Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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stinkende Mann, und Pascin versteht natürlich gar nichts mehr, und mit dem vin rouge aufzuhören, das schafft er nicht, das Drama nimmt seinen Lauf – ich meine nicht, daß es so gewesen sein muß, aber so könnte es immerhin gewesen sein, und damit hätte ich seine zwei Wahrheiten und wie er zwischen ihnen zerrieben wird und sich dann irgendwann aufhängt. Doch wahrscheinlich wird er sich die Kugel gegeben haben, das hat mehr Stil und geht schneller und braucht nicht diese Vorbereitungen – außer er wollte, herabgewirtschaftet, wie er wohl war, noch die letzte Erektion, die bei der Strangulation eintritt, eintreten soll. So sagt man ja, so ist es überliefert. Aus Strangulationszeiten. Tod durch Erhängen.

      Kapitel 44: Apropos Strangulation

      Hatte ich da eben was von Strangulation gesagt? Hatte ich doch, und erwähne ich dieses magische Selbstmörderwort Strangulation, dann, um Himmels willen, kann es natürlich nicht bei dieser einmaligen Erwähnung bleiben, dann ist das etwas, das auch nicht allein dem Genossen Pascin vorbehalten bleiben darf, mit dem schönen Wort von der Strangulation assoziiert zu bleiben – es gibt da für mich einen anderen Kandidaten noch, für den dies etwas Wichtiges, Lebenswichtiges und Lebensnotwendiges darstellt, und dieser jene welche, das bin ich selber, meine Wenigkeit Schlechter. Das Spiel wenigstens mit dem Tod, die Fast-Strangulation, die getürkte Strangulation eine Passion, eine Passion von mir, und zum Glück habe ich dafür ein paarmal wenigstens einen Mitspieler gefunden – eine Mitspielerin, um genau zu sein, Speedy, um ihr einen Namen zu geben. Ich hatte einige Strangulierte schon gemalt, gezeichnet, aquarelliert, bevor ich Speedy kennenlernte, und sie, sie lernte dann diese Bilder von mir kennen, als sie mich kennenlernte, näher kennenlernte, meine Frau wurde, und eines schönen und glücklichen Tages fragte sie mich aus ganz heiterem Himmel und in einem ganz heiteren Tonfall auch, ob ich nicht vielleicht Lust hätte, noch einmal eine Strangulierte zu malen, und diesmal aber nicht aus der bloßen Phantasie nur, sondern mit einem Modell, und dieses Modell, das könne ja sie sein, und natürlich hatte ich Lust – so ein Angebot bekommt man schließlich nicht alle Tage, und von der Frau, mit der man verheiratet ist, bekommt man es sicher noch sehr viel seltener, und dies dürfte einer jener seltenen Momente gewesen sein, wo ich mir sicher war, daß ich von vielen meiner Kollegen um diese Frau, dieses Modell beneidet werden würde, und das auch dann, wenn sie mit der Strangulation selbst nicht soviel am Hut haben. Es hätte ja auch etwas anderes, aber ebenso ins Extreme Gehendes sein können, und also hieß es zugreifen, und also hieß es erst mal genau überlegen, wie denn eine Strangulation einigermaßen realistisch zu bewerkstelligen, zu türken und imitieren sei, bei der sich meine geliebte Speedy aber nicht wirklich und in echt dann stranguliert, denn schließlich wollte ich sie ja nicht tot von meinem Seil abschneiden, schließlich sollte sie leben, denn schließlich brauchte ich sie doch noch für ein paar andere Dinge mehr in meinem bißchen Leben. Zum Malen ihrer Knöpfschuhe, um hier nur ein Beispiel zu nennen.

      Kapitel 45: Apropos Knöpfschuhe

      Ich hatte doch eben die Knöpfschuhe erwähnt – oder? Eine rhetorische Frage, denn schließlich weiß ich das doch ganz genau, daß ich sie eben erwähnt hatte, die Knöpfschuhe, meine geliebten Knöpfschuhe. Ich habe sie schon einmal erwähnt, diese Knöpfschuhe, im Zusammenhang mit Masseck und mit Speedys Versprechen, sie würde für mich Knöpfschuhe bei unserer Hochzeit tragen, sozusagen als Entschädigung dafür, daß ich Masseck so tapfer ertragen hatte. Und sie trug sie ja dann auch, ihre Knöpfschuhe, die in Wahrheit richtiggehende Knöpfstiefel und insofern Über-Knöpfschuhe waren, die Übererfüllung ihres Solls, ein übermäßiges Glück auch für mich, ein unverdientes, aber ich habe sie nicht weiter groß erwähnt, diese Knöpfschuhe, respektive Stiefel, bin ihnen bemerkenswerterweise nicht weiter nachgegangen in ihrer so großen, so grundlegenden Bedeutung für mich, und dies nicht allein nur aus Gründen der Diskretion oder weil sie mich mit Scham erfüllten, diese Knöpf …, Schuhe oder Stiefel – das tun sie zwar auch, aber sie sind so wenig aus meinem Leben wegzudenken, eine so fundamentale Institution meiner gesamten Existenz, daß ich vielleicht meinte, sie hier gar nicht groß erwähnen zu müssen, denn ohne dieses Knöpf von Schuhen und besser noch Stiefeln wären wir doch wohl gar nicht zusammen, Speedy und ich, mit den Knöpf-, Knöpf-, Knöpf-, Knöpfschuhen hat sie mich doch geködert und eingefangen, und natürlich war ich wieder mal selber schuld, weil ich doch in ihr eine sah, in ihr mir eine erhoffte, die meiner Passion folgen, die mit mir meinen Passionsweg in Knöpfschuhen oder Knöpfstiefeln oder beidem, mal so, mal so, je nach Gelegenheit und Wetterlage, mitgehen könnte. Und natürlich wagte ich nur, ihr gegenüber Knöpf zu erwähnen, weil ich sie doch liebte, aber auch umgekehrt würde ein Schuh draus, ein Knöpfschuh, wenn ich sagen würde, daß dies als ein Anzeichen meiner überschwenglichen Liebe zu ihr zu werten sei, daß ich mich nicht enthalten konnte, ihr gegenüber ganz unbedacht von meiner Liebe zu Knöpf, Knöpf, Knöpf zu sprechen, ihr damit mein großes, bis dahin ganz zugeknöpftes Geheimnis zu offenbaren. Und weiter noch ließe sich sagen, daß ich mir ihrer Liebe zu mir, dem Würstchen, dem männlichen Nichtsnutz, in dem Moment dann ganz sicher war und auch erst werden konnte, wo sie mich ob des Knöpfens nicht auslachte, sondern binnen kürzestem in schönen, schicken, extra für sie angefertigten Knöpfschuhen und dann auch wundersam glänzenden Knöpfstiefeln daherging, einhergeschritten kam. Denn Knöpf war ja doch vollkommen außer Mode gekommen, und daß sie das für mich machte, sich maßgeschneiderte Maßknöpfschuhe anfertigen zu lassen, das war der Liebesbeweis, damit war es wirklich um mich geschehen.

      Kapitel 46: Knöpfstiefel aus historischem Anlaß

      Sie trug sie ja sehr viel weniger, ihre Knöpfschuhe, und ihre Knöpfstiefel noch einmal weniger, als mir lieb gewesen wäre, aber an diesem Abend trug Speedy sie, und das sollte für uns, für unser Verhältnis eine Weichenstellung sein. Am 30. Januar, am Abend des 30. Januar, von dem ich damals natürlich nicht wußte, daß dies ein Datum werden würde, das auch ich mir wie jeder Deutsche merken würde, im Jahre 33 der 30. Januar, der Tag von Hitlers Machtergreifung, der Tag, an dem er Kanzler wurde des Deutschen Reiches. Ein Maler malt doch, ein Maler hängt nicht am Radio, ein Maler lebt nicht in seiner Zeit, in der Zeit, die heute dank des Radios auch eine so schnellebige Zeit geworden ist, und ich weiß noch ganz genau, an welchem Bild ich an diesem Tage malte und auch am Abend noch dieses kurzen Wintertages, an dem ich bald auf das für das Malen soviel bessere Tageslicht verzichten mußte. Es war warm im Atelier, schön warm, diesen Luxus leistete ich mir, der Bollerofen brannte, und die Fest- beziehungsweise Arbeitsbeleuchtung war eingeschaltet, und natürlich hätte ich das längst vergessen, an welchem Bild genau ich an diesem 30. Januar malte, von morgens bis abends malte, wenn das nicht Hitlers Tag gewesen wäre. Ein harmloses Bild, ein Bild ohne aktuellen Zeitbezug – so sehr bin ich dann doch nicht Visionär. Eine stillgelegte Fabrik war es, die ich malte, ein nicht sehr großes Bild, eine stillgelegte, halb schon im Verfall begriffene Fabrik, die ich in der Nähe von Erkner entdeckt hatte, und wenn man hier etwas konstruieren will, dann malte ich in dieser Fabrik den wirtschaftlichen Niedergang und Abstieg Deutschlands und damit den Grund für Hitlers Aufstieg, dann malte ich in diesem Bild die vielen Arbeitslosen, die jedoch auf meinem Bild selber nicht zu sehen waren, so sehr waren sie ihre Arbeit los. Die Arbeitsstätte im Verfall, und ich scheue mich nicht, mich dazu zu bekennen, daß ich diese halbe Ruine der Fabrikarbeit natürlich aus romantischen Gründen malte – nicht vom Stil her, der neusachlich trocken war und lapidar, ohne alle Atmosphäre, alles Atmosphärische, aber ohne den Kult der deutschen Romantik um die Ruine als Zeichen der Vergänglichkeit wäre ich wohl gar nicht darauf gekommen, so etwas Unansehnliches und Prosaisches wie eine leerstehende Fabrik zu malen. Ohne die deutsche Romantik bin ich als Maler gar nicht zu verstehen – auch wenn ich immer gegen sie angemalt habe. Die ganze Neue Sachlichkeit, das ist nichts weiter als ein Versuch, die Romantik fortzusetzen, sie mit anderen Mitteln fortzusetzen. Man lasse sich doch da von dem Etikett nicht in die Irre führen, denn natürlich muß sie das, muß die Welt romantisiert werden. Und sie muß es heute mehr denn je, denn heute ist die Welt häßlicher und gemeiner als jemals zuvor, und natürlich verdanken wir diese Häßlichkeit der Industrie, die erst die ganze Häßlichkeit in die Welt gebracht hat, und genau deshalb doch mußte ich als Romantiker, als allerdings verzweifelter Romantiker, denn anders als verzweifelt kann man ja heutzutage nicht Romantiker


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