Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


Скачать книгу
Nein, das habe ich nicht. Aus Scham natürlich. Weil ich schon einmal diese Gelegenheit verpaßt hatte. Weil ich ihr nicht nur mein früheres, mein frühes Faible für die Weiblichkeit des Dessous und Darunter hätte eingestehen müssen, meine schon pubertär beginnende Leidenschaft, sondern auch, daß ich diese dann vor ihr geheimgehalten, ihr verschwiegen, mich ihr also beim Eintritt in unsere eheliche Gemeinschaft nicht voll und ganz und rückhaltlos offenbart habe. Aus Scham damals nicht, und nun ging es nicht mehr aus Scham wegen dieser Scham, weil ich mich dieser Scham zu schämen hatte, die mich etwas vor meiner Frau, der mir angetrauten Frau, hatte verheimlichen lassen. Weil es bedeutet hätte, ihr zu offenbaren, daß ich mich ihr nicht ganz und gar anvertraut hatte. Aus Scham, aus der Scham des Feiglings, des Versagers, aus der verdoppelten Scham, weil Speedy, anders als ich, aus ihren nymphomanischen Leidenschaften mir gegenüber doch kein Hehl gemacht hatte, und das schon vor der Hochzeit, vor unserer Eheschließung. Ihre perversen Leidenschaften anzuerkennen, das war die Basis, auf der unsere Ehe nur möglich wurde. Ich wußte, wen ich geheiratet hatte – nicht ganz, wie sich sehr bald noch herausstellen sollte, aber in diesem Moment, wo ich mich ihr hätte offenbaren müssen in meiner ewiglich, solange ich denken kann Passion für das weibliche Mieder und so weiter war es das, wovon ich auszugehen hatte. Und mich also ihr noch einmal unterlegen fühlen mußte. Scham, weil ich auch diese Unterlegenheit ihr gegenüber hätte eingestehen müssen. Scham, aber nicht nur Scham, nicht nur aus Scham, auch wegen der Gewohnheit, wegen der Lüge, die mir zur Gewohnheit geworden war. Und zur Überzeugung. Zu der Überzeugung, daß eine Ehe ohne Lüge nicht auskommt, daß man, daß weder Mann noch Frau alles wissen muß, alles wissen sollte, vom anderen wissen, soll eine Ehe funktionieren, und ich war doch 33, ich rechne nach, schon vier lange Jahre mit Frau Elisabeth Koehler verheiratet, wir hatten vier Jahre Ehe hinter uns, und nun war es einfach zu spät. Und trotzdem sicher ein Fehler. Ein unverzeihlicher Fehler. Denn Speedy hätte mir verziehen, die Scham, die Lüge, die Unwahrhaftigkeit, denn wenn sie eines kann als gute Katholikin, dann ist es vergeben, Vergebung. Weil wir alle schuldig sind. Alle Sünder. Aber ich wollte nicht Buße tun, und vergeben werden kann nur dem, der um Vergebung bittet. Ich wollte nicht bitten. Wollte mich nicht erniedrigen. Ich wollte nur glücklich sein, endlich in meiner Weiblichkeit glücklich sein. Das entschuldigt nichts. Das lädt nur noch einmal mehr Schuld auf mich. Ich weiß es, wußte es damals schon. Aber ich konnte nicht anders. Konnte nicht. Punkt. Aus. Und mehr gibt es dazu nicht zu sagen, und alle Eheberater können mir gestohlen bleiben. Und sie können mir gestohlen bleiben, weil wir immer noch verheiratet sind, bis zum heutigen Tag, und das nur allein zählt. Jeder Tag zählt, den wir verheiratet sind. Und daß ich jetzt im Gefängnis sitze, und jeder Tag im Gefängnis zählt, weil ich wegen Speedy sitze. Wegen meiner wegen ihr unnationalsozialistischen Lebensweise. Ich zahle dafür, büße für mein Unvermögen, mein Versagen, und wenn ich ganz ehrlich mit mir bin, dann weiß ich doch, daß es noch einen anderen Grund gegeben hat, warum ich diese Gelegenheit nicht genutzt, mich ihr nicht in meiner weiblichen Unterwäsche zu Füßen geworfen habe, mein Geheimnis endlich zu offenbaren, und dieser Grund, er ist in der Tausendmal bestätigten Ahnung und nun Gewißheit zu finden, daß es Speedy nichts bedeutet hätte, darum zu wissen, daß es für sie nichts geändert, mich nicht auf Dauer für sie zu einer Frau gemacht hätte. Der Ausnahmemoment, der Ausnahmemoment bleibt. Aus dem nichts folgt. Auch wenn es ihr vielleicht Spaß gemacht hat, mich in diesen Tagen nach der Machtergreifung zu verweiblichen, für sie war das ganz wesentlich funktional: ein Mittel, mich anderweitig zu beschäftigen, ein Mittel, mir beim Verdrängen zu helfen. Den armen, von ihr gleichzeitig sicher verachteten Schlechter über eine ansonsten schlimme Zeit zu bringen. Für Speedy war’s ein Mittel, für mich die Erfüllung. Das bringt es auf den Punkt. Schluß aus – mehr ist dazu nicht zu sagen. Eine Ehegeschichte. Die Geschichte einer unglücklichen Ehe. Aber jede Ehe ist eine unglückliche Ehe. Weil uns auf Erden nicht zu helfen ist und Ehen nicht im Himmel geschlossen werden. Seien wir Realisten. Glotzen wir nicht mehr so romantisch.

      Kapitel 48: Interregnum

      Rechnen wir doch einmal nach: vom 30. Januar bis zum 27. Februar – wieviel Tage sind das genau? Das ist eine ganz einfache Rechnung, bei der 28 Tage herauskommen, nicht mehr als 28 Tage. Also keine lange Zeit, noch nicht mal ein Monat. Einen Monat lang ließ sich das wirklich gut verdrängen, daß der Nazi herrschte, die Macht übernommen hatte, die Macht immer mehr auch übernahm. Die Liste ließ sich verdrängen, auf der irgendwo weiter unten vielleicht auch mein Name notiert stand – was jedenfalls nicht auszuschließen war. Wenn auch wahrscheinlich unwahrscheinlich. Es wurden Leute totgeschlagen, es verschwanden Leute, aber das tangierte mich nicht wirklich, ich hatte zu diesen Leuten doch schon länger keinen Kontakt mehr. Und ich hatte anderes, sehr viel Besseres zu tun, als mir um die Gegner der Nazis einen Kopf zu machen: ich war dabei, mich mit Hilfe meiner Frau zu verweiblichen, und ein stärkeres Verdrängungsmittel gab es nicht, konnte es für mich nicht geben. Das Unglück da draußen, der Terror, was ging mich das an, solange ich so glücklich anderweitig beschäftigt war. Mein Thema war ein anderes in diesen Tagen, diesen 28 Tagen, bis dann der Reichstag brannte. Am 27. Februar. Knapp einen Monat nach der Machtergreifung. Aber auch dieser Schreckenstag erreichte mich nicht wirklich, Speedy hielt ihn von mir fern. Erfolgreich von mir fern.

      Aber es war dies nicht allein eine glückliche Zeit für mich, für mich und Speedy, und weil wir da plötzlich ein gemeinsames Projekt hatten und verfolgten, das meiner Verweiblichung. Wir waren uns nah in diesen Tagen und doch sehr bald auch wieder fern, schmerzlich fern, und ich verstand es nicht, warum ihr dies nicht genügte, unser gemeinsames Glück, warum sie darüber hinaus noch etwas anderes wollte: einen Mann. Parallel dazu. Und dann auch noch diesen Mann: ausgerechnet Masseck – meinen früheren Verlobungsbeauftragten, Verlobungshelfer, unseren Trauzeugen Masseck, dessen Zeit doch mit der Trauung eigentlich hätte vorüber sein sollen, denn so war’s doch versprochen. Aber Speedy hielt sich nicht dran. Und ich verstand es nicht: hatte sie das nötig? So einen Rückgriff? Masseck wieder aufgewärmt, ausgerechnet Masseck. Und überhaupt: es gab doch noch ein paar andere Männer mehr, wenn sie denn unbedingt einen Mann brauchte und mit mir als Frau, als Weib nicht genug hatte. Ich sah es als Schwäche. Und ich wünschte doch Speedy stark, gerade jetzt in dieser Zeit stark. Fühlte sie sich älter geworden, war sie sich ihrer weiblichen Reize etwa nicht mehr sicher? Das konnte doch nicht wahr sein, das durfte nicht wahr sein. Und deshalb die Suche nach einer anderen Möglichkeit der Interpretation dieses Rückgriffs auf Masseck: ich erklärte mir es so, daß Speedy da in Berlin einen Informanten haben wollte, jemanden, der nahe genug am politischen Geschehen dran war, sehr viel näher jedenfalls als wir beide in Grünheide Alt-Buchhorst, in unserer Hütte, angewiesen allein auf das Radio und was so in der Zeitung stand. Und es stand ja nicht mehr soviel in der Zeitung, und Masseck, der Zeitungsschreiber, verfügte sicher über ein paar Informationen mehr. Über Hintergrundwissen. Wenn Speedy das beruhigte, über Masseck einen Zugang zu den politischen Hintergründen zu haben, so versetzte mich dies nur in Unruhe. Denn es bedeutete, daß sie sehr viel mehr beunruhigt war, als sie mir gegenüber zugab. Es bedeutete, daß sie mich ablenken wollte, es bedeutete, daß ihr soviel an meiner Verweiblichung gar nicht lag, daß sie mit ihr nur einen Zweck verfolgte, den dann durchsichtigen Zweck, mich abzulenken, mich in trügerischer Sicherheit zu wiegen. Und wegen Masseck gelang ihr das dann nicht. Masseck brachte die Nazi-Wirklichkeit in unsere Hütte, unser Heim – ausgerechnet Masseck, die Existenz von Masseck, die Wiederkehr von Masseck, der wieder aufgewärmte Masseck. Und durch das, was Masseck in diesen 28 Tagen bis zum Reichstagsbrand erlebte, denn es beschäftigte Speedy, es ließ sie nicht los, es regte sie auf, und sie erzählte es mir, wenn sie von Masseck zurückkam – brühwarm und eigentlich ungefiltert. Ohne zu merken, wie sehr sie mich damit beunruhigte, wie sehr sie alle ihre Bemühungen, mich ruhig zu halten, damit konterkarierte und um ihren Erfolg brachte. Man stelle sich diese Zumutung vor: ich sollte ihren Masseck bemitleiden, bedauern – ich, ausgerechnet ich.

      Die Nazis marschierten, und Masseck wurde gleichgeschaltet, Masseck ließ sich gleichschalten wie die gesamte deutsche Presse, und dies aber dann auf seine spezielle und eigentlich lächerliche Weise. Masseck, der arme, bedauernswerte, zu bemitleidende Masseck, er sah sich plötzlich in die Lokalredaktion versetzt, seine Seite, die einstmals so wichtige Filmseite der BZ am Mittag, sie war vorsichtshalber sang- und klanglos eingestellt worden. Jedenfalls für eine Übergangszeit, bis sich geklärt haben würde, wohin filmisch im Dritten Reich der


Скачать книгу