Speedy – Skizzen. Florian Havemann
daß sie es ist, die sich mit mir verlobt habe, die mich heiraten würde. Nicht ich, der Mann, war es, sie die Frau, war es, die mir gegen alle Regeln normaler Bürgerlichkeit einen Antrag gemacht, mir die Ehe versprochen hatte.
Kapitel 26: Verliebt, verlobt, ver …
Dieses Gespräch zweier Liebesleute, zwischen Speedy und mir, es fand statt in einem feinen Restaurant in der Nähe des Kudamms, in einem so feinen, daß mir, dem zwar nicht mehr ganz so armen, doch aber auch nicht nun mit einemmal reichen Maler, da schon ein bißchen schwummerig wurde, als Speedy mich dort hineingezogen hatte. Ich gebe es zu, so glücklich ich war, diese wunderbare Frau an meiner Seite zu haben, sie ausführen zu können, ich dachte auch, kleinlich, wie ich nun mal bin, an die verdammte Rechnung am Ende, denn natürlich ging ich wie selbstverständlich davon aus, daß ich sie begleichen, bezahlen müsse – also soviel Manieren hatte ich doch, da konnte Speedy mir nicht mit ihren Vorhaltungen kommen. Um so erstaunter war ich, daß es Speedy war, die dann, nachdem wir teuer und für viel Geld gegessen hatten, nach der Rechnung verlangte, und noch einmal mehr erstaunt, ja, beschämt war ich, daß sie es nicht nur dabei belassen wollte, für uns den Kellner gerufen zu haben, daß sie diese Rechnung dann auch selber bezahlen wollte und davon auch nicht abzubringen war. Sie sagte, jede weitere Diskussion abschneidend, es sei schließlich ihre Idee gewesen, in dieses feine und sündhaft teure Lokal zu gehen. »Und außerdem«, sagte sie, »habe ich grad mal Geld, und eine Verlobungsfeier dürfte für eine Frau von heute ein guter Grund sein, es gleich wieder auszugeben.« Speedy hatte also Geld – aber woher hatte Speedy das Geld? Diese Frage kam mir natürlich sofort in den Sinn, diese Frage beunruhigte mich, diese Frage, sie nahm gleich auch eine andere Gestalt an, sie wurde zu der wirklich beunruhigenden Frage, ob Speedy vielleicht doch mehr war als die nymphomane Frau mit einigem Männerbedarf, mit einigem auch an Männerverschleiß, die ich bisher in ihr vermutet hatte. Sollte sie etwa eine richtige Hure sein, eine Edelnutte? Natürlich kein billiges Flittchen, das war klar, kein Straßenmädchen wie Jenny (reden wir nicht darüber, wer das war, diese Jenny), aber eine Frau, die sich sehr direkt von Männern aushalten und also auch bezahlen ließ – ich mußte es für möglich halten, mußte es sogar für wahrscheinlich halten, denn wovon sonst sollte eine Frau wie Speedy leben und überleben in dieser Stadt. Die paar kleinen Filmrollen, die sie gespielt hatte, konnten doch unmöglich genug abwerfen. Jedenfalls nicht bei ihrem mondänen Lebensstil, bei den Kleidern auch, die sie an ihrem schönen Leibe hatte.
Kapitel 27: Die Nacht
Nachdem wir das Lokal verlassen hatten, wollte Speedy dann noch einen kleinen Spaziergang machen, einen Spaziergang durch die nächtlich dunklen Straßen, und so richtig romantisch wollte mir das bei der winterlichen Kälte nicht vorkommen. Aber Speedy hatte ja einen dicken Pelzmantel an, einen Pelzmantel, den ich an ihr bis zu diesem Tage noch nicht gesehen, den ich ihr so wohl auch gar nicht zugetraut hätte, und das trotz der schicken Kleider, die ich von ihr schon kannte, trotz der teuren Unterwäsche, mit der sie mich um den Verstand gebracht hatte. Aber vielleicht, so kombinierte ich verzweifelt, um den Gedanken an mich nicht heranzulassen, wodurch sie zu diesem wirklich kostbaren Stück gekommen sein mußte, vielleicht, so dachte ich, stammt der ja noch aus Genf, dieser Pelzmantel, und von ihren soviel besseren Schweizer Zeiten her, als sie ihr Luxusleben noch von ihrer Familie finanziert bekam. Und mit diesen idiotischen Gedanken im Kopf lief ich neben der Frau her, die sich gerade mit mir verlobt hatte. Mit dem Gedanken an ihren Pelzmantel, mit den Gedanken, woher sie den wohl nur haben könnte, aber auch mit dem Gedanken, daß das ein bißchen rücksichtslos von ihr war, denn ich, ich hatte keinen Pelzmantel, ich fror, ich fror sogar mächtig in der Berliner Kälte, im schneidigen Wind, der um die Ecken pfiff. Aber ich schwieg still und sagte nichts, und das war auf alle Fälle vernünftiger, als ihr nun gleich mit Vorwürfen zu kommen. Ich schwieg dann aber auch bald deshalb, weil ich das Gefühl hatte, daß Speedy mir noch etwas sagen wollte, zu sagen hatte. Ich spürte es doch, und mein Gespür, es erwies sich als so falsch nicht – nur das, was sie mir dann sagte, darauf wäre ich niemals gekommen. Daß sie mich jetzt einer Prüfung unterziehen werde, sagte sie, einer Probe, einer ersten Probe darauf, ob ich denn das, was ich ihr versprochen habe, auch willig und fähig sei zu leisten. Ich ahnte Schlimmes, wußte aber nicht, worauf sie hinauswollte. Und ich schwieg, ich wagte nicht, sie zu fragen, wovon sie denn rede, was für eine Art von Probe das sein würde, die ich nun jetzt zu bestehen hätte. Und dann fragte sie mich in mein Schweigen hinein, ob ich denn nicht wissen wolle, worin diese Probe bestehe, was sie nun von mir verlange, und natürlich wußte sie ganz genau, daß ich mich danach fragte, fragen mußte, bange und Schlimmes ahnend fragen mußte. Aber durch ihre Frage war es nun an mir zu antworten, und ich nahm alles, was mir in dieser Situation noch an Geisteskraft verblieben war, zusammen, um hier eine Antwort zu finden, die meine Speedy befriedigen könnte, und ich sagte, nicht ohne Stolz in mir wegen dieses geschickten Ausweichmanövers, in einem dreimal verschachtelten Satz, daß ich dies natürlich nur zu gerne wissen wolle, daß ich mir aber sicher sei, sie würde es mich schon wissen lassen, wenn es soweit wäre, daß ich’s wissen müßte. Speedy gefiel die Antwort, zum Glück gefiel sie ihr, und sie sagte voller Anerkennung, dies sei eine wirklich gute Antwort von mir, diese Antwort nämlich, sie zeuge von dem blinden Vertrauen, das ich in sie haben müsse. Und dann sagte sie, als wolle sie mir keinerlei Verschnaufpause gönnen, daß die Zeit, wo ich es wissen müsse, worin denn die Prüfung bestehe, die sie mir auferlegen wolle, nun gekommen sei. Und danach dann mußte ich an sie also doch diese Frage richten, die ich so gerne vermieden hätte, ich fragte, und ich fragte es mit einem leichten Stottern, das sich nicht vermeiden ließ, mit einem Zittern in der Stimme, das meine Anspannung verriet: »Was ist es, was du von mir verlangst?« Und Speedy antwortete. »Du tust es schon, was ich von dir verlange«, und diese Antwort verstand ich natürlich nicht, und ich verstand auch nicht sehr viel mehr, als sie dem noch hinzufügte: »Du begleitest mich.« Ich ging neben ihr her, und wenn sie das so wollte, konnte sie dies auch so nennen, daß ich sie begleitete, aber eigentlich doch hatte ich, bis zu diesem Moment jedenfalls, angenommen, wir gingen da beide zusammen einen nächtlichen Spaziergang machen, aber natürlich machte ich diesen Unterschied nicht geltend und verkniff mir jede Bemerkung in dieser Richtung. Ich schwieg nur wieder, schwieg nur wieder vor mich hin und verlangte von ihr nicht, daß sie sich deutlicher erkläre und auch ein bißchen verständlicher für mich artikuliere. Ich wartete, und auch Speedy wartete und genoß wohl die Anspannung, in die sie mich versetzt hatte, in der sie mich wußte, und dann, ganz ruhig, sagte sie: »Du wirst mich noch ein Stück weiter begleiten, unser gemeinsamer Weg ist nicht mehr lang«, und auch das blieb eigentlich nicht weniger kryptisch und sollte es wohl auch für mich sein. Sie war ein Biest, ein ganz schlimmes Biest, sie war mir so haushoch überlegen, und sie ließ es mich spüren, und sie wußte, auch wenn ich sie in dem Moment nicht dafür lieben würde, wie sie mich behandelte, im nachhinein der Erinnerung daran würde ich es, würde ich es sicher. Und sie sollte recht behalten, im nachhinein liebte ich sie dafür, und jetzt, nach langer Zeit wieder daran zurückdenkend, liebe ich sie auch deswegen – aber ich habe ja diese Prüfung auch bestanden, die sie mir damals auferlegt hat. Ohne das würde ich sie hassen und ganz besonders für diesen Tag unserer Verlobung hassen, für eine Verlobung, aus der dann doch nichts weiter geworden wäre, nichts hätte werden können, keine Ehe jedenfalls – ein Verbrechen vielleicht hätte da noch folgen können, und ich, ich wäre der Verbrecher gewesen und sie das Opfer. Den Lustmord, den hatte ich doch oft gemalt, die Lust zu morden in mir deutlich schon verspürt.
Und dann sprach sie, wie in Gedanken versunken, wie zu sich selbst, und fügte dem wenigen, das sie mich schon hatte wissen lassen, das hinzu, was ich doch selber ahnen konnte. »Vielleicht aber«, sagte sie, »wirst du davonrennen, wenn du erfährst, wohin wir beide als frisch Verlobte gehen, vielleicht wirst du dich dieser Aufgabe doch nicht gewachsen sehen, vielleicht bist du meiner nicht würdig, und dann wird das natürlich nichts mit unserer Ehe, unserer Hochzeit.« Ja, vielleicht, und vielleicht würde ich wirklich weg- und auf und davon rennen – ich mußte es für möglich halten, konnte es in mir erzitternd nicht ausschließen, und daß dann aus unserer Ehe nichts würde werden können, das war klar und wahr von ihr gesprochen. Jede Liebe, ich wußte es doch, jede Liebe muß einer Prüfung standhalten, jede, und also nahm ich feiger Hund all meinen Mut zusammen und fragte Speedy: »Wohin gehen wir?«,