Speedy – Skizzen. Florian Havemann
diesen Zusammenhängen hier, Speedy und Masseck privat und Masseck und Massenkultur, Massenunkultur, Babelsberg und Babylon usw., die ganze Zeit im Kopf rumspukt, dieses V-Wort, das ich mir verboten habe zu schreiben und doch schreiben will und irgendwann schreiben muß, um mich von diesem Tabu zu befreien, das ich mir selber auferlegt habe – Selbstzensur, hier? Wozu? Ich möchte die deutsche Frau eine deutsche V-Wort-Frau nennen, und ich möchte, auch wenn ich von Speedys obszön gespreizten Schenkeln dort am pool in Babelsberg schreibe, das V-Wort benutzen, das obszöne, das ordinäre. Das Wort aus der Gosse, den Jargon, aber ich bin wohl zu wohlerzogen. Doch das Ewig-Weibliche, es zieht mich hinab, und ich krieche ihm auf allen Vieren entgegen und robbe mich langsam an das V-Wort heran und flüster ganz leise, damit niemand es hört: Vulva, aber Vulva, das ist es natürlich nicht, und Vagina, Vagina wäre viel zu anatomisch, um hier von mir gemeint sein zu können. Ich schürze mein Mündchen zum Kußmündchen, ich spitze meine Wulstlippen, und fast wäre es mir entfleucht in meiner erregten Begeisterung, das heilige V-Wort, das Verbotene, das Tabu aus der Gosse, du heiliger Bimbam. Diesen Kuß der ganzen Welt und dem, was mir eine Welt bedeutet. Und damit dann doch Schluß für heute. Gleich geht’s Licht aus für heute. Und dann Dunkelheit in der Zelle, Dunkelheit und Nachtgesichte, der Schlaf des bißchens an Vernunft, das ich in mir habe.
Kapitel 37: Pascin
Das war herb, wirklich herb, das muß ich schon sagen, der entscheidende Rückschlag, die erste große und die einzige Ehekrise zwischen Speedy und mir, wo es wirklich auf Spitz und Knopf stand, und es hätte mit uns zu Ende sein können, und das vier Wochen nach der Hochzeit, in direkter Folge unserer Hochzeitsreise – nach Paris, ich wollte ihr doch was bieten und also: alles Geld zusammengekratzt und auch noch Schulden gemacht, bei George, der in den Jahren vorher schon in Paris war, mehrmals und immer begeistert von der Stadt. Aber nach Paris gehen, als Künstler sein Glück in Paris suchen, das war für uns vorbei, für uns beide, für George und mich. Die Hauptstadt der Kunst, das war Paris für uns nicht mehr, die Metropole absoluta – das Zentrum war für uns da, wo wir waren, also Berlin, aber natürlich waren wir auch deshalb in Berlin, weil Berlin Zentrum war, das Zentrum wurde. Unter anderem deshalb, weil Leute wie George und ich dahin gingen und nicht nach Paris und schon gar nicht mehr nach München und damit eigentlich Schwabing. Man muß das halt im Gefühl haben, wo etwas anfängt – wenn überhaupt irgendwo etwas anfängt und nicht wieder mal die Flaute, die geistige, die künstlerische ewiglich sich hinzieht, und man darf dann nicht zu spät kommen, und kommt man als zweiter, in der zweiten Welle an, dann kommt man schon zu spät, und besser wär’s, man wäre in seinem Rheinland geblieben oder sonst wo in der Provinz. Eine Reise wert aber, das war Paris immer noch, nur eben künstlerisch nicht weiter ergiebig, jedenfalls für unsereinen nicht, die wir ja ungefähr wußten, wie das geht, wenn du ein Picasso-Bild malen willst. Aber es gab Pascin, Jules Pascin, und auf Pascin war ich stolz, denn Pascin, das war ja schließlich meine Entdeckung – quasi meine Entdeckung, denn in Paris kannte ihn jeder, und man hätte ihn einen Modemaler nennen können, ohne daß er dabei errötet wäre. Das zahlte sich ja schließlich aus, und du rümpfst sowieso nur so lange die Nase darüber, wie man denn überhaupt als einigermaßen ernstzunehmender Künstler Modemaler werden könne, solange du kein Bankkonto hast und die entsprechenden Einnahmen. Für Berlin war Pascin meine Entdeckung, und wenn ich hier Berlin sage, dann meine ich nicht tout Berlin, sondern rede von den beiden Leuten, auf die es künstlerisch allein in Berlin ankam in dieser Zeit, also von George und mir, und was mich dabei besonders stolz machte, das war, daß ich das zuerst übernahm und George das dann für sich adaptierte, das Pascin’sche Verfahren, und in diesem Falle die Verhältnisse mal umgekehrt waren und ich nicht immer nur der Epigone von George blieb, der kleine Georgione – es war dies das Verfahren von Pascin: erst eine klare Zeichnung, eine Umrißzeichnung, eine Zeichnung in klaren und sauber durchgearbeiteten Umrissen, durchgeformt und dann lavierend mit Aquarellfarben da hinein in diese Zeichnung, mit meist schwachen, an einigen Stellen dann aber doch kräftigen Farben, Akzente setzend, und daß wir sie dann so naß in naß verlaufen ließen, die Farben, das hatten wir auch von ihm, und natürlich hagelte es die Vorwürfe, wir wären harmlos und nett geworden, George und ich. Wir sahen das nicht so, überhaupt nicht, aber daß die harten Klassenkampfzeiten vorbei waren und künstlerisch nicht mehr soviel hergaben, das hätten wir schon zugegeben und dann uns damit verteidigend behauptet, daß wir als Künstler darauf reagieren müssen, wenn sich die Verhältnisse konsolidieren – der Künstler ist ja Barometer, ist ja Seismograph, und ich würde schon sagen, um hier nicht von mir zu reden und mich in ein Selbstlob zu versteigen, daß George in dieser Zeit ein paar sehr starke Blätter zustande gebracht hat, nicht mehr so ätzend und brutal wie früher, aber immer noch boshaft, und mit der bloßen Kritik, der reinen Satire, das erschöpft sich ja irgendwann.
Also Paris wollte ich ihr bieten, meiner Ehefrau, und den Pascin wollte ich ihr bieten, und wahrscheinlich wollte ich das, um ihr auf diese Weise mitzuteilen, daß es für mich neben George noch andere Götter gibt, daß sie nicht einen reinen Adepten geheiratet hatte, sondern jemanden, der künstlerisch auch eigene Wege geht, der sozusagen zu einer international agierenden künstlerischen Avantgarde gehört und da auch anerkannt ist. Denn Pascin hatte von mir gehört, hatte Sachen von mir gesehen, schätzte sie und war nur zu gern bereit, mich und in meiner Begleitung auch die frisch vermählte Frau Schlechter in Paris, in seinem stadtbekannten Studio am Boulevard Clichy zu empfangen. Künstler sind ja meist furchtbare Egomanen, und vielleicht wollte ich Speedy auch das vorführen, daß ich nicht zu dieser Sorte von Kunstschaffenden gehöre, daß ich durchaus zur Kollegialität fähig bin und von gleich zu gleich mit meinesgleichen auch freundschaftlich verkehren kann, und ein bißchen die Fühler nach Paris ausstrecken, wo es ja immer noch ein paar Leute mit richtig Knete gab und wahrscheinlich immer noch gibt, das konnte ja auch nicht falsch sein, und Pascin war da die richtige Adresse, der Mann mit den guten Verbindungen in allerhöchste Kreise, der Mann, der mir da vielleicht ein Entree verschaffen könnte. Also, auf nach Paris, aber meine Pläne, sie gingen noch weiter, und daß sie noch weiter gingen, das war wahrscheinlich der Fehler und deshalb dann dieses Desaster, diese Katastrophe, die beinahe zum raschen und vorzeitigen Ende des Bundes geführt hätte, den doch nur Gott wieder trennen darf. Was ich mir in den Kopf gesetzt hatte, das war, daß Pascin Speedy malt, ihr Portrait und vielleicht ein bißchen mehr von ihr und hoffentlich ein entscheidendes bißchen mehr von ihr, ein Brustbild, mit entblößten Brüsten natürlich oder sie vielleicht sogar ganz und gar nackend, als ein Aktbild, und ich hatte das mit Pascin auch schon in Briefen so besprochen, daß das mein Geschenk für sie sein sollte, mein Geschenk an Speedy zu unserer Eheschließung – daß ich sie male, daß sie mein Modell ist, das war ja klar, und ich hatte Speedy doch auch schon diverse Male gemalt und gezeichnet sowieso, aber ich dachte, sie soll auch ein Bild von sich haben, das von einem anderen Künstler stammt, mit einer andern Sicht auf sie, und ich dachte doch in meinem Künstlerkopf, ein größeres Geschenk könne ich ihr als Maler gar nicht machen. Zumal Speedy doch die Sachen von Pascin mochte, sehr sogar, und das wahrscheinlich, weil sie so etwas mondän waren und eben nicht dieses Kritische hatten wie die von George und mir. Die Alternative zu Pascin wäre einzig Schad gewesen, Christian Schad, der plötzlich, aus Italien kommend, in Berlin auftauchte und diese glatten Oberflächen beherrschte und mit ihnen mächtig Furore machte und auch mich nicht unbeeindruckt ließ. Dieses Bild von dieser Sonja, das war wirklich stark, und wir beide standen neidvoll-neidlos davor, George und ich, und auch Speedy gefiel es, und daß Schad von meiner Speedy ein ebenso gutes und spektakulär gutes Bild malen könnte wie das von Sonja, das schoß mir da sofort durch den Kopf. Jeder kannte Sonja, in Berlin in den entsprechenden Kreisen kannte sie jeder, aber auch meine Speedy war nicht ganz unbekannt, und dieses demonstrative Unbeeindrucktsein beider Frauen, das machte sie beide gleichermaßen zu modernen, zu den in dieser Zeit ganz aktuellen Frauentypen, stark und unnahbar und freundlich, verbindlich zur gleichen Zeit – ein Bild von Schad hätte auch Speedy so zeigen können. Daß ich das nicht malen konnte, Speedy so nicht malen konnte, das war klar, ich war viel zu sehr verbandelt mit ihr, für mich bedeutete sie mehr, sehr viel mehr und einiges andere darüber hinaus auch noch, aber Schad hätte das gekonnt.
Kapitel 38: Schade um Schad
Das Problem mit Schad war, daß er zu gut aussah – nichts dagegen einzuwenden, daß er gut aussah,