Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Speedy in der spannungsgeladenen Stille auf ihn zuging und ihm einen Kuß gab, sich an ihn schmiegte, sich richtig von ihm küssen ließ, und das direkt vor meinen Augen, noch nicht mal einen Meter von mir entfernt. Demonstrativ, wie ich annahm, und vielleicht auch nur deshalb annahm, weil der Gedanke zu schmerzlich war, es könne ihr egal sein, ob ich dabeistehe und ihr zusehe, wie sie sich mit ihm küßt und abknutscht, egal, was ich dabei empfinde. Und dann war es Speedy, die die Plätze verteilte, indem sie sich mit ihrem Geliebten Masseck zusammen auf das Sofa setzte, händchenhaltend, und mir blieb nur der tiefe Sessel ihnen gegenüber, in dem ich versank und versackte und wo ich mich dann nur lächerlich gemacht hätte bei dem Versuch, mich empört zu erheben. Kraftlos, elend, abgewrackt. Eine Masse dumpf vor sich hin brütenden Fleisches. Der dickliche Herr Schlechter und Masseck dagegen jung und agil, und verdammt gut sah er aus und nach ihrem Begrüßungskuß und mit Speedy an seiner Seite obenauf und seiner selbst, seines Erfolges sicher. Wie hinter einem Schleier nur nahm ich es wahr, was Speedy dann zu ihrem Masseck sagte und so klang, als würde sie eine Regierungserklärung abgeben. »Ich habe heute«, sagte sie, »die wahrscheinlich größte Dummheit meines Lebens begangen, ich habe mich verlobt, habe meinem Schlechter die Ehe versprochen.« Das traf, das mit der Dummheit, der größten Dummheit, das also war das für sie, unsere Verlobung, unser Eheversprechen – ich glaube, ich habe ihr vieles verziehen, was danach noch kam, das aber nicht, darüber hinweggekommen, das bin ich nie, das bleibt. Und sie sagte es meinem Feind, und mein Feind würde es in alle Welt hinausposaunen, tout Berlin würde von dieser Verlobung als einer Dummheit erfahren – so nahm ich an, und das mußte ich doch auch annehmen, ganz unabhängig davon, ob Masseck das vorhatte, unabhängig auch davon, ob er diese Nachricht unserer Verlobung dann auch so verbreitet hat, als die größte Dummheit im Leben von Frau Elfriede Elisabeth Koehler. Und das mit einem abgefeimten Grinsen im Gesicht und dem Hinweis darauf, daß er diesem armen Toren Schlechter schon vor dem Tage der Hochzeit ein paar Hörner aufgesetzt habe – er, der dann auch bei unserer Eheschließung noch als Trauzeuge fungierte. Und ich, ich habe mich dagegen nicht gewehrt, habe es nicht verhindert und hätte es vielleicht doch tun können, hätte wenigstens Widerstand leisten müssen. Aber er war ja so nett, so artig und wohlerzogen, so weltgewandt, er gratulierte Speedy zu ihrer Dummheit, gratulierte uns beiden zu diesem Entschluß und tat so, als könnten wir beiden nur aus einem einzigen Grund an diesem Abend zu ihm gekommen sein, um ihn zu fragen, ihn zu bitten, unser Trauzeuge zu sein – perfide, ein durchtriebener Hund, dieser Masseck. Er stellte doch wirklich die Frage, ob wir denn einen Trauzeugen suchen würden, er stehe gern dafür bereit, und Speedy fand das natürlich sofort eine wunderbare Idee und sagte triumphierend: »Einen Trauzeugen haben wir also schon mal, den, den ich mitbringe.« Und dann fragte sie mich noch im gleichen Atemzug, wen ich denn nun meinerseits als Trauzeugen benennen wolle. Von ihr in die Enge getrieben, so fühlte ich mich, bloßgestellt durch sie und unter dem Zwang, mich sofort zu äußern, zu erklären, und ich Idiot, ich tat es auch und murmelte etwas davon, daß ich meinen Freund George Grosz bitten würde. Darauf Speedy, fast beleidigend im Ton: »Deinen Abgott Grosz? Das wird dir nicht guttun, um so mehr wirst du als sein Epigone gelten – aber es sei so, wie du willst.« Das war schlimm, aber es wurde noch schlimmer dadurch, daß mir ausgerechnet Masseck, mein Feind, zur Seite sprang, indem er sagte, dies sei doch dummes Gerede, er habe mich immer als einen eigenständigen Künstler zu schätzen gewußt, und nicht nur er, und es gebe immerhin einige Leute, zu denen er auch gehöre, die mich für den besseren Künstler hielten als diesen Karikaturisten Grosz, denn mehr sei der doch nicht – und das sagte Masseck, der Zeitungsschreiber, der Filmkritiker der BZ am Mittag, auf die es in der Welt der Kunst natürlich so sehr wie überhaupt nicht ankam. So ein Lob, ein Lob aus seinem Munde, das konnte doch nur rufschädigend sein, aber, ich gebe es zu, ich fühlte mich doch geschmeichelt, als er das sagte, ein bißchen gebauchpinselt und um so wehrloser dadurch. Ein Künstler will doch geliebt werden, geachtet wenigstens, und sei es von seinem ärgsten Feind – ich gefühlsduselige Kröte ich. Als ob er mir einen Lutscher in den Mund gesteckt hätte, und ich war’s zufrieden, wollte nur noch Frieden, Frieden auf Erden, Frieden mit Masseck, Frieden mit der BZ am Mittag.

      Speedy unterbrach uns, unterbrach uns brutal.

      »Wir sind nicht dazu hier bei dir, um Komplimente auszutauschen.«

      Masseck keck: »Wozu dann, schöne Braut?«

      Speedys Antwort: »Ich bin katholisch, und wenn ich heirate, dann gehe ich natürlich keusch in die Ehe und ohne vorher mit meinem zukünftigen Ehegemahl geschlafen zu haben.«

      Kapitel 34: Geschichten und Vorgeschichten

      Erstaunlich: ich bin ja eine richtige Plaudertasche, ein Erzählerchen, ich, der schweigsame Schlechter. Maler – rede nicht, bilde! Aber bilde dir darauf nichts ein. Ich wäre gern ein Philosoph geblieben und hätte weiter geschwiegen und meine Blumen des Bösen gemalt, das Portrait des verworfenen, verworrenen 20. Jahrhunderts, aber ich habe einfach zuviel erlebt, das faß ich auf einer Bildfläche nicht, und ich habe zuviel sich ändern gesehen, an mir und in mir an Veränderungen erlebt, als daß ich mich mit dem Statischen des Bildes begnügen könnte, dem Ewigkeitswert. Geschichte und also Geschichten. Und deshalb rede ich, erzähle ich, schreibe ich hier im Gefängnis und ganz unabhängig und also frei von aller Rücksicht darauf, ob das irgend jemanden überhaupt interessieren könnte, was ich zu berichten, zu sagen habe – es muß ja noch nicht mal verständlich sein, für andere nicht, solange ich mich verstehe, und ich merke doch auch, wie mir das Spaß macht, mich so richtig noch einmal hineinzubegeben in das, was ich mit Speedy erlebt habe. Ich seh es alles noch einmal vor mir, erlebe es noch einmal, und es ist so intensiv, so intensiviert durch das Aufschreiben. Real und irreal zugleich, denn natürlich verändert sich’s durch das Aufschreiben, das eben auch ein Weglassen ist und manchmal ein Hinzufügen. Von unbewußten Motiven und Beweggründen – nicht, daß das deshalb Lüge wäre, es wird eher überwahr, mehr als wahr. Man arrangiert, die Dinge klingen plausibler und sind damit nicht mehr nur das, wie man es erlebt hatte im Moment des Erlebens. Eine Geschichte, wie eine Geschichte, und nicht mehr das Leben selbst. Ich weiß doch nicht, wo es hinführt, lebe ich, in der Nachbetrachtung weiß ich, wo’s hingeführt hat, und das beeinflußt die Erinnerung. Das Gedächtnis allein ist es nicht, mehr ein Werk der Erinnerung, des Erinnerns. Des Schaffens von Erinnerung.

      Ich kroch wie ein verletztes Tier in meinen Bau zurück, in mein Atelier, meine Wunden zu lecken. Wie ein geschlagener Krieger vom Schlachtfeld, meine Verletzungen zu pflegen. Das Stehaufmännchen Schlechter, es legte sich ins Bett und jammerte und hörte bald auf zu jammern, lag nur noch benommen wie tot da und wartete und wartete, auf Speedy natürlich, von der ich aber nicht erwartete, sie würde als meine Krankenschwester kommen, als Sanitäterin, sondern als die Täterin, die sie war, deren Opfer ich doch war. Ich wappnete mich für mehr Leid, für weitere Verletzungen, weitergehende Attacken von ihr auf mein Selbstwertgefühl. Und dann kam sie, nach drei im Dämmerzustand verbrachten Tagen, kam sie, klingelte sie an meiner Tür, und ich wußte, daß nur sie es sein könne, die zu mir kommt, niemand anders – ich hatte eben doch keine Freunde. Ich war verloren, war in ihrer Hand. Zu mehr, als zur Tür zu schleichen, ihr taumelnd die Tür aufzumachen, hatte ich nicht die Kraft. Auch nicht dazu, sie richtig anzuschauen, ihr ins Gesicht, in die Augen zu schauen. Ich ging sofort wieder zurück in das Bett, in dem ich diese drei Tage verbracht hatte, und Speedy folgte mir wortlos, Speedy riß die Gardinen auf, Speedy öffnete das Fenster, frische Luft in meine miefige, total verrauchte, aus purer Verzweiflung so verqualmte Bude hereinzulassen, Speedy brachte die überquellenden Aschenbecher in die Küche und kam dann mit einem Glas Wasser zu mir zurück. Sie reichte mir das Glas und stellte mir dabei ihren rechten Fuß auf das Bett, und dann erst sah ich es: sie trug die Knöpfstiefel, die sie mir versprochen, die sie sich für mich und auf meinen Wunsch hin hatte anfertigen lassen. Das Leben hatte mich wieder. Sie hatte mich. Damit war ich wirklich verloren. Gehörte ich ihr. Die verdammten Knöpfstiefel, die wunderschönen Knöpfstiefel, die geliebten, die über alles geliebten, die über alles Menschliche hinaus Knöpfstiefel, mein Fetisch, mein absoluter Fetisch.

      »Wenn wir heiraten«, sagte sie, »werde ich diese Stiefel für dich tragen. Du wirst nur dann keine Braut in Weiß haben, denn dazu passen sie ja nicht. Und ein weißes Brautkleid, es paßt auch sicher nicht zu einer Braut, die nicht mehr so ganz unschuldig und rein in die Ehe


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