Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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alles meine Freunde. Die Zeugen Jehovas zum Beispiel oder alles, was immer noch so rot ist, an den Königreichsaal im Paradies der Werktätigen zu glauben – diese netten Leute, die mich als ihren Abtrünnigen sofort an die Wand stellen würden, könnten sie, hätten sie die Macht. Der Nazi hat mich bis eben doch in Ruhe gelassen, so lange jedenfalls, wie meine unnationalsozialistische Lebensweise nicht so auffiel – gut, es gab diese verdammte Ausstellung mit der entarteten Kunst, aber wenn ich ehrlich bin, die meisten Bilder, die da hingen, die hätte ich doch auch als abartig bezeichnet. L’art, wie es auf Französisch heißt, und wo es art gibt, da gibt’s auch Entartung, Kunscht, die keine Kunst ist.

      Im Louvre war ich bei meinen Wanderungen durch Paris übrigens nicht – mußte ich ja auch nicht, wollte ich ja auch nicht. Auf den Straßen gab es genug zu sehen, und ich schau mir doch lieber lebendige Menschen an als gemalte. Menschen und besonders Frauen und also auch Pariserinnen, die einen wie mich von etwas anderem träumen lassen als nur von schön gemalten Bildern. Beaux-arts – was soll’s? Die Pariserin aber … Sich so erniedrigen, erdrücken zu lassen von wirklich großer Kunscht und ihren allergrößten Künstlern, das tue sich an, wer als zweit- oder drittklassiger Pinselschön und Pinselhäßlich masochistisch genug ist – da ist bei mir der echte, der sexuelle Masochismus vor, das süße Leiden, das erregende. Hier mal nicht als Sublimation für einen wenig sublimen Künstler. So von einer Pariserin sich erniedrigen lassen, statt vom Louvre in Paris, ich meine …

      Kapitel 43: Desaströses Desaster

      Als klar wurde, daß aus dem Bild von Speedy nichts würde, als Pascin dann auch mir gegenüber sein Scheitern eingestehen mußte, mir, seinem Auftraggeber in diesem Falle, da lud er uns wieder in seine Nachtbar ein, diese dunkle Höhle am Fuße des Montmartre mit dem Negerorchester, der Jazzband, wo er sich dann systematisch vollaufen ließ und wo Speedy, die enttäuschte, offen mit einem Herrn am Nebentisch zu flirten anfing – nur ich blieb wieder mal schrecklich nüchtern und erst auch allein, bis Pascin, dann volltrunken, mir irgendwelches Zeugs ins Ohr zu flüstern beziehungsweise, bei dem Lärm, wahrscheinlich zu schreien anfing. Ich verstand erst nur poitrines und dann breast und dann tits und dann erst, daß er von Speedy sprach und ihrem Busen, ihrem nicht sehr ausgeprägten Vorbau. Speedy hätte ja keine großen Dinger, und das gefiele ihm, je kleiner, je besser bei einer Frau. Ich reagierte erst ein bißchen indigniert und fand’s eigentlich sinnlos, mit ihm darüber noch zu reden, sagte ihm dann aber, daß ich sie immer mal wieder dazu zu überreden versuche, keinen Büstenhalter zu tragen, und ich machte so eine Geste dabei, damit er verstand, wovon ich rede, und dann fiel mir noch das englische Wort ein: bra, und Pascin nickte und sagte: »Not necessary.« Genau, auch wenn’s gegen die guten Sitten verstößt, nötig hätte sie es eigentlich nicht. »Aber«, sagte ich, brüllte ich, »vielleicht meint sie, ihre Brüste hängen ein bißchen zu sehr«, und machte wieder so eine Handbewegung, die andeuten sollte, was ich meine. »Saggy, c’est bon«, das sähe doch grad toll aus, so Pascin, jedenfalls bei einer Frau von dreißig, und dann redete er gleich weiter und erzählte mir etwas davon, daß die meisten Frauen damit Schwierigkeiten hätten, wenn sie älter würden und dann nicht mehr so frisch und knackig seien, und daß er das aber dumm fände, daß für ihn eigentlich erst Frauen ab dreißig wirklich interessant werden würden, weil sie dann ein Gesicht hätten, das Persönlichkeit ausstrahlt. Und er sagte, daß sein Erfolg bei Frauen sicher damit zusammenhänge, daß er den über Dreißigjährigen das Gefühl gäbe, toll auszusehen und viel reizvoller zu sein als die Jüngeren. Frauen, die keinen Sex haben, nicht diese offensichtliche sexuelle Ausstrahlung. Wenn er denen das dann eröffne, daß sie sich als sexuelle Wesen empfinden könnten, dann würden sie aufblühen, und sie seien dann auch unglaublich dankbar, weil ihnen das so guttue – wahrscheinlich ist das genau sein Erfolgsrezept. Masche aber würde ich es nicht nennen wollen, ich glaube, daß das echt ist bei ihm. Wenn eine Frau als Akt Modell stehe, sei dies allein schon für sie eine Revolution, eine psychische Umwälzung, ein Akt der Befreiung auch. Und dann, sagte er weiter, wenn die Frau, die einem Modell sitzt, ganz von sich aus die Schenkel öffne, dann wisse man, daß sie es geschafft habe, daß sie wirklich zu sich gefunden habe. Und als er das gesagt hatte, fragte ich ihn: »Hat sie? Did she? Elle fait?« Sicherheitshalber in all den drei Sprachen, die Pincas-Pascin neben seinem Bulgarisch sprach, und er antwortete: »Yes, oui, sie hat.« Und er zuckte noch nicht mal mit der Wimper, als er mir das sagte. Ich aber verstand nun gar nichts mehr, verstand nicht, warum das mit ihm und Speedy nichts geworden war. Er aber fing, besoffen, wie er war, übergangslos mir etwas von einer Sophie d’Alambert zu erzählen an, einem knapp fünfzehnjährigen Mädchen, das ihn zur Weißglut treibe, und ich verstand immer weniger, denn eben waren es doch noch die Dreißigjährigen mit ihren Reizen, von denen er geschwärmt hatte, plötzlich aber war es ein so junges Ding, das ihn viel mehr zu interessieren schien, und irgendwie bleibt mir dies bis zum heutigen Tage rätselhaft, und bei ihm nachfragen, das geht ja nun nicht mehr, wo er so tot ist. Aber so ein Rätsel, das bleibt, darüber denke ich jedenfalls immer wieder nach, darauf komme ich auch in größeren Abständen zurück, und beim Malen, da gibt es ja immer wieder diese Phasen, wo die Hand gefordert ist, die Sensibilität des Auges, wo aber diese eigentliche, die angeblich höhere Denktätigkeit unbeschäftigt ist, der Gedanke also frei, und da kommen mir dann oft die besten Ideen, in dieser Leere, denn Ideen haben das ja so an sich, daß sie nicht unbedingt kommen, wenn man angestrengt nachdenkt, sondern, wenn man nicht nachdenkt – nicht, daß das großartige, weltbewegende Ideen sein müssen, dahingehend läßt sich nichts forcieren, und ich habe doch schon Freude genug, wenn mir nach Jahren dann eine Idee kommt, die mir plötzlich diesen Pascin zum Beispiel und seine Äußerungen an diesem letzten Abend in seiner Jazz-Bar erklärt, das Rätsel dieses Mannes: man muß sich das nicht als die Momentaufnahme vorstellen, als die es sich mir damals darstellte, denn dann sieht man nur die offensichtlichen Ungereimtheiten, den gravierenden Widerspruch in seinen Aussagen, die mit seinem Verhalten ja vollkommen d’accord zu gehen schienen, man muß sich’s als Entwicklung vorstellen – das wäre überhaupt und mit vielem gut, ist aber natürlich für einen Maler schwer, der durch seine Bildnerei nur zu einem primitiven Denken fähig ist, zu dem Denken primitiver Menschen, wie es sie überall und in Massen gibt.

      Man stelle sich’s also als Entwicklung vor, man stelle sich den sehr viel jüngeren Pascin vor und wie er, l’homme à femmes, Mann der Frauen, mit Frauen seines Alters rummacht, mit Gleichaltrigen seine umfangreichen sexuellen Aktivitäten entfaltet, und dann stelle man sich vor, daß er älter wird und diese Frauen mit ihm, und auch, wenn das dann nicht immer die gleichen Frauen bleiben, denn Pascin ist ja Eroberer und als vertikaler Eindringling stößt er mit seinem Pinsel und nicht nur mit dem in die höheren Gesellschaftskreise vor und hinein, und diese Frauen dort bilden ja einen starken Anreiz für ihn, und meist sind sie dann schon verheiratet, und er kapriziert sich auf die verheirateten Damen der Bourgeoisie, die dann doch in etwa die seines Alters sind und also diese Dreißigjährigen, von denen er sprach und die er die interessantesten Frauen überhaupt nannte, die Frauen mit Gesicht. Und schon mit etwas erschlafften, etwas hängenden Brüsten, saggy, unbefriedigt meist und also zum Ehebruch bereit. Rumzukriegen von dem berühmten Künstler, dem Bohemien, dem Außenseiter in diesen Kreisen, dem reizvollen Fremden. Und jetzt kommt’s: diese Frauen kriegen Kinder, spätestens in diesem Alter kriegen sie Kinder, werden sie von ihren ansonsten langweiligen Männern geschwängert, und der männliche Erbe muß her, und sie erfüllen ihre ehelichen Pflichten, und sie gebären natürlich auch Mädchen, und diese Mädchen wachsen heran, und irgendwann sind sie elf, zwölf, dreizehn, diese Mädchen, und damit in dem Alter, wo sie plötzlich weibliche Reize entwickeln, und sie langweilen sich, und da ist dieser Maler, dieser Pascin, der ein paar Jahre in New York gelebt hat und mehr kennt als nur Paris und das petit château auf dem Lande. Und also wiederholt sich das jetzt, was ihre Mütter erlebten, daß sie romantisch frühreife Gedanken auf diesen Außenseiter kaprizieren, und Pascin wäre schön blöd, das nicht für sich auszunutzen, und plötzlich, ohne daß er von Anfang an auf Frischfleisch fixiert gewesen sein muß, ist er bei den Mädchen, bei der nächsten Generation, und nun passiert noch das Verrückte, daß die Mütter das dulden und sogar unterstützen, zumindest nicht so genau wissen wollen, was da geschieht mit diesem Maler und ihren Töchtern, die ihre Konkurrentinnen werden, denen sie aber vielleicht auch das eigene Schicksal einer bourgeoisen Ehe ersparen wollen, die große Langeweile, den ennui. Schicksalsgemeinschaft


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