Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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Dorf, und da gab es das, lange noch und länger wohl, als wir uns das vorstellen mögen, das Recht des Herrn, die erste Nacht, die Hochzeitsnacht mit der jungen Frau zu verbringen, die sein Bauer grad geheiratet hat. Daß niemand sonst es ist, der diesen Hoheitsakt vollzieht, die Entjungferung, als die Macht selber und damit er, der Herr.«

      »Du kommst ja richtig ins Schwärmen von der guten alten Zeit.«

      »Das war nicht meine Absicht, aber unterbewußt vielleicht … «

      »Und wen würdest du dir vorstellen können in deinem beziehungsweise auch meinem Falle? Wer soll der Herr sein? Vom wem hättest du mich denn gern entjungfern lassen?«

      »Da muß ich überlegen. Ich befürchte, da bin ich doch zu sehr befreundet mit meinen Herren.«

      »Du hast mehrere?«

      »George, aber Pascin wäre mir lieber.«

      »Würdest du mich denn deinem Freund George überlassen?«

      »Aber natürlich würde ich das, aber das weißt du doch, und wenn seine Frau Eva nicht wär’ … «

      »Was dann?«

      »Dann wäre er es gewesen, unser Trauzeuge, der die Hochzeitsnacht mit dir verbracht hätte.«

      »Und ich dachte immer, du wärst für den Fortschritt?«

      »Und ich dachte immer, du wüßtest, daß mir der Fortschritt komplett egal ist.«

      »Und die armen Bauernlümmel? Die Proleten, die Erniedrigten und Beleidigten, die Verdammten dieser Erde?«

      »Die Wut verstehe ich, die Wut der Zukurzgekommenen.«

      »Zu den Zukurzgekommenen gehörst du ja auch.«

      »Und deshalb wärst du ja auch zu ihm zurückgegangen, zu dem Herrn mit dem Recht der ersten Nacht.«

      »Jede Nacht, mein Lieber, aber nun schlaf schön und träum was Schönes.«

      Kapitel 41: Aber mais

      Es wurde nichts draus.

      Pascin berührte sie, aber er nahm sie sich nicht. Er verschmähte sie, meine Speedy. Und sie schlief nicht in seinem bequemen, weil breiten, weil amerikanischen Bett. Und es gab nichts zu schlürfen für mich. Was für eine Enttäuschung. Eine Enttäuschung für mich und wohl mehr noch für Speedy, die sich ihres Erfolges so sicher gewesen war. Pascin zeichnete. Verzweifelt. Und schlecht. Mit vom Alkohol zittriger Hand. Und ich, der ich hoffte, meine frisch angetraute Frau bei meiner Rückkehr in sein Atelier, sein studio, dann eines baldigen Tages in seinem Bett liegend vorzufinden, dackelte durch Paris, mir die Stadt anschauen. Noch voller Hoffnung, alles würde gut, und frohgemut und aufgekratzt, und während Pascin also malte beziehungsweise vorbereitend zeichnete, skizzierte, wie er und ich da noch glaubten, und Speedy vorbereitend posierte und vielleicht auch schon probeweise die Schenkel spreizte, während Pascin schon am Vormittag sein erstes Gläschen Rotwein zu sich nahm und Speedy ihr Blut anderweitig in Wallung brachte, stromerte ich also durch die große Stadt Paris, hier und da mal in einem Bistro einen kleinen bitteren Espresso schlürfend, ungemein belebend, und dann ging’s gleich wieder weiter auf dem harten Pflaster, und das war es wohl in jeder Beziehung, ein hartes Pflaster, das pariserische, und was mir Pascin so erzählte von seiner ersten Zeit dort in der großen Metropole, das hörte sich wirklich grauslich an. Pascin war ja schon älter, als ich dachte, fünf entscheidende Jahre älter als ich, und das machte ihn fast, weil bei uns doch in der Generation der Krieg dazwischengekommen war, zu einem Mann der vorausgegangenen Epoche, der guten alten Zeit, die aber für Leute wie ihn eben überhaupt keine gute, sondern eine harte, die härteste Zeit überhaupt gewesen war. »Wenn du hast Geld, dann Paris gut«, sagte Pascin, »wenn du aber kein Geld hast, willst du einen Stein nehmen und ihn vor Wut in die Atelierfenster deiner unerreichbaren Kollegen werfen – nur bist du so abgehärmt, daß du so hoch hinauf nicht werfen kannst, und deshalb ertränkst du dich im Absinth.« In seinen schlimmsten Anfangszeiten hatte das angefangen mit seiner Sauferei, nur war er’s mit dem Geld, das er irgendwann doch verdiente, dem Atelier, das er sich dann leisten konnte, nicht wieder losgeworden. Was ich auch vorher nicht wußte, Pascin war gar kein Franzose, er war Bulgare, ein richtiger Balkanese und sah so wüst und feurig auch aus mit seinen schwarzen Locken, er hatte sich nur französisiert, hatte aus seinem Julius Pincas einen Jules Pascin werden lassen. Das sind so die Metamorphosen, zu denen nur der entschlossene vertikale Eindringling sich entschließen kann, und Pincas-Pascin war entschlossen, sein Glück zu machen. Daß er ein paar Jährchen auf der andern Seite des großen Teiches verbracht hatte, das wußte ich, nicht jedoch, daß er, bevor er 1905 nach Paris ging, erst in Wien und dann in München gelebt und da dann schon einen ersten Erfolg mit Zeichnungen für den Simplicissimus gehabt hatte, unter seinem bulgarischen Namen – wie weit das alles doch schon damals zurücklag. Wir haben das ja dann später an den vielen Ungarn erleben können, wie gut die sich adaptieren können, besonders bei denen im Filmgeschäft, wie die Vertreter dieser kleinen Völkerschaften sich auch sprachlich anpassen, und Pascin kramte doch wirklich bei unseren Gesprächen wieder seine Brocken Deutsch hervor, vermischt mit französischen Wörtern und den englisch-amerikanischen Ausdrücken seiner New Yorker Zeit – très drôle, very funny und wahrscheinlich die Sprache der Zukunft, falls den Deutschen nicht doch mal die Weltherrschaft gelingen könnte mit einer aufgenordeten Nazisprache. Ich kam mir richtig wie ein verstockter Provinzler dagegen vor. Zu mehr, als mir einen Kaffee zu bestellen, reichte mein bißchen Französisch nicht, aber dazu reichte es immerhin.

      Kapitel 42: Die Hauptstadt des vergangenen Jahrhunderts

      Was an Paris sofort auffiel und besonders, wenn man aus Berlin kam mit seinen Baulücken, seinem Durcheinander von Baustilen, das war die Einheitlichkeit des Stadtbildes, wie geschlossen die ganze Stadt wirkte, und nicht, daß das unangenehm auffiel, beeindruckend war’s auf alle Fälle, und insofern verstehe ich die Vergewaltigung, die dieser Speer mit Berlin vorhat – wenn nur der Nazistil nicht so ein klobiger wäre. An Paris merkte ich, daß ich mit der ganzen modernen Architektur nichts zu tun habe und schon gar nicht in ihr mit einem so unbehausten Gefühl hausen möchte – mit dieser Moderne hatten doch auch Leute wie George und ich nichts am Hut, und wir trugen doch immerhin noch Hüte, und das selbst oft genug im Innenraum, bei uns im Atelier. Und ich malte sie auch gerne, die Hüte, und George doch auch. Wir waren ja beide nicht gegenstandlos, sondern gegenstandsgesättigt und gegenständlich bis zum Erbrechen. In dem Sinne modern, wie die moderne Kunst modern sein wollte, das waren wir doch nicht. Das sind nur ganz oberflächliche Übereinstimmungen, Zeitbezüge, nur weil da Künstler mit ganz unterschiedlichen, ja, feindlichen, einander entgegengesetzten Bestrebungen in der gleichen Epoche Gegenwart leben, die sich, sagen wir mal, vom Barock wiederum deutlich unterscheiden läßt. Was hatten wir denn mit Kandinsky zu schaffen oder mit Hanseln wie Klee? Nichts, aber auch gar nichts – das ist doch was für Blaustrümpfe mit Sinn für Höheres, für Lehrerinnen, für Kosmetikerinnen, diese Kunstgewerbe-Kunst, dieses ganze dekorative Zeugs. Wenn dem heutzutage der ganz große Erfolg versagt ist, dann liegt das nicht nur an der Geschmacksdiktatur von Aha, sondern auch daran, daß die deutsche Frau bei den Nazis mehr zu lachen hat, zu juchzen, aufzuschreien und zu stöhnen und es insgesamt wahrscheinlich gebärfreudiger zugeht. Und natürlich auch heroischer – keine gute Zeit also für Ihre kleinteiligen, allerdings wirklich sehr geschmackvollen Stoffmuster-Entwürfe, mein lieber Herr P wie Plattkopf Klee. Und bleiben Sie uns doch bitte von unserm nordischen Acker, Wassily Kandinskinowitsch mit Ihrem frei schwebenden Gewürm, Ihren ansteckenden Bakterien – der ist doch sicher auch Jude, der Russe, aber das spräche in meinen Augen noch nicht unbedingt gegen ihn. Nur, daß das diesem Volke bisher noch nicht so eigen war, das mit den Bildern, denn sie sollten sich ja keines machen. Als Instrumentalisten, als ausführende Musiker sind sie unschlagbar, und auch wissenschaftlich sind sie wohl stark im Kommen – aber als Maler? Na, gut, Malen ist, wie wir jetzt gelernt haben, noch was anderes, auch ein Anstreicher malt, und ein Mondrian malt auch, doch Bilder, Bilder, Bilder sind was anderes, und diesen Hunger nach Bildern, den gibt es in der letzten Hütte, und den gibt es bei den Kleinbürgern mit ihren röhrenden Hirschen an der Wand, und den Hunger, den stillen


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