Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


Скачать книгу
weil ich nicht so nationalsozialistisch leben wollte, leben konnte, wie es für diese Revolution angemessen wäre – heute erkennt man das ganz klar, mit dem Abstand der Jahre, daß sich an den Ereignissen dieses 30. Januar schon der zwiespältige Charakter der ganzen Naziherrschaft hätte ablesen lassen können. Aber damals, damals doch nicht, an diesem Abend doch nicht, dazu war das doch ein viel zu neuartiges Phänomen, und im Kopf bin ich bis zum heutigen Tage damit noch nicht ganz fertig, denn unsere alten Begriffe, die taugen doch dafür nicht.

      Ich sah an diesem Abend des 30. Januar 33 erst mal sowieso nur die Kerzen, Speedys Kerzen und nicht die Fackeln der SA, von denen ich ja nichts wußte, von denen meine Frau mich auch nicht in Kenntnis setzte, jedenfalls in diesem Moment noch nicht, und es waren auch nicht die Stiefel der neuen Machthaber, zu deren eifrigem Stiefellecker in an diesem Abend mutierte, sondern es war die Macht meiner hochverehrten Frau und Ehegattin, es waren die Knöpfstiefel von Speedy, die ich anbetete und mit meinen Küssen bedeckte. Es war die süße Unterwerfung, nicht die bitter politische, nicht die des feigen Opportunismus, es war das Glück des devoten Ehemanns, der sich seiner Domina zu Füßen wirft, seinem Frauenideal, der Frau, von der er sich nur zu gern quälen und erniedrigen läßt und mit Lust demütigen – nur daß diese Frau in meinem Falle beziehungsweise dem von Speedy sich dann leider nicht als grausam genug erwies, als nicht sadistisch genug für meinen masochistischen Geschmack. Aber an diesem schrecklich schönen Abend war auch das mir noch nicht restlos klar, ich ahnte es, aber ich hoffte noch, und an diesem Abend gab Speedy meiner Hoffnung Nahrung, und wie ich heute weiß, tat sie es ganz gezielt und um mich, den sie für einen Hysteriker hält, von etwas anderem abzulenken, von den politischen Ereignissen da draußen in der Welt, von dem Herrn Hitler und seiner SA und von den Gedanken daran, was diese Machtergreifung durch die Nazis wohl oder mehr übel für mich und mein Leben, für unser Leben und meine Kunst bedeuten mochte. Für meine Kunst das Aus. Speedy sagte mir später einmal, als wir auf diesen Abend zurückkamen, und natürlich war das gemein von ihr, und es sollte das ja auch, gemein sein, sie habe an diesem Abend einfach nicht mit mir politisch diskutieren wollen, habe sich nicht meine Fehleinschätzungen anhören und vergeblich dagegen an argumentieren wollen – ich weiß nicht genau, was sie meinte, ob sie eine hysterische Reaktion von mir voraussah, eine Reaktion der Angst, der Furcht, des Schreckens, Erschreckens oder doch, daß ich es eher zu verharmlosen versuchen würde, wie ich’s ja dann am nächsten Tag ihr gegenüber tat. Die richtige Angst, die kam später, die kam erst, als der Reichstag brannte. Aber trotzdem hätte ich genauso gut auch vollkommen hysterisch reagieren können an diesem Abend, und vielleicht habe ich bei unserer Diskussion am nächsten Tag auch nur deshalb eher abzuwiegeln, die Bedeutung dieser gravierenden politischen Veränderung herunterzuspielen versucht, weil Speedy, und das für mich ganz überraschend, die Kassandrarolle übernahm, die der Warnerin und düsteren Prophetin – bei einem Ehepaar verteilt sich ja so was, außer es herrscht eitel Harmonie und Übereinstimmung, und es verteilt sich auch deshalb und bei einem solchen Ereignis, das als Weltgeschichte zur Haustür hereinkommt, hereinmarschiert, weil es ja nicht wirklich abzuschätzen ist, weil man sich da so oder eben so nur verschätzen kann. Alles bleibt Spekulation, und wir wissen doch von dem meisten nicht, das wir da eigentlich in unsere Rechnung mit einstellen müßten – im nachhinein ist man immer schlauer, und die Geschichte wird erst dann Geschichte, wenn sie schon Geschichte ist.

      Dieser Abend des 30. Januar, er war ein Abend der Stille, ein Abend der ganz wenigen Worte nur im Hause Schlechter, und fünfzig Kilometer entfernt von uns sangen sie martialisch das Deutschland-Lied bei ihrem Marsch durchs Brandenburger Tor, und die Massen vor der Reichskanzlei, sie wollten ihren frisch ernannten Reichskanzler sehen, sie schrien, und ihr Heil, Heil dann, als der Führer sich gnädig und berauscht zeigte, es wollte kein Ende nehmen – das böse Gerücht sagte später, als diese Begeisterung schon etwas abgeflaut war, Hitler hätte in seinem Siegesrausch und Taumel in den Teppich gebissen, während die entfesselten Massen draußen nach ihm riefen. Gerüchte halt, und es gibt viele. So viele wie noch nie zuvor, wo wir doch keine freie, sondern nur noch eine gleichgeschaltete Presse haben. Diese Ungleichzeitigkeit zwischen dem Welt- und dem privaten Geschehen, die mir schon in Berlin während der Novemberrevolution aufgefallen war, sie hat etwas Faszinierendes. Und auch natürlich etwas zutiefst Erschreckendes. Die einen sitzen im Café, während die anderen ihr Leben opfern. Das ist zum Verrücktwerden dran. Aber ich wußte nichts von dieser Ungleichzeitigkeit, und hätte ich davon gewußt, hätte mich Speedy schon im Atelier darüber informiert, was sie im Radio gehört hatte, ich wäre wohl nicht imstande gewesen, diese Faszination zu genießen. An diesem Abend wohl nicht. An diesem Abend, wo ich vor meiner kerzenbeschienenen Speedy auf die Knie sank und auf allen vieren nun doch mich meiner Göttin näherte – ohne daß sie ein Wort hätte sagen, mir den Befehl dazu erteilen müssen. Vorauseilender Gehorsam, und Speedy nahm es gnädig auf. Und sie streckte mir ihren Knöpfstiefel wortlos entgegen, und ich wußte, ohne daß sie es mir erst hätte sagen müssen, was ich zu tun hatte. Ich wußte es, weil ich es doch wollte und endlich durfte: die Spitzen ihrer Knöpfstiefel küssen und mich dann langsam an der Reihe ihre Knöpfe empor küssen, und als ich oben angelangt war, schaute ich zu ihr hoch, mit sabberndem Maul wahrscheinlich, und ich hörte auch nicht auf zu sabbern, als Speedy dann, wiederum wortlos, ihr grünes, schönes Samtkleid anhob und ich mich immer weiter mit meinen Küssen dem Höhepunkt entgegenküßte, magisch angezogen von dem, was ich dort unter ihrem Kleid und zwischen ihren Schenkeln finden würde. Und fand. Die heil’ge Grotte, den Tempel ihrer Lust und Weiblichkeit, der mir zu betreten verwehrt war, in den andere aber sehr wohl eindringen durften. Ich aber nicht. Niemals. Und ich konnte froh sein, ihr wenigstens so dienen zu dürfen, so oral und mit fleißiger Zunge. Und mit einem Mal, während ich diente, während meines ganz persönlichen Gottesdienstes, hörte ich, gedämpft durch den Stoff ihres Kleides und noch einmal durch den ihres Unterrocks, Speedys Stimme, und Speedy sagte: »Hitler ist Reichskanzler, die SA marschiert durchs Brandenburger Tor.« Ganz lapidar, ganz sachlich im Ton, und es erreichte mich nicht wirklich – als spielte sich das Weltgeschehen wie hinter einem Schleier für mich ab. Voller Erfolg für Speedy. Dank Speedy. »Mein Mann macht das übrigens sehr gut«, sagte Speedy.

      Und das am 30. Januar 1933.

      »Ich könnte ihn nur loben, sehr einfühlsam, sehr zufriedenstellend«, sagte Speedy.

      Und das am 30. Januar 1933.

      »So gut, als verfüge mein Mann über das Wissen, die Erfahrung einer Frau«, sagte Speedy.

      Und das am 30. Januar 1933.

      »Da kommt direkt etwas Weibliches zum Vorschein in meinem Mann, in seiner Hingabe«, sagte Speedy.

      Und das am 30. Januar 1933.

      »Fast könnte ich es vergessen, daß er ein Mann ist, und schließe ich die Augen, dann vergesse ich es«, sagte Speedy.

      Und das am 30. Januar 1933.

      »Als wäre es eine Lesbe, die mich befriedigt«, sagte Speedy.

      Und das am 30. Januar 1933.

      »Ich glaube, ich sollte meinen Mann etwas verweiblichen, auf daß er auch äußerlich mehr einer Frau gleiche«, sagte Speedy.

      Und das am 30. Januar 1933.

      Und das am 30. Januar 1933, an dem Tag, an dem in Deutschland Adolf Hitler Reichskanzler wurde, die Nazi die Macht ergriffen, der Männlichkeitswahn des starken Mannes seinen Sieg feierte. Und das mir, Schlechter, der ich immer noch unter ihrem Rock steckte, während ich Speedy, meine Frau und Ehegattin, so reden hörte. Das mir, der darob freudig und stolz erschauerte. Mir, der sich selber soeben so wunderbar weiblich gefühlt hatte. Ein Glückstag, dieser 30. Januar 1933.

      Kapitel 47: Das Darunter

      »Meinst du nicht auch, daß … « Ich kam mit diesem Satz gar nicht zu Ende am nächsten, am folgenden Tag, denn Speedy wußte das genau, was ich denn da zu meinen glaubte, daß ich mit ihr die neu entstandene politische Lage nach der Machtergreifung durch die Nazis diskutieren wollte, und genau dies wollte Speedy doch nicht, genau dies sah sie als vollkommen sinnlos an. Und deshalb unterbrach sie mich, bevor ich mit meinem Satz fertig war, deshalb ließ sie eine solche Diskussion gar nicht zu. Sie unterbrach mich damit, daß sie sagte: »Genau das


Скачать книгу