Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


Скачать книгу
wo sie sich in Ruinen offenbarte. Aber diese Romantik, sie mußte anders gemalt werden, nicht mehr so, indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Aussehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, wie das die alten Romantiker tun konnten, banal mußte es bleiben, sachlich und ohne die Überhöhung, die billige Übersteigerung des Atmosphärischen. Im Unscheinbaren das Großartige finden, aber es dabei unscheinbar lassen. Das ist die Kunst. Die wahre moderne Kunst, würde ich sagen.

      Und in dieser Kunst übte ich mich am 30. Januar 33, und ich will das Ergebnis meiner Bemühungen gar nicht beurteilen, und ob mir nun das Romantisieren zum Fluch oder zum Segen gereichte in diesem Bild, das ich seit dieser Zeit nie wieder aus meinem kleinen Bilderdepot hervorgeholt habe – die Sache ist vorbei mit der Neuen Sachlichkeit, und ich würde doch heute keine Autobahn malen wollen, und nicht nur, weil das des Führers Autobahnen sind und ich mich vom Führer in meiner Kunst wenigstens fernhalten will, so fern es nur geht. Aber das könnte ein Fehler sein, und ein Platz in der Kunstgeschichte wäre mir vielleicht sicher, würde ich, wenn schon nicht seine Autobahnen, dann aber doch den Führer malen. So wie ich ihn sehe natürlich. Nicht, wie er gern gesehen werden will. Nationalsozialistisch vom Sujet her, unnationalsozialistisch in meiner Kunst. Das bin ich ihnen wohl noch schuldig, wo sie mich jetzt einer unnationalsozialistischen Lebensweise beschuldigen und ich damit den Hitler sozusagen bei mir im Schlafzimmer habe – an diesem Abend des 30. Januar aber wußte ich noch nichts davon, und hätte man mich an diesem Abend um meine Meinung gefragt, dann hätte ich wie ein Blöder, wie viele andere Blöde auch gesagt, daß der Herr Hitler sich als Reichskanzler wohl nicht lange würde halten können. Wir hatten ja schon einige rasch vergängliche Pflanzen hinter uns, den Herrn von Papen und dann den Schleicher, den General ohne die Macht der Reichswehr hinter sich, und den Brüning, mit dem alles anfing mit den Notverordnungen, dem Regieren ohne Reichstagsmehrheit. Aber Speedy ist politisch instinktsicherer, Speedy wußte das von Anfang an, daß sich dieser Herr H etwas länger halten würde – mich ergriff an diesem Abend nur die Angst, daß ich in dieser schnellebigen Zeit mal ganz schnell ums Leben gebracht werden könnte, von Hitlers SA, der braunen Horde, die doch wenigstens einmal so richtig wüten wollte in Deutschland, nachdem sie’s so lange geübt hatte. Aber diese Angst, sie ergriff mich nicht ganz und gar, und das verdanke ich Speedy, die wohl genau dies nicht wollte, dies verhindern wollte, daß ihr armes, eh schon verunsichertes Männchen und Ehemännchen das große Schlottern kriegt und seinen Pinsel nicht mehr halten kann in diesen so bewegten Zeiten, wo man doch nur eines hoffen lernte: daß einen die Geschichte in Ruhe lasse, daß sie nicht zur Tür hereinspaziert komme und nicht im Schlafzimmer nachschaue. Statt der Geschichte kam Speedy zu mir ins Atelier hereinmarschiert, und wenn ich sage marschiert, dann sage ich dies, weil es schon von draußen Klack, Klack machte, als Speedy den kurzen Weg von unserm Haus, unserer Hütte zu meinem Atelier hinten im Garten entlangschritt, in Stiefeln nämlich, in ihren Knöpfstiefeln ganz genau, ihren so sehr von mir geliebten Knöpfstiefeln. Ich wußte gar nicht, was mir die Ehre verschaffte eines solchen hohen und seltenen Besuchs, und ich wußte erst recht nicht, daß es die SA war, die zur selben Stunde in einem unendlichen Zug durchs Brandenburger Tor marschierte, in ihren Stiefeln, ihren soviel weniger reizvollen Schaftstiefeln, die meine geliebte Ehefrau und Speedy auf den großartigen Einfall gebracht hatte, es in ihrer Weise den braunen Horden gleichzutun. Aber auch sie hatte ja so etwas wie eine Machtergreifung vor, mit ihren Knöpfstiefeln, den so sehr von mir geliebten, mit den Stiefeln, die mich schwach machen, die meine Schwäche auf das Süßeste offenbar werden lassen – doch nennen wir es nicht Macht und Machtergreifung, nennen wir es Gegenmacht und den Versuch Speedys, den natürlich erfolgreichen Versuch, da mitten in Deutschland, in einem kleinen Vorort Berlins gegen die machtergreifenden Nazis anzustinken, um wenigstens einem Menschen noch, mir, einen Hort der Sicherheit zu bieten. Ein Ablenkungsmanöver. Ein gelungenes Ablenkungsmanöver – wäre Speedy einfach so zu mir rüber ins Atelier gekommen, ich hätte sie wahrscheinlich gefragt, was sie zu mir führe, und das hätte sie sicher nicht: mich glattweg belügen können und mir verschweigen, daß es der Führer sei, der sie zu mir führt. So aber, in ihren Knöpfstiefeln kommend, fragte ich sie nicht nach ihren Gründen, hatte ich gar keinen Grund, nach ihren Gründen zu fragen. Da setzt doch das Denken bei mir aus. Segensreiche Wirkung von Knöpfstiefeln: es gibt nur noch sie für mich, wenn es sie gibt, und natürlich die Frau, die so wunderbar ist, diese Knöpfstiefel an ihren Füßen zu tragen. Der Rest der Welt – einfach ausgeblendet.

      Speedy kam zur Tür herein meines zum Atelier umgebauten Gartenhäuschens, ich stockte atemlos, hielt den Pinsel in der zitternden Hand und schaute mich um, und da stand sie, meine Göttin. Und sie blieb in ihren Knöpfstiefeln in der Tür stehen, herrisch, obwohl es sie doch frösteln mußte in ihrem grünen Samtkleid, und wenn sie nicht gleich gesagt hätte: »Komm rüber ins Haus!«, und wenn dies nicht mehr als nur von ihr mal so gesagt gewesen wäre, wenn es nicht einem Befehl geglichen hätte, ich wäre wohl sofort vor ihr auf die Knie gegangen, auf den Knien und allen vieren zu ihr gekrochen, ihr zu Füßen, ihren Knöpfstiefeln zu Füßen, meine gestiefelte Göttin anzubeten, denn dazu brauche ich keinen Befehl, das mache ich von ganz allein. Ich sagte nur: »Ich komme sofort«, und daß ich noch den Pinsel saubermachen müsse, was so nicht unbedingt gesagt werden mußte, Speedy ist Malerfrau genug, um dies zu wissen, daß Pinsel immer saubergemacht werden müssen. Ich sagte es mit aufgerissenem Maul, und schon war sie wieder verschwunden, wie eine wunderbare Erscheinung, wie eine Fee, eine gute, eine bestiefelte Fee. Ich reinigte den Pinsel, und ich tat es, so gut ich in meiner Aufregung konnte, und ich tat es, um dadurch ein bißchen wenigstens meine Aufregung zu bekämpfen. Und dann schaute ich noch einmal auf das Bild mit der Fabrikruine, aber es wäre falsch zu behaupten, ich hätte dieses Bild in diesem Augenblick noch wirklich gesehen und einen überprüfenden Blick auf mein Tagwerk geworfen. Ich rettete mich in die Routine, ich sah noch einmal nach dem Ofen, ich knipste den Lichtschalter aus, ich verschloß die Tür zum Atelier hinter mir, und ich klopfte mir dann auch die Schuhe ab, nachdem ich die paar wenigen Schritte durch unseren kleinen Garten gegangen war. Und dann betrat ich das Haus, und ich betrat es am ganzen Leibe zitternd, und es war nicht die winterliche Kälte allein, die mich zittern machte, es war Speedy.

      Es war merkwürdig dunkel im Haus, ungewohnt, unerwartet dunkel – nur vom Wohnzimmer, unserm etwas zu klein geratenen Salon her kam Licht, mildes Licht, weiches Licht. Speedy hatte Kerzen angezündet, hatte eine ganze Reihe von Kerzen überall in unserm Salönchen verteilt, und einen Moment wähnte ich mich in einer Kirche, einer kleinen Kapelle – Kerzenlicht, meine Angebetete, meine Göttin zu illuminieren. Aber Speedy hatte diese Anregung für ihre Kerzen ganz woanders her, nicht von ihrer Kirche, sie hatte sie aus dem Radio, das damals noch ein ganz gewöhnliches Radio war und kein Volksempfänger wie heutzutage: SA marschiert, und Speedy hatte es vor einer halben Stunden in einer Reportage vom Brandenburger Tor gehört. SA marschiert, feierlicher Fackelaufzug der braunen Horden, im Schein der Fackeln hinein in das Regierungsviertel in der Wilhelmstraße, vor der Reichskanzlei dem neuen Reichskanzler, ihrem Adolfo dem Ersten zu huldigen, als wär’s kein bloßer Kanzler nach vielen anderen Kanzlern, und in Deutschland kamen und gingen die Kanzler ja zu dieser Zeit, und Hitler ließ die SA marschieren, er wollte mehr als die bloße Kanzlerschaft, er wollte wirklich die Macht und sie nicht mehr loslassen. Und er hat sie ja dann auch nicht mehr losgelassen, bis zum heutigen Tag nicht, der mich nationalsozialistisch wegen unnationalsozialistischer Lebensweise hinter Gittern sieht – doch das war natürlich an diesem Tag seiner Machtergreifung noch nicht abzusehen. Jedenfalls für mich nicht, für Speedy schon, denn Speedy sah in diesem nächtlichen Fackelzug seiner SA durchs Brandenburger Tor an jenem unseligen Tag der Machtergreifung Hitlers den Beginn der nationalsozialistischen Revolution. Ohne diesen Aufmarsch wäre es auch für Speedy nur ein weiterer Kanzlerwechsel gewesen, und auf diesen Kanzlerwechsel wäre dann bald ein weiterer Kanzlerwechsel erfolgt. Es war dieser Aufmarsch, den Speedy so alarmierend fand. So sagte sie mir jedenfalls in der gleichen Nacht noch, und ich Idiot, ich politisch so instinktloser Idiot wollte es als bloße Siegesfeier abtun, und wenn, sagte ich, wenn, dann wäre dies der Ersatz für die Revolution, die doch nicht stattfinden wird, eine für die simpel gestrickten Parteigenossen inszenierte Chimäre – beide sollten wir damit, jeder auf seine Weise, recht behalten, Speedy, weil dieser Herr Hitler immer noch und seit mehr als sechs Jahren nun Kanzler ist, und ich, weil diese ganze großartige nationalsozialistische Revolution nicht sehr viel mehr als eine Inszenierung des Propagandaministeriums


Скачать книгу