen. Sie habe ihre Freizügigkeit genossen und ihn sehr rasch nicht mehr vermißt – natürlich steht dahinter meine Angst, auch Speedy könnte es so gehen, seit ich hier im Gefängnis bin. Daß sie froh ist, mich los zu sein, mich außer Haus zu haben. Aber eigentlich dürfte Speedy das doch nicht nötig haben. Ich meine: warum sitze ich hier? Wegen meiner unnationalsozialistischen Lebensweise, die es Speedy schon vorher erlaubte, ihrer Wege zu gehen, ihre Affairen zu haben, ihre Liebhaber sogar als unsere Untermieter ins Haus zu holen, und das dann auch noch zu zweit. Doch die Wendung bei Flavia in Rom geht ja ein Stück weiter, und auch Speedy könnte diesen Schritt gehen, alles zu meinem Besten. Um mich wieder freizukriegen. Ich weiß doch nicht, wo sie anklopft und was dieser Mann, bei dem es sich um eine hier nun höhergestellte Persönlichkeit, eine Größe des Regimes handeln muß, dann von Speedy verlangt. Was er ihr für ein Leben bieten könnte. Welchen Aufschwung in ihren Lebensverhältnissen. Raus aus dem Elend an der Seite eines Malers, der keine Bilder verkauft.

      Kapitel 25: Liebe oder Amore

      »Du wirst mich niemals besitzen, niemals in mich eindringen, mich begatten dürfen. Wir werden verheiratet sein, aber ich werde nur mir gehören und den Männern, die mir gefallen, den Männern, denen ich gehören will. Ich werde alle Freiheiten haben und du keine. Nicht als Mann, nur als Künstler wirst du frei bleiben, aber ich werde dich auch in deiner Kunst leiten. Ich verbiete dir von nun an jedes Aktmodell, die einzige Frau, die du in Zukunft nackend wirst sehen dürfen, das werde ich sein, und mich wirst du im Unterschied zu den Maler-Flittchen niemals bekommen. Du wirst mich begehren, doch deine Begierde, sie wird unerfüllt bleiben. Nicht aber die Begierde anderer Männer. Andere werden mich haben können, andern Männern werde ich mich hingeben, dir niemals. Du wirst sehr nett zu den Männern sein, die mich in unserem Ehebett an deiner Stelle begatten werden, lieben werden, besitzen werden. Nett und zuvorkommend und immer höflich, und wenn ich’s dir sage, dann wird es deine Aufgabe sein, deine Ehepflicht, mir den Mann ins Bett zu bringen, den ich haben will, mich mit dem Mann zu verkuppeln, den ich dir bezeichne, und du wirst dich eifrig ins Zeug legen, mich dem Manne nahezubringen, die Wege dazu zu bereiten. Du wirst den Männern sagen, die wir neu kennenlernen, daß sie mich, deine Frau, haben können, daß unsere Ehe da keinerlei Hindernis darstelle. Du wirst mich ihnen anbieten, wirst ihnen meine Vorzüge preisen, sie auf meine Reize aufmerksam machen. Du wirst ihnen sagen, wie gut ich im Bett sei, und wirst doch selber nie wissen, wie gut ich wirklich im Bett bin, wirst es nie erfahren. Ich werde eine Hure sein, aber eine mit Geist, mit Köpfchen, eine Hetäre. Keine für die schnelle Nummer. Eine Maitresse, die Geliebte interessanter Männer und die Geliebte jüngerer Männer, und du, mein Mann, wirst mein Begleiter sein bei meinen erotischen Abenteuern, wirst mein Beschützer sein, mein Kuppler, mein Zuhälter. Aber natürlich wird es nicht um Geld gehen, auch dann nicht, wenn wir die finanzielle Großzügigkeit meiner Liebhaber natürlich in Rechnung stellen, sie wie selbstverständlich erwarten werden. Ich werde gut gekleidet sein, werde ein Budget für meine Sonderwünsche haben, aber es wird auch noch etwas für die laufenden Kosten abfallen. Wir werden eine gemeinsame Haushaltskasse führen, und du wirst einen festgelegten Prozentsatz von deinen Bilderverkäufen dort einzahlen. Du wirst es gut bei mir haben, du wirst glücklich sein, an meiner Seite leben zu dürfen, du wirst stolz sein auf deine Frau und jeden ihrer Erfolge, jede ihrer Eroberungen. Bevor wir heiraten aber, wirst du Benimm lernen müssen, die guten Manieren, wirst du lernen, wie man sich einer Dame gegenüber verhält. Es sind die simpelsten Regeln, die du nicht beherrschst, das 1 × 1 des guten Betragens, es ist der Sinn für die kleinen Aufmerksamkeiten, die einer Dame gebühren, den du entwickeln mußt. Und du wirst die Achtung lernen müssen, die Achtung vor den Männern, mit denen ich schlafen werde, die höflichen Umgangsformen auch in dieser, zugegeben sicher nicht einfachen Situation. Du wirst dich ein bißchen mit Hierarchiedenken vertraut machen müssen, den trotzigen Rebellen weglassen. Und das wird dir guttun, glaub es mir.«

      Und ich glaubte ihr, wollte ihr um alles in der Welt glauben. Aber natürlich war ich mir auch nicht sicher, konnte ich mir nicht sicher sein, ob Speedy vielleicht nicht mit mir nur spielte und gar dem perversen Herrn Schlechter einen Gefallen tun wollte, so wie sie es schon einmal getan hatte mit meinem Fetisch, meinen Knöpfstiefeln. Oder daß sie so redete, mir die Ehe mit ihr, eine solche Ehe mit ihr aus einer bloßen Laune heraus in Aussicht stellte, ob das vielleicht nicht nur eine aus dem Moment geborene Kaprice war und mehr nicht. Aber die Zeit, darüber nachzudenken, meinen unsicheren Gefühlen nachzuspüren, die hatte ich nicht, die ließ mir Speedy nicht. Sie sagte: »Du bist also mit allem einverstanden«, und ob dies nun eine Frage war oder eine Feststellung von ihr, das ließ sich nicht von mir feststellen, nicht unterscheiden. Ich nickte, natürlich nickte ich. Ich hätte zu allem Ja gesagt, um diese Frau nicht zu verlieren und damit sie nicht das Interesse an mir verlor, und hätte ich hier Nein geantwortet, dessen bin ich mir sicher, sie wäre sofort aufgestanden und hätte mich und, ohne sich noch einmal umzudrehen, das Lokal verlassen. Noch nicht einmal eine vage bleibende Reaktion, ein Vielleicht hätte mich davor bewahrt. Und sie hätte vollkommen damit recht gehabt, ich wäre ihrer nicht würdig gewesen. Also nickte ich, und in meinem Nicken lag mein ganzes Einverständnis, und sie wußte es sicher. Doch ehe ich überhaupt wieder zu mir kam, sagte sie schon den nächsten Satz, und dieser Satz, er hatte es in sich, er nahm mir den Atem, er ließ mich erschauern. »Damit also«, sagte sie, »sind wir verlobt.« Sie meinte es ernst, sie meinte es wirklich, diese Ehe war kein Spiel für sie. Ich jubilierte innerlich und hatte doch das Gefühl, als fiele ich ins Bodenlose. Und dann griff sie nach ihrer kleinen Handtasche, öffnete sie und holte aus ihr ein noch kleineres, mit Samt beschlagenes Kästchen hervor. Und sie öffnete feierlich das Kästchen, und in dem Kästchen lagen zwei Ringe, zwei goldene Ringe. »Unsere Verlobungsringe«, sagte Speedy, und ich muß sie wohl vollkommen fassungslos und ungläubig angestarrt haben, als sie das sagte. Sie hatte gewußt, daß ich Ja sagen, daß ich all ihren Absichten zustimmen würde, sie hatte fest damit gerechnet, sie hatte schon Fakten geschaffen, hatte in ihrer so sicheren Selbstsicherheit die Verlobungsringe schon gekauft. Und dann nahm sie die beiden


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