Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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und ich werde bei ihm sicher ein paar Stunden verbringen. Ich werde mit ihm ins Bett gehen, werde sicher meinen Spaß mit ihm haben.« Das war’s, natürlich war es das, konnte es nichts anderes sein, genau das, nichts anderes war zu erwarten gewesen, genau dem hatte ich eine Stunde zuvor zugestimmt, und natürlich hatte diese Frau, die da neben mir ging, alles Recht der Welt, sich dessen auch sicher sein zu wollen, ob ich auch fähig wäre, das hinzunehmen, was sie mir angekündigt hatte. »Du verlangst also«, sagte ich, und ich sagte es mit tonloser Stimme, vollkommen ohne alle Emotionen, wie erstorben in meinen Gefühlen, »du verlangst von deinem zukünftigen Ehemann, er solle dich bis zur Haustür deines Liebhabers bringen.« »Du hast es erfaßt, fast erfaßt«, erwiderte Speedy lachend, und zum erstenmal eigentlich an diesem ganzen Abend lachte sie, lachte sie ihr aufreizendes Lachen, »aber was ich von dir verlange, das geht noch ein ganz kleines Stück weiter. Du wirst mich nicht nur bis zu seiner Haustür begleiten, du wirst mich die Treppen zu seiner Wohnung hochbringen, du wirst mich bei ihm abliefern und uns beiden ganz lieb und artig wünschen, noch einen schönen Abend miteinander zu verbringen, und wenn du das nicht tust, dann scheiden sich hier schon unsere Wege, und wir sehen uns niemals wieder.«

      Kapitel 28: Der Unbekannte

      »Darf ich erfahren, wer dieser Mann ist?«

      »Laß dich überraschen. Du kennst ihn.«

      Diese Auskunft war alles andere als beruhigend für mich, das machte die Sache nur noch peinlicher, beschämender – was für eine Erniedrigung stand mir bevor: Speedy, die sich eben mit mir verlobt hatte, bei einem Mann abzuliefern, den ich kannte, sie für eine Liebesnacht bei einem Mann abzuliefern, der also auch mich kennen mußte, der dann also auch um die Verbindung zwischen mir und Speedy wissen mußte und von ihr dann obendrein dann womöglich auch erfahren würde, daß sie sich gerade mit mir verlobt habe, daß sie mich heiraten wolle. Ich würde da nicht nur als schon einmal prophylaktisch gehörnter Ehemann vor der Tür dieses Mannes, des Liebhabers meiner zukünftigen Frau, stehen, ich müßte auch damit rechnen, daß am Tag danach die ganze Stadt wissen würde, wozu mich meine Zukünftige genötigt hatte, jedenfalls der Teil der Stadt, für die der Maler Schlechter kein ganz unbekannter war, meine Freunde und Bekannten und, nicht zu vergessen, die vielen Feinde, die Neider, die ich natürlich auch hatte – ich fürchtete den Skandal, die Blamage, das Gerücht und daß sich viele fragen würden, was mit diesem undurchsichtigen Schlechter los sei, der von links immer mehr nach politisch rechts wanderte, und das in seinen merkwürdigen Knöpfschuhen, die nun auch diese Speedy trug, mit der er zusammenzugehören schien, das wußte ich doch, und so eine Geschichte, die war vielleicht das letzte Puzzleteil, das noch fehlte, um mich für immer und ewig in diesen Kreisen unmöglich zu machen, die doch die Kreise waren, zu denen ich gehörte, in denen ich lebte, die mich als Künstler in meiner immer prekären Existenz auch trugen. Fieberhaft also, aber natürlich, weil so fieberhaft, erst einmal vergeblich suchte ich in meinem dafür nicht eingerichteten Kopf die Adressen meiner Freunde und Bekannten durch: wer von ihnen wohnte nur in dieser Gegend? Mir fiel niemand ein. Man traf sich doch damals auch mehr in Cafés als zu Hause in der eigenen Wohnung. Mir wollte aber wohl auch keiner einfallen. Aus Furcht, daß mir jemand einfiele, den alle kennen, der in diesen Kreisen und damit auch eine öffentlich bekannte Figur wäre, was mich noch mehr desavouiert und unmöglich gemacht hätte. Völlige Leere im Kopf, zuerst jedenfalls, und das wohl, weil ich da suchte, wo bei mir nichts zu finden war, in meinem ganz privaten und damit sehr lückenhaften Adressenverzeichnis. Aber mit einemmal machte es Klack, und plötzlich hatte ich einen Namen im Kopf, ich hatte sogar zwei, zwei Kandidaten dafür, wer Speedys Liebhaber sein könnte, und beides waren das Männer, die durchaus in dieser Gegend ihr Zuhause, ihre Wohnung haben konnten, in dieser feineren Gegend, wo man ein bißchen Geld brauchte, um sich eine Wohnung zu mieten. Und es waren beides Männer mit einem Namen und damit genau das, was ich fürchtete – aber ich kenne das doch von mir, daß ich mich auf einen mir bevorstehenden Schlag dadurch wenigstens ein bißchen vorzubereiten suche, der schlimmstmöglichen Variante ins Auge zu blicken, sie mir auszumalen, in der Hoffnung, es komme dann vielleicht doch nicht so schlimm, in der Absicht, mich innerlich ein bißchen ducken zu können. Auch wenn es in einem solchen Moment vielleicht so aussieht, als wäre ich mutig, als wäre ich ein Kämpfer – ich bin alles andere als das, und es ist die Feigheit, die pure Angst, der Wunsch, mich zu schützen, was mich in so zugespitzter Situation dazu bringt, scheinbar mutig zu agieren, mit offenem Visier. Ich komme aus der Deckung heraus, um dann besser in Deckung gehen zu können, mehr nicht. Und also sagte ich mit einem Seitenblick auf Speedy, und ich sagte es ganz spontan, ohne weiter zu überlegen, von Panik ergriffen: »Ernst von Salomon.« Und Speedy lachte, als sie diesen Namen hörte. »Du meinst ernsthaft, wir beide gehen zu Ernst von Salomon?« In ihr Lachen hinein nannte ich den zweiten Namen: »Henri Guilbeaux.« Und dieser Name, er ließ sie nur noch mehr lachen. »An wen du alles denkst … «

      Kapitel 29: Die Kandidaten

      An diesen Henri Guilbeaux hatte ich als erstes gedacht, dann erst als zweites an Ernst von Salomon, nachdem ich meinen ersten Kandidaten als zu links für Speedy verworfen hatte. Von beiden wußte ich, daß Speedy sie kannte, mit beiden hatte ich sie bei meinem Bruder im Lokal im Gespräch gesehen, im vertrauten Gespräch, wie es mir schien, aber in meines Bruders Schlechter traf sich alle Welt, das ganze Berliner Künstlervölkchen plus intellektuellem Anhang, weshalb das ja auch für mich immer eine gute Basis war für meine Unternehmungen, dieses brüderliche Künstlerlokal. Bei beiden hatte ich es für möglich gehalten, daß Speedy mit ihnen etwas gehabt hatte. Guilbeaux lag näher, weil sie ihn aus Genf kannte, aus Genf, wo Speedy herkommt, wo sie aufgewachsen ist, und an Guilbeaux hatte ich vielleicht auch als ersten gedacht, weil Guilbeaux nicht ganz so schlimm gewesen wäre, denn Guilbeaux, Guilbeaux war eine Nummer kleiner, war nicht ganz so bekannt wie Ernst von Salomon, den in Berlin doch jeder kannte, der immer wieder doch auch in der Zeitung stand. Guilbeaux war Franzose, war Anarchist, ein Salon-Anarchist, niemand, der Bomben warf oder Höllenmaschinen konstruierte. Guilbeaux war ein Literat, er hatte in Paris kurz vor Ausbruch des Krieges eine Anthologie deutscher Lyrik herausgegeben, von Nietzsche bis zur Gegenwart, und Guilbeaux war Pazifist, Guilbeaux war bei Ausbruch des Weltkrieges aus Frankreich weggegangen, war nach Genf emigriert, aber das war noch ein bißchen früh für Speedy, die in der Zeit ja noch ein pubertierendes Mädchen war. Sie war Guilbeaux in Genf erst später begegnet, als er dort für die Sowjets beim Völkerbund tätig war, allerdings publizistisch nur, nicht als Diplomat. Und als Mann, der einen gewissen Nimbus hatte, weil er in Frankreich während des Krieges als Vaterlandsverräter gesehen, sogar wegen Einverständnisses mit dem Feind verurteilt worden war – einfach, weil er nicht mitmachen wollte im Krieg gegen Deutschland und die deutsche Lyrik, und zu einem solchen Irrsinn, einen so harmlosen Mann anzuklagen und zu verurteilen, dazu ist sicher erst unser glorreiches Jahrhundert fähig, unsere schöne, garstige Epoche, die es fertigbringt, einen noch viel harmloseren Maler wie mich wegen unnationalsozialistischer Lebensweise, wegen meiner angeblich unnationalsozialistischen Lebensweise hinter Gitter zu bringen. Und Guilbeaux hatte dann auch wirklich ein paar Monate gesessen, nach seiner Rückkehr nach Frankreich, 1924, nachdem der Krieg doch schon ein paar Jährchen her war – gut, sie haben ihn bald wieder amnestiert, aber Knast bleibt Knast, und Guilbeaux, die zarte, pazifistische Seele, blieb davon gezeichnet, ein Frankreichhasser und deshalb wohl den Russen so lange treu, selbst als der Genosse Stalin kam, den er interessanterweise nicht für einen Kommunisten hielt, sondern für einen Nationalsozialisten, ohne ihm dies aber zum Vorwurf zu machen – klar, daß das dann so gut wie niemand mehr nachvollziehen konnte. Und irgendwann meinte er sogar, daß Lenin kein Kommunist gewesen sei, sondern der erste große Führer des erwachenden Asiens. Ein einsamer Mann, gewitzt und angriffslustig. Ich habe ihn gemalt, habe sein Portrait gemalt. Aber das war später.

      Ich habe auch Ernst von Salomon gemalt, der ein anderes Kaliber war und ein wirklich gefährlicher Mann, wegen Beihilfe zur Ermordung von Walther Rathenau zu fünf Jahren Haft verurteilt, Mitglied der Organisation Consul – Salomon stellte das Mordauto zur Verfügung, und er wußte, was er tat. Auch er also ein Knastrologe – was für ein Jahrhundert. Ein brillanter Kopf, sehr wendig: erst Attentäter, später Schriftsteller, mit Ernst Jünger befreundet und über Ernst Jünger also auch mit mir zumindest gut bekannt. Einer


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