Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


Скачать книгу
Politik, aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Soweit ich weiß, schreibt er jetzt Drehbücher. Und er sah gut aus – es gibt ein Foto von uns dreien zusammen: Speedy in der Mitte mit übereinandergeschlagenen Beinen, ihre fast bis zu den Knien reichenden Knöpfstiefel glänzen, auf der linken Seite, eng an sie geschmiegt, Ernst von Salomon, seinen Kopf an den ihren gedrückt, die ihm etwas auszuweichen scheint, auf der andern Seite ich, verdruckst, unsicher, aufgeschwemmt und häßlich wie immer. Salomon dagegen – was für ein Mann! Was für ein Kopf, was für ein Schädel! Speedy hatte das Foto jahrelang auf ihrem kleinen Schreibtisch stehen, und immer, wenn ich es sah, war ich eigentlich sicher, daß sie mit ihm im Bett war, im Bett gewesen sein muß. Ich glaube das auch heute noch – die Frage ist nur: ob sie’s vor meiner Zeit war oder auch danach noch? Ich weiß es nicht, werde es nie erfahren. Ich hab es verpatzt, denn Speedy kommentierte das, als ich den Namen Ernst von Salomon nannte, dann damit, daß sie mich kalt lächelnd fragte, ob ich denn glaube, daß sie es aufregend finden könnte, mit einem Mörder zu schlafen. Ich aber war so dumm einzuwenden, Salomon sei kein Mörder, worauf Speedy höhnisch sagte, er sei zwar an einem Mordkomplott beteiligt gewesen, er sei ein Verschwörer, doch natürlich mache das einen gewaltigen Unterschied, daß er dann aber selbst nicht auf Rathenau geschossen habe – sie hatte natürlich recht, daß das Quatsch war mit meiner Unterscheidung, besonders bei Salomon, der ja nicht naiv da irgendwo reingerutscht war, der genau wußte, worauf die Organisation Consul zielte, trotzdem aber würde ich da doch differenzieren, denn bevor das einer nicht wirklich tut, einen andern Menschen zu ermorden, weiß man ja nicht, ob er’s denn wirklich tun wird, auch der weiß es nicht, der sich das vorgenommen hat, vielleicht schreckt er im letzten Moment ja doch vor der Bluttat zurück, und Rathenau zu erschießen, der ungeschützt in seinem offenen Wagen die Königsallee entlangchauffiert wurde, das war natürlich feige und so anständig und geradlinig also nicht, wie ich es diesen Leuten wie Salomon gern nachgesagt hätte. »Nicht, daß es mir um den Juden Rathenau schade wäre«, sagte Speedy, und das war so nonchalant gesagt, daß es mir aufstieß, daß ich sie einen Moment lang richtig haßte, und noch ein bißchen mehr war sie mir zuwider, als sie, meine entsetzte Reaktion bemerkend, sagte, wir von der Linken hätten doch damals sicher auch unsere Listen fertig gehabt, wer bei unserer Machtübernahme gleich mal erschossen werden solle – ich hatte diese Liste nicht, und wenn, dann hätte ich da wahrscheinlich als unsicherer, perverser Kantonist auch mit draufgestanden, wenn auch auf der Liste der am zweiten Tag zu erschießenden. Aber der Vorwurf, er stimmte natürlich, und das ärgerte mich nur um so mehr, und ich verfluchte mich, daß ich mit ihr nun in dieser Situation, wo es doch um etwas ganz anderes ging, um unser Liebesleben, um die Bedingungen unserer Ehe, politisch zu diskutieren angefangen hatte, über Mord und Mord und Mord als Mittel im politischen Kampf und dann noch über den Juden Rathenau, der mir zwar nicht als Jude widerlich war, aber als reicher Bubifax, als jemand, der mit dem goldenen Löffel im Mund groß geworden war und über den ich mich dann noch einmal mehr innerlich aufregen mußte, weil ich das eigentlich ganz vernünftig fand, was er als Außenminister für Deutschland in der verfahrenen Situation nach dem verlorenen Krieg getan hat – wofür ich mich aber jetzt noch verfluche, das ist, daß ich aufgrund meines blöden Einwands, Salomon sei kein Mörder gewesen, nie erfahren habe, ob Speedy das nicht vielleicht doch aufregend hätte finden können, mit so einem Mann zu schlafen, mit einem Mörder, oder Fast-Mörder – hätte ich auf ihre Frage geantwortet: Ja, das könne ich mir vorstellen, ich wüßte es jetzt vielleicht und müßte nicht darüber spekulieren, ob sie mit Salomon geschlafen hat, mit ihm im Bett war. Und wenn sie mit ihm im Bett war, dann hat sie sich natürlich auch von ihm beschlafen lassen – wozu eigentlich diese selbstverständliche Bemerkung? Wohl nur, um mir noch einen Satz länger vorstellen zu können, sie hätte es, sie hätte mit ihm geschlafen, sich von ihm beschlafen lassen. Hat sie oder hat sie nicht? Diese Frage blieb also offen und unbeantwortet, und während ich dann später das Portrait von Solomon malte, ging sie mir die ganze Zeit im Kopf herum, diese verdammte Frage. Natürlich hat sie.

      Kapitel 30:?

      »Du solltest deine Spekulationen seinlassen, sie führen zu nichts.«

      Da war ich mir nicht so sicher, und ich sagte das Speedy auch, daß ich mir da so sicher nicht wäre.

      Darauf Speedy, sehr entschieden im Ton:

      »Dann behalte sie für dich, deine nutzlosen Spekulationen, sie interessieren hier nicht.«

      Und als sie das sagte, bekam ich nur ein verzweifeltes Aber heraus, auf das drei vielsagende Punkte folgen müßten, denn Speedy schnitt mir einfach meinen Satz mit der Bemerkung ab:

      »Du mußt lernen zu schweigen.«

      Ich nahm es hin, ich protestierte nicht, ich schwieg. Ich ließ es zu, so barsch von ihr zurechtgewiesen zu werden, ließ es mit mir geschehen, wußte ich doch, warum sie dies tat: sie wollte nicht, daß wir diese für uns beide so wichtigen Momente mit Geschwätz ausfüllten, mit Geschwätz unkenntlich machen, sie wollte zusammen mit mir diese für uns beide als Paar so entscheidende Situation im vollsten Bewußtsein erleben, und sie wollte, daß ich sie spüre, ihre Macht, daß ich sie fühle, mit aller Macht fühle, die Erniedrigung, der ich mich aussetzte, der ich mich durch sie ausgesetzt sah. Daß ich sie voll und ganz auskoste. Und sie tat gut daran. Der Geschmack war bitter, der Geschmack war herb, der Geschmack war süß.

      Abrupt und völlig unerwartet für mich stoppte sie, hielt sie plötzlich an und machte auf dem Absatz kehrt, und hier stimmt dieser Ausdruck auf dem Absatz kehrt wirklich, denn Speedy trug an diesem besagten Abend Absätze unter ihren Schuhen, Absätze, die sie ein Stück weit größer machten als mich kleinen, zu kleinen, etwas zu klein geratenen und auch als Mann zu klein geratenen Mann – leider nicht das Paar Knöpfstiefel an diesem Abend, der doch der unserer Verlobung war, aber schließlich hatte sie nach unserer kleinen Feier noch etwas anderes vor und nicht mir, sondern einem anderen Mann zu gefallen. Ich war so wenig auf diese plötzliche Kehrtwendung gefaßt, daß ich erst noch ein paar Schritte weiter und damit wie ins Leere lief, bevor ich zum Stehen kam, um ihr dann hinterherzustolpern. »Was hast du, was ist?« fragte ich sie unbeholfen, als ich dann wieder an ihrer Seite war, sie aber legte nur ihren Zeigefinger auf den Mund, mir zu schweigen gebietend, und nachdem wir schweigend dann ein paar hundert Meter nebeneinanderher marschiert waren und sie dann wieder stoppte, an einem Haus stoppte, an dem wir vorhin schon einmal vorübergelaufen waren, glaubte ich zu verstehen, was dieses ganze Manöver eigentlich sollte und bezweckte: wegen meinem Gequatsche war sie an dem Haus vorbeigegangen, das ihr Ziel war, an dem Haus, wo ihr Liebhaber wohnte, weil sie mich still haben wollte, schweigend und im Schweigen fähig zu erfassen, was wir hier beide an unserem Verlobungsabend taten beziehungsweise was sie mit mir hier veranstaltete, wozu sie mich zwang. Ich sollte es erleben, erleiden, voller Bewußtsein erfassen – grausame Speedy, wunderbare Speedy. Soviel wirklich Bedeutsames bietet das Leben doch nicht, und meist wissen wir’s erst im nachhinein, daß wir etwas schicksalhaft Bedeutsames erlebt haben, spüren es nicht in dem Moment, wo es uns geschieht.

      »Wir sind angekommen«, sagte Speedy und sah mich eindringlich an.

      »Ja«, sagte ich mit tonloser Stimme, »wir sind also angekommen.«

      »Ja, wir sind angekommen«, sagte Speedy und lächelte für einen kurzen Moment, »du hast mich tapfer bis zu seiner Haustür begleitet, aber du weißt ja, deine Aufgabe ist noch nicht beendet. Du wirst mich jetzt noch zu seiner Wohnung hochbringen, du wirst es sein, der an der von mir bezeichneten Tür klingelt, und dort dann wirst du den Namen desjenigen Mannes lesen können, dem du mich an diesem Abend überläßt, und du wirst mich ihm dann ganz lieb und artig übergeben, uns beiden sehr, sehr höflich eine schöne Zeit zusammen wünschen. Ich beabsichtige, die Nacht mit diesem Mann zu verbringen, und so ist das auch zwischen ihm und mir verabredet. Es hat also keinen Zweck hier vor der Haustür zu warten. Die Nacht ist zu kalt, du würdest dir den Tod holen – ist das klar, hast du das alles verstanden?«

      Ich nickte, ich sagte atemlos: »Ja.«

      Speedy sah mich prüfend an, und nach einem Moment des Schweigens sprach sie weiter und sagte: »Du kannst jetzt noch wegrennen, aber du weißt, was dies bedeutet, dann sehen wir uns niemals mehr wieder.«

      Ich blieb. Ich blieb stehen,


Скачать книгу